Plakattafeln und Posterwände in München:Weltstadt mit Werbe-Wildwuchs

Lesezeit: 3 min

Umstrittene Werbung: Das Bikini-Mädchen am Marienplatz ist zwischenzeitlich wieder verschwunden. Aber es gibt noch so viele andere Plakate... (Foto: Stephan Rumpf)

Wie schön eine Stadt ohne Werbung sein kann, macht Venedig vor

"Verarmung statt Verheißung" und "Was geht - und was nicht" vom 22. Juni, "CSU will Wechselwerbung an Haltestellen erlauben" vom 9. Juni und "114 Quadratmeter Ärgernis" vom 7./8. Juni:

Reicht's immer noch nicht?

Eine sehr gute Übersicht über die Werbeplakate, Großposter (Marienplatz) oder die hinterleuchteten Klein- und Großwerbeanlagen in der gesamten Stadt, die Alfred Dürr hier ausführlich beschrieben hat. Mehr als zehn Jahre war ich Mitglied im Werbebeirat der Stadt München, der über Standorte für die Werbung zu entscheiden hatte. Und wir konnten alle feststellen, dass die Werbefirmen immer dreister wurden, nur um ihre einfallslose Werbung an jeder Straßenecke unterzubringen. Und es geht noch immer weiter. Es reicht noch immer nicht mit der langweiligen oder sexistischen Werbung. Dabei kommen Touristen ganz bestimmt nicht wegen der Werbung, der das Stadtbild verzerrt.

Ein Blick in die Neuhauser Straße, Sendlinger Straße oder andere Münchner Innenstadt-Straßen verstellt uns den Blick auf die Fassaden und Ensembles. Auch hier hat die (Werbe-)Wirtschaft die Stadt im Griff. Wird ein Standort abgelehnt, weil schon zu viel Werbung vorhanden ist, wird geklagt. Die Richter tun ihr übriges und drücken aus, dass auf einer Ausfallstraße wie der Landsberger Straße "nichts mehr kaputt gehen kann", wenn noch ein paar Monofüße mit Wechselwerbung dastehen.

Und was macht die Politik, allen voran die CSU als Erfüllungsgehilfe der Werbefuzzys? Das konnte man in den SZ-Berichten vom 9. und 7./8. Juni lesen. Da hat sich die CSU in der Person des Herrn Quaas endlich für das richtige Stadtbild eingesetzt! Endlich mehr Werbung, es gibt ja kaum welche: Im letzten Jahrzehnt wurde die Stadt mit Riesenpostern an Baustellen, oft auch an vorgetäuschten Baustellen, siehe an der Staatsbibliothek, beglückt. Weder der bayerische Staat noch die katholische Kirche hätten es nötig, für Riesenposter Werbungsflächen zu verkaufen (Franck Ribery an der Theatinerkirche). Aber mit Riesenpostern begnügt sich die Werbeindustrie nicht. Sogenannte "Mono-Füße" als Wechselwerbeanlagen, die sich wie Mehltau mittlerweile über die gesamte Stadt verbreitet haben und die 24 Stunden lang beleuchtet sind.

Damit wird nicht nur Energie verschwendet. An jeder Bahnüberführung finden sich die 9 Quadratmeter großen, in 2,50 Meter Höhe ständig wechselnden Werbeanlagen, die den Blick aufgrund ihrer Größe an sich binden sollen. Aber auch die Ausfahrtsstraßen wie Verdistraße, Bodenseestraße und so weiter prägen das Straßenbild. Und wo eine Anlage genehmigt wurde, dürfen andere Anlagen nicht verwehrt werden, weil die Firmen bei Ablehnung sofort Klage einreichen. Dazu kommen noch die klassischen Posterwände, die zum Teil auch illegal aufgestellt sind. Mitten in der Landschaft stehen mitunter bis zu 20 Werbeanlagen aneinandergereiht (Carl-Wery-Straße) mitten im Grünzug. Weil wir noch immer nicht genügend Werbung haben, gibt es noch unzählige Litfaßsäulen, die früher mit Kulturhinweisen bestückt waren; heute sind sie drehbar, beleuchtet und energiefressend mit banaler Werbung ausgestattet. Steht man an der Ecke Rosenheimer/Wilramstraße, sieht man auf einen Blick mehr als neun Werbeplakate oder Litfaßsäulen. Wer Trambahn fährt, darf auch an den Seitenwänden Bikinimodells oder Unterwäsche bewundern. In der U- und S-Bahn sind möglichst viele Werbeträger mit Riesenplakaten vertreten, manchmal auch auf dem Boden. Pestilenzartig haben sich zudem kleine beleuchtete Werbeflächen ausgebreitet, vorwiegend an Hausflächenseiten, an Garageneinfahrten, an Durchgängen. Die ganze Stadt wirkt wie ein einziges Werbeplakat. Denn jedes Geschäft darf Fahnen, Nasenschilder oder Werbeplakate nach einer Genehmigung anbringen. Es sollte mal jeder Schwabinger zum Beispiel in der Schleißheimer Straße auf 100 Meter Länge alle Werbeträger zählen. Da Werbung nur Sinn macht, wenn sie die Sinne erreicht, werden wir zugedröhnt mit immer noch mehr Werbung. Da dieser Prozess der Anhäufung von Werbematerialien schleichend war, ist er vielen Menschen nicht bewusst geworden. Werbung soll aber aufgrund seiner Masse auf das Unbewusste wirken und zum Kauf anregen. Herrn Quaas sind die Werbeflächen immer noch zu wenig. Er sollte mal nach Venedig fahren, das vollkommen werbefrei ist. Welche Wohltat für die Sinne! Ulrike Windsperger, München

Deplatziert

Sehr geehrte SZ, leider haben Sie in Ihrem durchaus zutreffenden Kommentar zum Bikini-Plakat am Marienplatz den Hauptskandal nicht angesprochen: Der Standort ist einfach unakzeptabel! Wie es der Bau- Firma gelungen ist, ihre Bauhütten dort zu platzieren, müsste hinterfragt werden. Man hätte sie bei einigermaßen gutem Willen hinter dem Hugendubel-Haus auf dem Parkplatz aufstellen können, eventuelle Statikprobleme wären sicher zu lösen gewesen. Am belebtesten Platz Münchens: Unmöglich! Alfons Müller, München

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: