Projekt zur Gewaltprävention:"Am Anfang wollte keiner die Mädchenrolle spielen"

Lesezeit: 3 min

Heroes in München: Maryam Giahchi (Mitte) ist die Projektleiterin. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Junge Männer mit Migrationshintergrund kommen beim Thema Gewalt gegen Frauen gewöhnlich nur in der Täterrolle vor. Das Präventionsprojekt "Heroes" geht einen anderen Weg - damit sogenannte Ehrenmorde sowie Übergriffe auf weibliche Angehörige der Vergangenheit angehören.

Von Corinna Anton

Das junge Mädchen kommt zu spät nach Hause, mit einem zu kurzen Rock und einem deutschen Freund. Wie wird ihr Bruder reagieren, der von seinen türkischen Eltern gelernt hat, dass er die Ehre der Familie zu verteidigen hat? Noch bevor die Szene zu Ende gedacht ist, ist sie voller Klischees und Vorurteile. Die Beteiligten landen in den entsprechenden Schubladen, allen voran der junge Mann mit Migrationshintergrund, der beim Thema Gewalt gegen Frauen gewöhnlich nur in der Täterrolle vorkommt.

Das Präventionsprojekt "Heroes" (deutsch: Helden) geht einen anderen Weg. Es richtet sich weder an Täter noch an Opfer, sondern sucht nach Helden: Junge Männer mit Migrationshintergrund sollen gestärkt werden, damit sie Stellung gegen Gewalt an Frauen beziehen, erklärt die Münchner Projektleiterin Maryam Giyahchi.

Lernen und Lehren

Heroes ist ein Projekt aus Schweden, das 2007 nach Berlin kam und seit November 2011 in München unter dem Dach der Arbeiterwohlfahrt (Awo) läuft. Zwölf junge Männer aus der Stadt und dem Umland haben sich bereits zu Heroes ausbilden lassen. Sie haben sich wöchentlich mit Themen wie Ehre, Gleichberechtigung, Menschenrechte und Demokratie auseinandergesetzt und geben mittlerweile selbst Workshops an Schulen, um auch andere Jugendliche zum Nachdenken anzuregen.

Die meisten Heroes sind in Deutschland aufgewachsen. Ihre Familien stammen aus Kulturkreisen, in denen patriarchale Strukturen vorherrschen und der Begriff Ehre eine wichtige Rolle spielt. Wenn Männer sich in der Pflicht fühlen, die Ehre der Familie zu verteidigen, kann das unter Umständen bedeuten, dass Mädchen und Frauen kontrolliert werden, sich unterordnen müssen.

Zwischen den Kulturen

Junge Männer wie die Münchner Heroes stehen so oft zwischen den Kulturen: "Ich bin hier aufgewachsen und habe viel von Deutschland gelernt", erzählt der 17-jährige Suleman. "Meine Eltern leben seit 20 Jahren hier. Sie sind offener geworden, aber sie wurden anders erzogen als ich." Der 19-jährige Tayfun ergänzt: "Durch unsere Kultur kommt man manchmal in Clinch."

Leiterin Maryam Giahchi und Awo-Geschäftsführer Christoph Frey (M.) helfen gemeinsam mit Gruppenleiter Cemil Inangil (oben links) den jungen Männern. (Foto: Alessandra Schellnegger)

So geht es auch Murat. Seine Familie sei nicht streng, sagt er, aber Traditionen würden gepflegt, auch weil es keinen Raum gebe, sie zu hinterfragen. Als der 19-Jährige mit einem Freund zu den Heroes kam, war es am Anfang nicht so einfach, plötzlich mit jemandem über Themen wie Ehrenmord und Zwangsheirat zu sprechen: "Ich habe mich gefragt, was der Gruppenleiter will", erinnert er sich an seine ersten Treffen mit den Heroes. "Dann habe ich zu Hause selbst darüber nachgedacht, was das überhaupt heißt: Ehre."

