Oberbürgermeister Max Gotz:"Die Stadt schaut gut aus"

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Dass Erding gut da steht, haben Bürger, Unternehmer und Politik gemeinsam zu verantworten. Kämen schlechtere Zeiten, müsste keiner Angst haben.

Interview von Antonia Steiger und Florian Tempel

Er ist ein Kind der Langen Zeile, er hat in Erding Abitur gemacht, und er hat wie sein Vater Josef Gotz den Beruf des Gerbers erlernt. Weit mehr als die Hälfte seines Lebens hat Max Gotz, 53, aber auch im Erdinger Stadtrat verbracht, zunächst als CSU-Stadtrat, später als CSU-Fraktionssprecher. Seit 2008 ist Gotz Bürgermeister der Stadt Erding, seit 2013 Oberbürgermeister. Damals wurde Erding zur Großen Kreisstadt erhoben. Ein Gespräch über die vergangenen 40 Jahre in Erding, über Handel und Wandel, über Arbeit und Freizeit.

Wie war das im Mai 1977? Was hat Sie als junger Kerl beschäftigt, als zum ersten Mal in Erding eine Landkreisausgabe der Süddeutschen Zeitung erschienen ist?

Im Mai 1977 war ich ein begeisterter Gewichtheber. Damals sind wir mit der Schülermannschaft zum ersten Mal bayerischer Meister geworden - zur Überraschung aller. Unsere Gegner Neuaubing, Schrobenhausen und Roding waren in der Bundesliga und hatten Superspitzenathleten, aber wir waren in der Breite stark.

Und wie lief es in der Schule?

Das war ein Schuljahr, in dem ich nicht so erfolgreich war. Nicht nur wegen des Sports, es gab auch noch viele andere Aktivitäten in der Freizeit. Wir haben sehr gerne Karten gespielt, vor allem im Parkcafé. Da wurde die Zeit fürs Lernen knapp, und die Schulverantwortlichen haben beschlossen, mir eine zweite Chance zu geben. Es wurde zu einem gemeinschaftlich angelegten Projekt: Wir waren 27 oder 28 Schüler in der Klasse, davon sind 14 oder 15 durchgefallen.

Sie haben damals in der Innenstadt gelebt. Wie lebte es sich dort?

Ich bin ein Kind der Langen Zeile. Der Zusammenhalt in der Straße damals war beeindruckend. Leute wie die Frau Nöthig sind zu uns zum Kaffeetrinken gekommen. Und als ich 1990 geheiratet habe, hat die Frau Schweinberger eine Flasche Schampus geschickt. Beim Lange-Zeile-Fest, dem Ursprung des Altstadtfests, ging es nicht darum, möglichst viele Leute zu bewirten. Jeder hat zwei, drei Biertische rausgestellt. Und dann hat man sich am Abend zusammengesetzt. Der Reich Sepp hat vorgeführt, wie man einen Kachelofen baut, der Attenberger hat eine Friseurstuhl draußen aufgestellt, der Howerka hat eine Schminkvorführung gemacht.

Wie hat sich Erding seitdem verändert?

Verändert hat sich vor allem die Buntheit in der Stadt. Ich kämpfe dafür, dass wir die Häuser wieder bunt kriegen. Erding war ein Beispiel für eine bunte mittelalterliche Stadt. Später machte sich Aufbruchsstimmung breit, als man wusste, dass der Flughafen ins Erdinger Moos kommt. Auf einmal haben viele ihre Häuser nur noch an Banken vermietet, was ich sehr bedauere. Was den Branchenmix betrifft, hat sich die Stadt noch nicht ganz erholt.

War Erding eine Handwerkerstadt?

Erding waren schon immer eine fleißige Handwerker- und Dienstleistungsstadt. Wir waren nie eine Residenzstadt oder eine repräsentative Stadt, sondern schon immer eine Werkler-Stadt. 1900 hatte zum Beispiel die Erdinger Gerberinnung noch 13 Mitglieder. Und die Gerbereien waren mitten in der Stadt. Heute sagt man ja: Alles stinkt. Heute stinkt der Kleber, heute stinkt das Holz, heute stinkt das Auto. Früher hat man zu diesen Prozessen gesagt: Ja, da riecht es, auch bei den Brauereien. Heute können die Menschen kaum noch mit Gerüchten umgehen.

