Planung neuer Wohngebiete und Gewerbeflächen:Mehr Wachstum - weniger Lebensqualität

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SZ-Leser kritisieren, die Politik fördere eher den Bevölkerungszuwachs im Ballungsraum München als ihn zu bremsen

SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch (Foto: Dieter Hanitzsch)

"Das reicht immer noch nicht" vom 15. Mai und "Rettet die Dörfer!" vom 29. Mai (Wirtschaft) über die Grenzen des Münchner Wachstums:

Keine neuen Gewerbegebiete

Frau Wolfrum hat recht, dass die Stadtentwicklung Münchens nur in polyzentrischer Struktur Sinn macht - kompakte Siedlungsbereiche, gegliedert durch große Freiräume und Frischluftschneisen miteinander verbunden über gut ausgebauten Öffentlichen Nahverkehr. Das sollte aber nicht heißen, innerhalb der engen Grenzen Münchens eine neue Stadt in der Größenordnung und Dichte von Neuperlach hochzuziehen. Dem beängstigend starken Einwohnerwachstum sollte nicht begegnet werden, indem die Stadt ihre Lebensqualität preisgibt. Der Hauptgrund für den starken Zustrom ist das lockende Angebot von Arbeitsplätzen. Gegen diese Anziehungskraft lässt sich nicht mit städtebaulichen, sondern nur mit ökonomischen Mitteln angehen, und dies auf überörtlicher Ebene: es müsste in der Region München und in anderen Regionen Bayerns gezielt die Ansiedlung guter Arbeitsplätze gefördert werden. Eine erhöhte Attraktivität von Unternehmensstandorten außerhalb Münchens könnte den Druck auf München verringern. Darüber hinaus sollte die Ansiedlung neuer Unternehmen in München erschwert werden, indem keine neuen Gewerbegebiete ausgewiesen werden. Dr. Hans-Joachim Schemel, München

Warum immer nach München?

Um übermäßigen Verkehr nicht erst entstehen zu lassen ist es sinnvoll, Wohnungen dort zu bauen, wo Arbeitsplätze sind. Das lernt jeder Geograf und Stadtplaner im ersten Semester. Da es in München viele Arbeitsplätze gibt, müssen - möglichst im Stadtbereich - auch viele Wohnungen gebaut werden. Wohnungen draußen im Grünen bringen zwar Lebensqualität für die Menschen, die dort wohnen, die Luft- und Lärmbelastung derer, die in der Stadt wohnen, wird jedoch durch die Pendler immer noch schlechter. Deshalb opfert München nun jede grüne Wiese dem Wohnungsbau.

Dabei wird eines vergessen: Das Leben eines Menschen besteht nicht nur aus Wohnen und Arbeiten. Das wäre ja traurig. Es gibt noch etwas anderes: Erholen, Entspannen, Frischluft tanken und für die Kinder: Spielen, Natur erforschen, Herumlaufen. Es macht auch einen Unterschied, ob ich vor meinem Fenster ein wenig Grün vor meinen Augen habe oder nur die kahle Wand des Nachbarhauses sehe. Es macht einen Unterschied, ob ich nachts mit geöffnetem Fenster schlafen kann oder ob es zumindest möglich ist, die Wohnung am Morgen zu lüften, ohne dass es nach Benzin und Abgasen stinkt. Und dieser unglaubliche Luxus - einen tiefen Atemzug zu machen, ohne sich dabei zu vergiften - das wünschen sich die Menschen - auch die, die in der Stadt leben (müssen).

Um sich diese Genüsse zu verschaffen, sind nun die Menschen gezwungen, hinauszufahren, ins Grüne. Durch das Vernichten der - ohnehin wenigen - Erholungsflächen und Frischluftschneisen in München nimmt man der Stadtbevölkerung nicht nur ihre Lebensqualität ,sondern erzeugt neuen Pendlerverkehr: Die Flucht hinaus ins Grüne . . . Jederzeit zu erfahren im Stau auf der Autobahn an den Wochenenden.

Das Problem lässt sich nur überregional lösen. Es braucht gezielte und gelenkte Maßnahmen zur Entwicklung der ländlichen Räume. Die Politik ist gefordert, Arbeitsplätze auf dem Land und in kleinen Städten zu schaffen, damit nicht noch mehr Menschen gezwungen sind abzuwandern. Durch eine zukunftsfähige Infrastruktur und schnelles Internet, günstige Gewerbesteuer und kulturelle Angebote auf dem Lande kann die Abwanderung dort abgebremst werden. Die wenigsten Menschen, die zum Beispiel in der wunderschönen Landschaft Niederbayerns wohnen, ziehen freiwillig in die Großstadt. Sie sind aus Mangel an Arbeitsplätzen in ihrer Region dazu gezwungen. Sehr häufig mieten sie sich, um nicht täglich pendeln zu müssen, eine Zweitwohnung in München, was den Wohnraummangel hier noch zusätzlich verstärkt.

Bei der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) München Nordost in Daglfing will die Stadt Wohnungen für 30 000 Menschen bauen und 10 000 Arbeitsplätze schaffen. Damit kurbelt man die Teufelskreise "Landflucht einerseits und Bevölkerungsdruck in München andererseits" erneut an. Diese 10 000 Arbeitsplätze sollten besser in den kleineren Städten entstehen - dort, wo Häuser leer stehen und als Folge Postämter und Banken schließen und das kulturelle Angebot ausgedünnt wird. Mit der "SEM Feldmoching" will man diesen Wahnsinn fortsetzen: Auch hier sollen neben Wohnungen Gewerbebetriebe entstehen. Gemüsebauern, werden verdrängt, landwirtschaftlicher Grund versiegelt, Grünland zubetoniert. Und es entsteht noch mehr Verkehr! Wie lange will München diese Wachstumspolitik fortsetzen? Bis alles Grün verschwunden ist? Die Münchner haben die Nase voll: Feinstaub, Stickoxide und Benzol . . . Sonja Sachsinger, München

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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