Pro Eingemeindungen:Grenzen sind nicht sakrosankt!

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(Foto: SZ)

Um das Wachstum zu bewältigen, bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung - und eines größeren Verwaltungsgebiets

Von Dominik Hutter

Man kann es natürlich immer wieder und wieder versuchen: Bitte, liebe Umlandgemeinden, baut mehr Wohnungen! Und wird dann immer wieder und wieder von der Mia-san-mia-Mentalität vieler Ortsbürgermeister ausgebremst. Motto: Löst eure Wohnungsprobleme doch allein! Was haben wir denn davon, wenn wir neue Baugebiete ausweisen? Klar, der Bürgermeister eines kleinen Ortes kann nur profitieren, wenn er die Partikularinteressen der Glücklichen vertritt, die bereits ein Dach über dem Kopf haben. Der freie Blick von der Terrasse aufs Feld bleibt erhalten.

So geht es aber nicht. Es ist nicht alleinige Aufgabe der Stadt München, den Zuzug in eine ganze Region zu bewältigen. Dafür ist schlussendlich die gesamte Gesellschaft zuständig, in der schließlich Freizügigkeit herrscht. Niemand darf sich erdreisten, einfach die Zugbrücken hochzuziehen, wenn andere Menschen auf Wohnungssuche sind. Oder eine Käseglocke über das eigene Dorf zu stülpen, auf dass es von jedweder Veränderung verschont bleibe. Die Region München ist als Ganzes gefragt, und da alle Versuche in der Vergangenheit gescheitert sind und auch das oft geforderte Regionalparlament nicht in Sicht ist, lockt eine einfache und sehr effektive Lösung: die Eingemeindung.

Es ist erstaunlich, welch emotionale Reaktionen dieses Thema heutzutage hervorruft. Kein Politiker traut sich, das heiße Eisen anzufassen - aus Angst vor dem Zorn der Wähler oder in Sorge um das eigene Pöstchen. Dabei ist es seit Jahrhunderten ganz normal, dass eine wachsende Stadt erst Gehöfte und dann eben auch benachbarte Dörfer und Städte schluckt. So ist die moderne Großstadt überhaupt erst entstanden. Und eine Metropole mit ihrer Stadtviertel-Vielfalt, mit ihrer klaren Hierarchie zwischen Zentrum, Innenstadtrandbezirken und peripheren Quartieren ist allemal besser und aufregender als ein Konglomerat gesichtsloser Siedlungen. Eine Stadt ist mehr als die Summe ihrer Häuser. Sie ist ein Organismus, der ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl und die Bereitschaft zur Aufgabenteilung der unterschiedlichen Stadtteile voraussetzt. Zersplitterte Strukturen, in denen jeder nur sein eigenes Süppchen kocht, werden diesem Ideal nicht gerecht.

Es mag ja sein, dass sich mancher Haarer, Unterföhringer oder Grünwalder nicht als Städter fühlt. Er hat dann nur ein Problem mit der Realität: Ohne Ortsschild würde niemand den Übergang zwischen diesen Gemeinden und der Stadt bemerken. Was unterscheidet die Haarer Wohnviertel von denen in Trudering zwei Straßen weiter? Es ist klar, dass es bei Eingemeindungen nur um Ortschaften gehen kann, die faktisch mit München zusammengewachsen sind. Also eigentlich ohnehin schon Teil dieses Gemeinwesens sind.

Deren Verwaltungsgrenzen, und um mehr geht es nicht, entsprechen schlicht nicht mehr der Realität. Politische Strukturen sind aber nicht dazu da, die Vergangenheit zu konservieren - sie müssen die Gegenwart abbilden, damit Politiker wirksam im Interesse der Bürger handeln können. Und die Realität sieht so aus: München endet nicht mehr an seinen Stadtgrenzen, die schlicht die Momentaufnahme eines längst vergangenen Entwicklungsstadiums sind. Sie sind ebenso wenig sakrosankt, wie es die Grenzlinien vor den letzten Eingemeindungen waren.

Zudem gilt: Allzu kleinräumige Strukturen sind für überörtlich bedeutsame Entscheidungen ungeeignet, weil oft das Partikularinteresse über dem Gemeinwohl steht. Das Wohnungsproblem ist zweifellos ein überregionales. Wer Verantwortung für ein größeres Gemeinwesen und dessen Wirtschaftsstruktur trägt, würde sich niemals trauen, einfach das eigene Gebiet zu Lasten anderer von der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung abzukoppeln. Und undemokratisch ist eine Eingemeindung keineswegs. Vielleicht freuen sich Haarer oder Unterföhringer ja sogar, wenn sie künftig über Münchner Belange, die ja eigentlich die ihren sind, mitentscheiden dürfen. Es geht nicht um Fremdbestimmung. Es geht um die gemeinsame Gestaltung eines gemeinsamen Umfelds.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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