Zu den ersten Abonnenten der Süddeutschen Zeitung in Erding gehörte ein Max Gotz: der Großvater des heutigen OB Max Gotz. (Foto: Renate Schmidt)

Und was ist Erding jetzt? Eine Stadt der Pendler?

Ich finde, wir sind eine richtig geerdete, fleißige Dienstleistungs- und Handwerkerstadt. Handel und Dienstleistung, das macht uns stark. Die Erdinger sind stolz, manchmal dürften sie sogar noch ein bisschen stolzer sein. Ich sage das auch mit großem Respekt vor meinen Vorgängern: Kein Bürgermeister, kein Stadtrat, die irgendwelche Sünden hinterlassen haben - auch in finanzieller Hinsicht. Die Stadt schaut gut aus, aber das geht nur, wenn vorher gut gearbeitet worden ist.

Wenn man feststellt, dass es Erding gut geht, kommt man nicht an Amadeus vorbei. Wie sähe Erding ohne Amadeus aus?

Amadeus ist sicher eine der guten, glücklichen Entscheidungen, die der Stadt unheimlich gut getan haben. Ich glaube, dass wir uns so manches nicht hätten leisten können, wenn nicht so ein tolles Unternehmen wie Amadeus gekommen wäre. Das birgt zwar immer auch Gefahr, wenn ein einzelnes Unternehmen so einen starken Beitrag über die Steuer leistet. Aber es sind mittlerweile viele Dinge erledigt, zum Beispiel sind die Schulen saniert. Wenn jetzt eine schlechtere Zeit käme, bräuchten wir keine Angst haben. Aber die anderen haben mittlerweile nachgezogen. Wir haben ganz starke und auch ein paar versteckte Unternehmen: den Erdinger Weißbräu, Auer Baustoffe, MTU und auch Alpha. Das ist eine grandiose Familiengeschichte. Herr Pfeiffer hat vor 40 Jahren mit dem Plattenverkauf in seinem Wohnzimmer angefangen und hat heute ein großartiges Unternehmen. Man sieht es am Stolz des Gebäudes.

Gibt es denn noch Probleme in Erding?

Ja, natürlich, sonst müssten wir aufhören. Zum Beispiel die Wohnungspolitik. Ich sehe ein Problem für die, die da sind und die da bleiben wollen: Dass sie ihre Lebensträume erfüllen können, indem sie Wohnraum bekommen, ob das ein Haus oder eine Wohnung ist, zur Miete oder Eigentum. Wir sind ja eine Stadt mit vielen Kindern. Und wer selber eine Familie gründet, möchte vielleicht Eigentum schaffen. Natürlich muss man auch den Verkehr nennen, aber wir sind ja mit dem Ringbahnhof und mit der Nordumfahrung auf einem sehr richtigen Weg.

München war und ist nah. Wie oft kamen Sie als junger Mensch nach München?

Wir sind durch den Sport viel rumgekommen, aber auch privat nach München gefahren. Das Deutsche Museum war für uns Kinder immer toll. Natürlich sind wir auch ins Olympiastadion gefahren. War das nicht toll? Wir haben vier Mark gezahlt für eine Stehplatzkarte bei Bayern, und da war die S-Bahn schon dabei. Und anschließend sind wir beim Heimfahren am Isartor zum McDonalds gegangen.

Wie sind Sie 40 Jahre lang mit der SZ ausgekommen?

Mein Großvater war, so hat es der Vater zuhause erzählt, immer SZ-Leser, er war angeblich der erste SZ-Abonnement in Erding. Wir haben die SZ traditionell in der Familie gelesen, aber ich habe sie dann abbestellt, weil ich mich sehr geärgert habe. Ich habe der SZ im Jahr 2007 einmal bezüglich eines Kommentares ganz einfach geschrieben und war vielleicht naiv, weil ich eine Antwort erwartet habe, um die ich auch gebeten hatte. Als auch auf nochmalige Nachfrage keine Antwort kam, habe ich das Abo gekündigt. Und selbst dann ist nichts gekommen. Das hat mich schon sehr erstaunt.

