Preiswürdige Projekte:Mohn und Märchen

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Der Künstler Walter Kuhn erhält für seine Aktion auf dem Königsplatz den Förderpreis "Münchner Lichtblicke". Auch das "Nurmobil" der Caritas und ein Zusammenschluss von Migrantengruppen werden ausgezeichnet

Von Kristian Meyer

Noch heute bekomme er eine Gänsehaut, wenn er an den Nikolaustag im Jahr 1992 denke, sagt Walter Kuhn. Mit seiner Frau und 400 000 anderen Menschen stand er damals am Straßenrand in München, Teil der großen Lichterkette nach den Angriffen auf Asylbewerber in Hoyerswerda, Rostock und anderswo. Knapp 27 Jahre später bekommt Kuhn an diesem Dienstag im Alten Rathaus als einer von drei Preisträgern den Förderpreis "Münchner Lichtblicke", der von der Stadt, dem Migrationsbeirat und dem Verein "Lichterkette" vergeben wird, der Anfang der Neunzigerjahre aus der großen Lichteraktion hervorgegangen war.

Seit dem Jahr 2000 werden mit dem Preis Münchner Organisationen und Personen für besonderes Engagement gegen Rassismus und für den Frieden ausgezeichnet. Der nach eigener Aussage "spätberufene Künstler" Walter Kuhn bekommt ihn für seine Kunstaktion im vergangenen Herbst. Mit vielen Helfern schmückte er den Königsplatz mit mehreren Tausend roten Kunst-Mohnblumen, als Zeichen des Friedens, 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Auch internationale Blätter wie die Hindustan Times oder die Washington Post hätten darüber berichtet, sagt Kuhn. Schließlich sei der Platz international bis dato vor allem als Paradeplatz von Wehrmacht, SA und SS bekannt gewesen, in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung". Es ging Kuhn aber nicht nur um ein Gedenken an Vergangenes, sondern auch um ein Zeichen gegen aktuelle Konflikte: "Es passieren immer noch schreckliche Kriege, im Jemen, in Syrien oder Mali."

Walter Kuhn hat den Königsplatz mit Mohnblumen geschmückt. (Foto: Stephan Rumpf)

Um traumatisierte Menschen, die vor solchen Kriegen nach Deutschland fliehen, kümmert sich der zweite Preisträger, das "Nurmobil" des psychologischen Dienstes der Caritas im Erzbistum München und Freising. Projektleiterin Iulia Ilca ist seit dem Beginn 2015 dabei. Schnell hätten sie damals gemerkt, dass ein Teil der Geflüchteten nicht komme, wenn sie mit ihrem Projekt "Nur" ("neue Ufer") einfach im Büro warteten. So kam die Idee, direkt in die Unterkünfte zu fahren. Ein weiteres Problem: "Für viele ist es ungewohnt, sich mit Problemen an Fremde zu wenden, die man sonst in der Familie bespricht", so Ilca. Aber durch die Flucht hätten viele ihre Kernfamilie verloren. "Nurmobil" bietet den Geflüchteten dialogorientierte Gruppentreffen. Vielen sei gar nicht klar, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung litten. "Aber viele reden über ähnliche Probleme: Schlaflosigkeit, Albträume, Kopfschmerzen, Ängste", sagt Ilca. In einfacher Sprache werde dann erklärt, was ein Psychologe macht, was ein Psychiater, warum Psychopharmaka helfen können. Rund 200 Menschen im Jahr würden so erreicht. Finanziert wird das Projekt aus kirchlichen Mitteln und durch Fördermittel der Stadt. Wiltrud Wystrychowski, Leiterin des psychologischen Dienstes der Caritas, fürchtet allerdings aktuell um diese Förderung. Für 2020 hätten sie sich wieder beworben. "Wir erhalten aber leider Signale, dass dieser Antrag nicht berücksichtigt werden wird."

Ein Projektantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte 2013 die Gründung des dritten Preisträgers ermöglicht, heute wird das Projekt "Morgen" (Münchner Migrantenorganisationen) jeweils zur Hälfte vom Bund und von der Stadt gefördert. Das Motto des freiwilligen Zusammenschlusses lautet: Engagieren, teilhaben, mitentscheiden. Gut 70 Migrantengruppen sind mittlerweile dabei, der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese in der Stadtgesellschaft sichtbarer zu machen. "Oft sind Behörden ratlos, wie sie Interessen von Migranten berücksichtigen können", sagt die Geschäftsführerin von Morgen, Friederike Junker. Hier seien nun sie auf den Plan getreten. "Vorbild war das Forum der Kulturen in Stuttgart."

Der Verein "Morgen" organisiert jedes Jahr das "Interkulturelle Märchenfestival". (Foto: Privat)

Unter anderem biete der Verein muttersprachlichen Unterricht an. "Natürlich ist Deutsch wichtig", sagt Junker. "Aber für die Identität ist die Ursprungssprache eben auch wichtig." Das merke man auch bei den Beratungen, die sie anbieten: "Wenn das Vereinsrecht in der Muttersprache erklärt wird, dann aktiviert das eher Partizipation an der Gesellschaft, als dass es sie hemmt." Der größte Erfolg des Vereins aber sei bisher das "Interkulturelle Märchenfest". Ganz klein hätten sie angefangen mit hundert Gästen. Heute seien es 1600, seit 2015 findet das Event im Gasteig statt. Vor allem Kinder staunen nun alljährlich über die Märchen, die in unterschiedlichsten Sprachen erzählt werden.

Auch Walter Kuhn war es wichtig, internationale Sprachen in sein Kunstprojekt einzubinden. Auf den Außenwänden eines schwarzen Hohlkörpers in der Mitte des Platzes stand, in den Sprachen aller am Ersten Weltkrieg beteiligten Nationen, ein Wunsch, den auch heute die Menschen in Kriegsgebieten teilen: "Nie wieder!"

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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