Ordnung muss sein:Integration unter Eichen

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Im Kleingartenverein des Hasenbergl treffen Kulturen aufeinander. Johann Markowitsch ist der Versöhner, "aber es gibt so viele Vorschriften"

Von Martina Scherf

Die Kleingartenanlage Nordwest 88 (NW 88) liegt ganz am Ende der Stadt. Dort, wo das Hasenbergl in die Münchner Schotterebene ausfranst, wo es noch sein ungeliftetes Gesicht zeigt, das so aussieht, als wäre es bei allen Sanierungskonzepten übersehen worden. Fast 30 Jahre alt sind die 91 Schrebergärten, es ist ein ringförmiges Areal mit großzügigen Parzellen. Könnte eine Idylle sein. Ein Hort der Völkerverständigung. Wenn da nicht all die Problemchen wären. Doch Johann Markowitsch sorgt für Ordnung - und für ein bisschen Frieden.

In NW 88 gibt es die gleichen Nachbarschaftsstreitigkeiten wie überall. Aber bei einem Migrantenanteil von 22 Prozent im Garten - Markowitsch hat das berechnet -, gerät jede Fehde um einen wuchernden Busch oder schmauchenden Grill schnell zum Kampf der Kulturen. "Da muss man halt viel reden", sagt er.

Johann Markowitsch schließt die Tür zum Vereinshaus auf. Als er vor sechs Jahren zum Vorsitzenden gewählt wurde, begann er Ordnung zu schaffen. Er brachte eine Hausnummer am Tor an und einen Briefkasten für Beschwerden und Anregungen und stellte einen Schaukasten für die Vereinsmitteilungen auf. Dann bauten sie gemeinsam mit ein paar Männern eine Hütte für den Kühlschrank und ihre Biergartengarnituren und verschönerten das Vereinshaus. "Jetzt hat der Herr Markowitsch sogar ein Büro mit Computer", sagt der Chef und lacht.

Im Sommer grünt's und blüht's in den Schrebergärten. Für viele Städter sind sie eine Oase der Ruhe. Und sie tragen dazu bei, das Klima zu verbessern. Damit es auch im Zwischenmenschlichen funktioniert, braucht es Regeln, aber auch ein bisschen Toleranz, sagt Johann Markowitsch. (Foto: Robert Haas)

Im Aktenschrank ruht die gesammelte Vereinsgeschichte. "Konflikte gab's immer", sagt Markowitsch, "anfangs sogar Raufereien." 1988, als die Gärten angelegt wurden, da hatte einer eine Ladung Kies bestellt, und der Nachbar hat sich heimlich davon bedient. Dann gab's Randale. Manche haben sich um ein paar Zentimeter Gartenfläche in die Wolle gekriegt. "Später, als alles fertig war, wurde dann ein Tanzpodium gebaut und viel gefeiert und gegrillt", erzählt Markowitsch.

Inzwischen sind die Pächter der ersten Stunde gemeinsam alt geworden, das Durchschnittsalter liegt bei 65, auch das hat Markowitsch berechnet. Manche sind schon gestorben, und Migranten folgten ihnen nach. Die grillen auch, aber die Bayern beschweren sich dann. "Da muss ich immer wieder sagen: Es hat ja keiner was dagegen, wenn ihr grillt, aber der Rauch darf nicht zu groß werden, wir haben halt eine deutsche Umweltordnung." Markowitsch ist eine Respektsperson, groß, aufrecht, trotz seiner 75 Jahre und gesundheitlicher Probleme. Er wirkt entschlossen, aber er hört den Leuten zu. "Deshalb kommen immer alle zu mir", sagt er und schreitet durch die Anlage. Vor manchen Hütten steht eine Pergola mit Dach. Das ist verboten. Steht so im Bundeskleingartengesetz. Mit "dem Ali", der bei so was schnell zornig wird, hatte sich Markowitsch nach vielen Vermittlungsversuchen fast angefreundet. Sie waren sogar schon gemeinsam im Bayerischen Fernsehen mit ihrer deutsch-türkischen Verständigung. "Aber jetzt ist der Ali wieder sauer auf mich, weil ich sagte: Die Pergola muss weg. Das Problem ist: Wenn ich es einem erlaube, wollen es die anderen auch", sagt der Chef. Ein paar Schritte weiter: wieder eine Pergola. Sie gehört einem Deutschen. Er hat angeblich eine Ausnahmegenehmigung, "aber die gilt nicht, sie stammt nicht vom Stadtverband", sagt Markowitsch, "und ich muss doch auf die Ordnung achten". Er seufzt.

Johann Markowitsch ist der Vorsitzende des Kleingartenvereins NW 88. Er ist eine Respektsperson, und er kann auch gut zuhören. (Foto: Florian Peljak)

Weiter geht's. "Da, ein Nussbaum, "das ist auch verboten." Weil so ein Baum keinen "kleingärtnerischen Nutzen" hat. Der Weg schlängelt sich durch üppiges Grün. Im Eck steht eine saubere Hütte auf gepflegtem Rasen samt Gartenzwerg. Aber am Dach hängt eine Antenne, "verboten". Der Pächter sei ein sehr netter Türke, aber der Chef muss wohl noch mal mit ihm reden. "Wir haben so viele Vorschriften". Und "das viele alte Geraffel" hinter den Hütten, dafür haben alle eine Schwäche.

Probleme gibt's immer. Verschmutzte Toiletten, verlorene Schlüssel, überwucherte Wege, nicht weggeräumter Müll, nächtliche Randale. Aber Schuldige und Sturköpfe finden sich unter Ausländern ebenso wie unter Einheimischen, sagt Markowitsch. "Das kenn' ich zur Genüge, ich hab 38 Jahre als Meister in der BMW gearbeitet." Auch dort hat er oft zwischen den Nationen am Band vermittelt.

Im vorigen Jahr, da hat er fürs Sommerfest extra ein Lamm besorgt, zwei Türken haben Beilagen gekocht. Doch die anderen türkischen Familien sind nicht gekommen, "da war ich enttäuscht", gibt er zu. Später erfuhr er, dass eine Familie einen Todesfall betrauerte, und alle trauerten mit. Nach feiern war ihnen nicht zumute.

Johann Markowitsch ist ein Kümmerer. Er wird sich weiter um Verständigung bemühen. Mit den Jüngeren gehe es schon viel besser, sagt er, die seien aber nur selten da. Er wird beim nächsten Fest wieder Putenwiener für die Muslime besorgen. Dafür müssen sie dann akzeptieren, dass für die Bayern das Bier zum Feiern gehört. Manchmal auch ein bisschen mehr. Der Chef sagt: "Integration ist nicht einfach, von beiden Seiten."

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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