Studien prophezeien Deutschlands Innenstädten den großen Ladenschluss. Der Handelsverband Bayern spricht von sinkender Kundenfrequenz im Zentrum von München. Internetunternehmen, die ihre Ware online anbieten, sind zu einer gefährlichen Konkurrenz für den stationären Handel geworden. Immer mehr kleine Geschäfte geben auf. Und auch große Häuser verlieren zunehmend Umsatz an die Internetverkäufer. Das ist schwer zu glauben, wenn man an einem normalen Werktag durch die Fußgängerzone läuft: Es ist voll, eng, geschäftig. Aber das Bild trügt: Touristen und Flaneure sind genug da, aber: weniger Kunden. Dem stemmen sich jetzt vier Traditionshäuser rund um den Marienplatz entgegen - indem sie den Onlineunternehmen mit ihren eigenen Waffen begegnen. Die "Local Commerce Offensive" soll mit Webshops auf Computern, Tablets und Smartphones wieder mehr Kunden in den realen Laden locken.
Sie fühlen sich schon ein bisschen als Exoten, die eine Dame und die drei Herren. Sie sind zuständig für den Ausbau des E-Commerce in ihren Unternehmen. Sie müssen ihren Chefs und den Mitarbeitern beweisen, dass Online-Angebote auch für kleine Händler, die kein oder nur ein kleines Filialnetz haben, Sinn ergeben. Das ist nicht einfach. Denn in ihren traditionsreichen Häusern wird seit Jahrzehnten das klassische Geschäftsmodell gepflegt, das auch das Verkaufspersonal so gewohnt ist: Der Kunde kommt ins Haus, schaut sich um, lässt sich beraten, probiert die Sachen an oder aus und, wenn es gut läuft, geht er mit Einkauftüten wieder hinaus.
Nur: Was machen, wenn der Kunde nicht mehr so einfach ins Haus kommt, sondern online seine Einkäufe erledigt? Selber einsteigen, um präsent zu sein, den Markt nicht den großen Filialunternehmen und Versand-Giganten überlassen, das sagen Christiane Hoss-Nurminen (Bettenrid), Rolf Mager (Lodenfrey), Peter Schön (Sport Schuster) und Fabian Goehler (Beck am Rathauseck). Und das möglichst Multichannel, wie es heißt. Also eben auf allen mobilen Endgeräten. "Wir müssen den Kunden dort erreichen, wo er unterwegs ist", sagt Schön. "Wir müssen mit unserer Marke auf allen Kanälen im Netz präsent sein", sagt Mager.
Derzeit präsentieren sich 80 Prozent der etwa 60 000 Einzelhandelsunternehmen in Bayern mit einer eigenen Website im Netz. Außerdem steigt der Anteil der Betriebe, die ihre Produkte auch über das Internet verkaufen, jedes Jahr signifikant: momentan etwa jedes dritte Geschäft. In München werden in diesem Jahr nach den Prognosen des Handelsverbandes Bayern (HBE) etwa 10,3 Milliarden Euro umgesetzt, davon mehr als eine Milliarde online. Im Vergleich zum Vorjahr ist das im Netz eine Zuwachsrate von gut zwölf Prozent - "Lichtjahre", wie HBE-Geschäftsführer Bernd Ohlmann sagt, entfernt vom Plus beim Gesamtumsatz: Der wird bei knapp zwei Prozent liegen.
Trotzdem ist mit dem Online-Sektor allein im stationären Handel kein Geschäft zu machen. Da sind sich die vier Münchner E-Commerce-Experten einig. Man müsse die Online-Shops als Investition ins Stammgeschäft sehen. "Unser Auftritt im Netz ist vor allem auch ein Marketing-Instrument", erläutert Lodenfrey-Manager Mager. Die Internetpräsenz hilft dem Kunden: "Wenn er kommt, weiß er schon, was er will." Früher musste er mehrere Geschäfte abklappern - "jetzt geht er ins Netz." Auch ein Beleg für die sinkende Kundenfrequenz in den Geschäften.
Bei Lodenfrey, dem Fashion- und Trachtenhaus, wird es bis Juni dieses Jahres eine Click & Collect Lounge geben. Das heißt: Der Kunde kann die Ware im Netz reservieren und sie vor Ort in einer eigenen Lounge anprobieren und abholen. Er wird damit ins Stammhaus gelockt - und kauft eventuell noch weitere Sachen ein. Auch bei Sport Schuster kann der Kunde online reservieren und vor Ort die Ware abholen. Das bereits bestehende Gipfelstürmer-Programm soll bis September ausgebaut werden. Schön: "Wir haben schon jetzt nurmehr 25 Prozent rein stationäre Käufer - alle anderen kaufen bereits kanalübergreifend." Bettenrid (keine Möbel) und Beck (nur Beauty-Produkte) vertreiben nur ein Teil ihres Angebots übers Internet. Christiane Hoss-Nurminen von Bettenrid: "Unsere Sortimentsumstellung im Online-Shop hat eine Warenkorbsteigerung von 36 Prozent gebracht." Im Kaufhaus Beck wird die Einsatzmöglichkeit mobiler Endgeräte optimiert. "Viele meiden das wie der Teufel das Weihwasser, weil der Kunde dann auf seinen Geräten vergleichen kann", sagt Fabian Goehler. Bei Beck habe man damit kein Problem: "Wir fangen von der Qualität da an, wo andere Anbieter aufhören."
Personaleinsparungen erwarten die Manager übrigens nicht. "Wir werden weiterhin Verkäufer brauchen, aber das Berufsbild wird sich ändern", sagt Schuster-Mann Schön. Für Beck-Geschäftsführer Goehler hat der Beruf sowieso ein Imageproblem - oft bleiben Lehrstellen deswegen unbesetzt: "Ich sehe gute Chancen, vom verstaubten Bild wegzukommen: Ein neuer Typ von Verkäufer, der mit dem Tablet in der Hand berät, ist doch cool."
Die Online-Manager, die sich auch deswegen zusammengeschlossen haben, um von den Erfahrungen der anderen zu profitieren ("Es muss nicht jeder den gleichen Fehler machen") werden an diesem Mittwoch auf der Internet World Messe in München über die Multichannel-Zukunft diskutieren. Allerdings: "Ein Blick in die Glaskugel ist schwierig. Wir wissen nicht, wo es hingeht", sagt Mager. Dazu ändert sich die digitale Welt zu schnell. Digital Mirror, also Spiegel, in denen man digital Kleidung anprobieren kann, würden Kunden wohl eher verschrecken.