Projekt Notfall:Für den Ernstfall gerüstet

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Der Stadtrat hat die medizinische Versorgung in München auf den Prüfstand gestellt und ist angesichts der Ergebnisse beruhigt - auch wenn es ein klares Gefälle zwischen Süd und Nord gibt

Von Heiner Effern

Als aus dem Stadtrat schon so viele beruhigende Worte gekommen waren, dass eine deftige Dosis Baldrian nicht besser wirken hätte können, sprach Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Natürlich ein paar weitere beruhigende Worte. "Die medizinische Notfallversorgung ist auf jeden Fall gesichert. Der Status quo ist keinesfalls beängstigend." Der OB berief sich wie seine Vorredner auf den Bericht des runden Tischs zur Notfallversorgung, der am Dienstag im Stadtrat vorgestellt wurde. Gleich danach beschloss der Finanzausschuss, das Schwabinger Krankenhaus umzubauen wie es das Sanierungskonzept für das Stadtklinikum vorsieht: Neu errichtet wird eine Klinik für Notfall- sowie für Kinder- und Jugendmedizin. Dazu wird das denkmalgeschützte Haus 24 der Kinderklinik an den Neubau angebunden und saniert.

Die beiden Punkte sind direkt miteinander verbunden. Ein Ausgangspunkt für die Diskussion über die Notfallversorgung ist das Sanierungskonzept für das städtische Klinikum. Wegen des enormen Defizits der Krankenhäuser beschloss der Stadtrat am 29. Juli, die Zahl der Angestellten etwa um ein Viertel zu reduzieren und künftig 750 Betten weniger vorzuhalten. Bis 2022 soll das Konzept umgesetzt sein. Das Klinikum in Schwabing muss die heftigsten Einschnitte hinnehmen. Im Münchner Norden kam die Sorge auf, dass die Behandlung von Notfallpatienten nicht mehr gewährleistet sein könnte.

Tatsächlich gibt es ein Gefälle in der Münchner Notfallversorgung. Der Süden der Stadt ist besser gestellt als der Norden und wird das auf lange Sicht auch bleiben. Das bestätigte im Stadtrat Stephan Prückner, Direktor des Instituts für Notfallmedizin an der LMU, der den Bericht präsentierte. Grund zur Sorge sieht der Mediziner deshalb nicht: Standards wie im Norden der Stadt seien auf dem Land in keiner Weise zu finden. Die Situation in München sei insgesamt gut. "Wir haben genügend Einrichtungen."

Prückner belegte das mit Zahlen aus dem Bericht des runden Tisches, an dem unter anderem Vertreter von 14 der größten Kliniken Münchens, der Rettungsdienste, der Stadt und des Innenministeriums sitzen. Diese werteten die Daten von 524 716 Notfällen aus, die zwischen Juli 2013 und Juni 2014 versorgt wurden. Durchschnittlich ließen sich etwa 1000 Menschen in München pro Tag in einer Notaufnahme behandeln. In Spitzenzeiten kamen bis zu 140 Patienten pro Stunde. Zwei Drittel davon wurden ambulant behandelt. Bei jedem fünften Erwachsenen mit akuten Beschwerden war eine schnelle Versorgung entscheidend.

Insgesamt nehmen die Notfälle deutlich zu. In den vergangenen zehn Jahren stieg alleine die Zahl der Patienten, die mit einem Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht wurden, um 40 Prozent an. Diese Tendenz wird anhalten, da die Stadt weiter wachsen wird und immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen. Jetzt schon gebe es immer wieder Engpässe bei der Versorgung neurologischer und internistischer Notfälle auf Intensivstationen sowie in der Kinderchirurgie. Auch bei Grippewellen oder Pandemien kann es Lücken in der Notfallerversorgung geben. "100 Prozent wasserdicht werden wir es nie hinbekommen", sagt Hans Theiss, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU und selbst Arzt.

Bei Grippewellen und bei Pandemien kann es Lücken im System geben

Auch aus Sicht der Rettungsdienste gibt es gerade bei der Versorgung der lebensgefährlich erkrankten oder verletzten Patienten keine grundsätzlichen Probleme. "Die Situation in diesem Bereich ist nicht gut. Die ist sogar sehr gut", sagt Roland Dollmeier, Geschäftsführer des Zweckverbands der Rettungsdienste. Etwa 20 Prozent der Notfallpatienten werden in dessen Fahrzeugen in die Kliniken gebracht. Oftmals sind es die schweren Fälle, bei denen es um Leben und Tod geht. "Bei denen spielt die Zeit, die bis zur Versorgung vergeht, eine wichtige Rolle." Auch wenn es bei den Kapazitäten eng werde, würden diese aber stets rechtzeitig behandelt.

Zur Not muss die Rettungsleitstelle, die den Mitarbeitern jeweils die anzufahrende Klinik vorgibt, sich auch mal über Vorgaben aus den Krankenhäusern hinwegsetzen. Wenn dort eine Notaufnahme voll belegt ist, können die Mitarbeiter ihr Haus vom Verteilsystem abmelden. Fährt trotzdem ein Sanka vor, nennen Kritiker das eine Zwangsbelegung. "Wir halten diesen Begriff für unglücklich, wir nennen das eine Akutbelegung. Das sind Menschen, die sofort behandelt werden müssen", sagt Dollmeier. Im Maximum komme das acht- bis zehnmal pro Tag vor. Sind die Notaufnahmen überfüllt, liege das meist an Patienten "mit Bagatellerkrankungen, die auch zum Hausarzt gehen könnten". Die Mitarbeiter in der Leitstelle hätten aufgrund der Entwicklung in den Stunden zuvor einen ziemlich genauen Eindruck, wo ein Patient am besten behandelt werden kann, sagt Dollmeier. "Die Versorgung ist dann auch nicht immer gleichzusetzen mit dem Bett dahinter. Ist ein Patient stabil, kann er nach der Behandlung auch verlegt werden."

Ein grundsätzliches Problem in der Notfallversorgung ist aber noch zu lösen: Wie Menschen, die auch mit Halsweh lieber in die Notaufnahme gehen als zum Hausarzt, wieder niedergelassene Ärzte aufsuchen. "Wir müssen mehr Bereitschaftspraxen etablieren, sinnvollerweise an Krankenhäusern", sagt Gökan Katipoglu von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), die niedergelassene Mediziner vertritt. Das würde die Notaufnahmen massiv entlasten. Dafür gelte es aber in einer Kooperation des gesamten Gesundheitswesens, die Patienten künftig gezielt zur richtigen Anlaufstelle zu lotsen. "Der Patient sucht sich seinen Weg ins Krankenhaus. Wir müssen die Botschaft verbreiten, dass sogenannte Bagatellfälle künftig in Bereitschaftspraxen gehen."

Für das größte Problem weiß aber bisher niemand eine Lösung: Die Kliniken finden heute schon nicht genug Pflegepersonal, um alle Betten belegen zu können.

Im Hörsaal des Klinikums Bogenhausen findet an diesem Mittwoch, 19 Uhr, ein SZ-Gesundheitsforum zur Notfallversorgung in München statt. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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