Der 19-Jährige würde den Begriff heute so definieren: "Ehre heißt für mich, eine gute Arbeit zu haben, einen guten Abschluss, eine Familie, etwas zu erreichen im Leben." Ähnlich sehen das auch die anderen Heroes: Tayfun möchte seine Mutter stolz machen und "fest im Leben stehen". Suleman sagt: "Für mich bedeutet Ehre ein geregeltes Leben und die Familie nicht zu blamieren - aber nicht in dem Sinne, dass ich meine Schwester nicht alleine rauslasse."

Dass manche so denken, beobachten die jungen Männer in ihrem Bekanntenkreis: "Viele Familien meinen unter Ehre, dass der Mann die Aufgabe hat, die Familie zu überwachen", erzählt einer der Jungs. "Manchmal hört man, wenn jemand zu einem Freund sagt, dass seine Schwester zu kurze Hosen trägt. Der andere denkt dann gar nicht nach und lässt sich einfach beeinflussen."

Wie man in einer solchen Situation reagieren sollte, wollen die Heroes nicht vorschreiben. "Wir wollen nicht missionieren", sagt Murat, "sondern mit anderen Jugendlichen diskutieren, damit sie selber nachdenken." Eine Methode, die dabei zur Anwendung kommt, sind Rollenspiele - so lernen die jungen Männer, sich zum Beispiel in die Perspektive des Vaters oder der Schwester hineinzuversetzen. "Am Anfang wollte keiner die Mädchenrolle spielen", verraten die jungen Männer. "Aber wenn man sich hineinversetzt, merkt man, was die Schwester durchmacht, man fühlt sich auf einmal selbst unterdrückt", sagen sie übereinstimmend.

Eine nette Familie

Sich auf solche Rollenspiele einzulassen und mit kulturellen und persönlichen Haltungsfragen offen umgehen, sei relativ schwierig, weiß Christoph Frey, Geschäftsführer der Awo München. Auf welche Weise es den Gruppenleitern offenbar dennoch gelungen ist, verraten die jungen Männer im Gespräch zwischen den Zeilen: "Sie waren sehr nett", sagt Ilkir und fügt hinzu: "Nett heißt nicht normal nett, sondern wie ein großer Bruder." Tayfun meint: "Wir sind eine echt Familie zusammen."

Gruppenleiter Cemil Inangil, der die jungen Männer in den vergangenen Monaten wöchentlich getroffen hat, um mit ihnen über Ehre und Gleichberechtigung zu sprechen, erklärt dazu den pädagogischen Hintergrund: "Wenn wir in der Gruppe diskutieren, gibt es kein richtig oder falsch. Wir haben eine Grundhaltung, aber wir machen keine Gehirnwäsche."

Ein "enormer Aufwand"

Awo-Geschäftsführer Frey unterstützt das Projekt, weist aber auch darauf hin, dass es für einen Träger wie die Awo ein "enormer Aufwand" ist - und zwar auch, weil neben den wöchentlichen Treffen und einem Intensivtraining zum Abschluss eine offizielle Anerkennungsfeier ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist. Als am vergangenen Donnerstag die zweite Generation der Münchner Heroes ausgezeichnet wurde, kamen etwa 100 Gäste zur Feier ins DGB-Haus: Stolze Eltern und Verwandte, aber auch Vertreter aus dem Münchner Stadtrat, dem Staatsministerium, vom Ausländerbeirat und vom Stadtjugendamt.

Die Heroes gaben eine Kostprobe der Rollenspiele, mit denen sie regelmäßig trainieren: Einmal zeigten sie, wie es einem jungen Mann mit türkischem Migrationshintergrund geht, der dem Vater seine deutsche Freundin vorstellen möchte. Dann drehten sie den Spieß um: Sie spielten auf Bayerisch nach, wie es einem hiesigen Vater ergeht, wenn sein Sohn plötzlich eine afghanische Freundin hat.

© SZ vom 25.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: