Personalprobleme:Gesegnetes Alter

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Der katholischen Kirche mangelt es an jungen Priestern. Im Erzbistum sind die Pfarreien deshalb mehr und mehr auf Seelsorger im Ruhestand angewiesen. Inzwischen übernimmt fast jeder zweite von ihnen regelmäßig feste Aufgaben - so wie der 80-jährige Konrad Kronast

Von Jakob Wetzel, München

Konrad Kronast ist immer noch da. Im Juli wird der katholische Priester 80 Jahre alt, aber noch immer leitet er Eucharistiefeiern, tauft er Kinder, traut er Paare und kümmert sich um die Seelsorge für Ordensschwestern. "Das ist kein Stress", sagt er. Schließlich sei er gerne Priester. Erst an diesem Samstag ist Kronast nach München-Bogenhausen gefahren, um dort in St. Georg ein Kind zu taufen. "Ich darf noch arbeiten, und ich kann", sagt er. "Das hält einen in Schwung, man bleibt gefordert." Und anders würde es auch gar nicht gehen.

Konrad Kronast war einmal Landjugendpfarrer der Erzdiözese München und Freising, später Gemeindeberater und Dekan. Jetzt ist er eigentlich im Ruhestand, schon seit fünf Jahren; er war ohnehin spät dran, die meisten Priester erreichen ihren Ruhestand mit 70 Jahren, Kronast war bereits 75. Doch die Kirche bat ihn, weiterzumachen. Denn in der katholischen Kirche ist "Ruhestand" ein dehnbarer Begriff. 412 Priester sind derzeit im aktiven Dienst des Erzbistums, dazu kommen 347 Ruhestandspriester - und 172 von ihnen, also fast jeder zweite, haben nach wie vor eine "Anweisung zur Seelsorge". Das heißt: Sie helfen aus, wo die jüngeren Priester nicht mehr hinterherkämen. So wie am Chiemsee, wo Kronast hauptsächlich beschäftigt ist: als Spiritual am Benediktinerinnen-Kloster auf der Fraueninsel und als Seelsorger im Pfarrverband Eggstätt sowie im Pfarrverband "Westliches Chiemseeufer". 18 Gottesdienstorte gebe es in den beiden Verbänden insgesamt, sagt er. Im Einsatz sind dort vier Priester unter der Altersgrenze. Das Problem sind nicht die Wortgottesdienste; diese können auch Pastoral- oder Gemeindereferenten übernehmen. Für Eucharistiefeiern aber verlangt die Kirche einen Priester. Deshalb helfe er aus, wann immer er Zeit habe, sagt Kronast, und nicht nur er. Alleine in Prien am Chiemsee sind vier Ruhestandspriester aktiv. Oft übernehmen sie Hochzeiten und Taufgottesdienste. Alleine im Juli hat Kronast zehn Taufen im Kalender stehen.

Auf ihnen ruht die Hoffnung: Kardinal Reinhard Marx weihte am Samstag Thomas Belitzer, Ferdinand Bergrab, Markus Nappert und Frater Robin Chambannukaran zu Diakonen. (Foto: Florian Peljak)

Für die katholische Kirche ist es ein Glücksfall, dass sie auf Ruhestandspriester zurückgreifen kann, um so den Mangel an Priestern zumindest zu einem Teil auszugleichen. An den Nachwuchsproblemen ändert das freilich nichts. In allen 27 deutschen Diözesen ist die Zahl der Priesterweihen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zurückgegangen. Reformgruppen wie "Wir sind Kirche" sprechen von einer "desaströsen Situation" und fordern eine Debatte über neue Seelsorgeformen und auch über den Pflichtzölibat.

Und in München? An diesem Samstag hat Erzbischof Reinhard Marx in der Frauenkirche vier Priesteramtskandidaten zu Diakonen geweiht; drei von ihnen werden später voraussichtlich für das Erzbistum arbeiten, der vierte ist Mitglied der Schönstatt-Bewegung. In seiner Predigt schwor Marx die vier auf ein anstrengendes und entbehrungsreiches Leben ein: "Christus zu repräsentieren ist kein Ehrenamt auf goldenen Sesseln." Die Diakonenweihe geschieht meist ein Jahr vor der Weihe zum Priester, im kommenden Jahr wird es also wohl drei oder vier neue Priester geben. In diesem Jahr werden es immerhin sieben sein, sechs Seminaristen und ein Frater der Barmherzigen Brüder. Im selben Jahr treten freilich acht Priester im Erzbistum in den Ruhestand. Und die Zahl der Priesterweihen bewegt sich hier auf einem konstant niedrigen Niveau. Im Jahr 2016 waren es im Erzbistum acht, im Jahr zuvor fünf. Zum Vergleich: Im Jahr 1965, als Konrad Kronast in Freising von Kardinal Julius Döpfner zum Priester geweiht wurde, war er einer von 25 jungen Priestern in seinem Jahrgang. Von dieser Größenordnung ist die Kirche heute weit entfernt. Das Erzbistum hat auf den Schwund lange damit reagiert, dass es Pfarreien zu Verbänden zusammenschloss. Pfarrer und Pfarradministratoren mussten dadurch zusätzliche Gemeinden und Kirchen betreuen. Viele klagten, sie seien mit Verwaltungsaufgaben überladen, es bleibe wenig Zeit für die Seelsorge. Zuletzt hat die Kirche deshalb umgesteuert: Verwaltungsleiter sollen die Priester nun entlasten und ihnen mehr Zeit für ihre Kernaufgaben verschaffen. Und erst in diesem Frühjahr kündigte das Erzbistum an, in drei Pilotprojekten in ausgewählten Pfarrverbänden neue Leitungsmodelle auszuprobieren. Statt alle Zügel stets einem Priester in die Hand zu geben, sollen sich versuchsweise Teams aus Haupt- und Ehrenamtlichen die Verantwortung teilen. Dem ursprünglichen Zeitplan hinkt die Kirche zwar hinterher - die Auswahl der Pfarrverbände sollte seit Wochen abgeschlossen sein - das Ziel aber gilt unverändert: Im Herbst sollen die Projekte beginnen.

Heute Bogenhausen, morgen Frauenchiemsee: Konrad Kronast hilft überall aus, wo er gebraucht wird. (Foto: Florian Peljak)

Konrad Kronast wird seinem tatsächlichen Ruhestand dann einen kleinen Schritt näher gekommen sein. Seine Tätigkeit auf Frauenchiemsee sei für ihn eine schöne und wichtige Erfahrung, sagt er, wenn auch manchmal etwas anstrengend: Wenn er morgens einen Gottesdienst im Kloster habe, muss er bereits in aller Herrgottsfrühe mit dem Schiff übersetzen. Im Sommer nun werde für das Amt des Spirituals ein hauptamtlicher Nachfolger gesucht. Was danach kommt? "Darüber mache ich mir noch keine Gedanken", sagt Kronast. Einer seiner Brüder sei auch Ruhestandspfarrer, mit dem wolle er noch einiges unternehmen. Und in den beiden Pfarrverbänden wird er weiterhin aushelfen.

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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