Wir können Ihnen versichern, dass Ihnen das heute nicht mehr passieren würde, die SZ geht mit ihren Lesern pfleglicher um. Wie haben Sie über die Jahre hinweg die Arbeit der SZ Erding erlebt?

Die Erdinger SZ ist die Zeitung, die in einem ausgeglichenen Wettbewerb die Maßstäbe setzt. Man ärgert sich vielleicht mal. Aber ich habe überhaupt kein Problem, wenn Dinge zugespitzt werden oder wenn man auch mal eine richtige Watschn abbekommt. Ich bedauere es aber, dass die Redaktion der SZ Erding nicht mehr im gleichen personellen Umfang wie noch vor ein paar Jahren arbeiten kann.

Welche Bedeutung hat die SZ und ihre Erdinger Lokalausgabe für Gesellschaft und Politik in Stadt und Landkreis?

Die SZ Erding hat in erster Linie eine große Bedeutung als Informationsbörse. Sie kann für sich in Anspruch nehmen, dass gesellschaftliche Themen, die nicht im Fokus stehen, aufgearbeitet werden und damit in den öffentlichen Fokus gerückt werden. Minderheiten, die im Tagesbetrieb gar nicht wahrgenommen werden, bekommen eine Stimme. Die Redakteure, die über all die Jahre der SZ Erding auch ein Gesicht gegeben haben, sind nicht nur beruflich, sondern auch häufig gesellschaftlich vernetzt - das gibt immer eine gewisse Präsenz. Mit den Kommentaren und mit so mancher Glosse wird sicherlich auch auf die Bürgerschaft eingewirkt.

Das drängendste Problem, das vor Ort, aber auch überregional gelöst werden muss und kann, ist das Wohnen. Wie könnte eine gemeinsame Lösung in der Region aussehen?

Wir können es nicht lösen, da widerspreche ich. Wir sind in der Entwicklung von Baurechten mittlerweile mit so vielen Rahmenbedingungen behaftet, das ist unglaublich. Wir haben seit ein paar Tagen die Meldung aus der Landeshauptstadt München, dass sie bis 2035 mit 1,85 Millionen Einwohnern mindestens rechnen. Die Zahlen sind noch einmal gestiegen, und ich glaube nicht, dass freiwillig Horrorszenarien gemalt werden. Dann gibt es aber auch die Zinssituation, die noch ein paar Jahre anhalten wird. Die Leute legen heute nicht mehr ihr Geld auf der Bank an oder in irgendwelchen Anlageportfolios. Wenn man sich hier zu hohen Preisen eine Wohnung oder ein Haus kauft, ist alleine durch die Wertesteigerung in den nächsten 15 Jahren ein höherer Wertzuwachs da.

Was kann Erding machen?

Kommunen müssen das Wachstum mitbegleiten, auch die Stadt Erding. Ich habe ja mit dem Beschluss, dass Erdings Wachstum kleiner als ein Prozent jährlich sein soll, die Stimmung in der Bevölkerung nur etwas deutlicher darstellen wollen. Die Bevölkerung will nicht, dass wir in zehn Jahren 50 000 Einwohner haben.

Welche Bebauungspläne werden in zehn Jahren realisiert sein?

Die Frage ist auch 1984 beim Poststadel gestellt worden und 1987 bei der Haager Straße Ost, wo wir heute noch keinen Satzungsbeschluss haben, weil die Interessen der Grundstückseigentümer nicht in Einklang zu bringen sind. Ich wünschte mir, dass wir in zehn Jahren den Poststadel und den Thermenpark bebaut und den 171er und die Haager Straße Ost auf den Weg gebracht haben, weil ich glaube, dass in zehn Jahren im Fliegerhorst noch nichts passiert.

Wenn Sie in zwanzig Jahren noch Bürgermeister sind: Was für Themen werden Sie dann beschäftigen?

In zwanzig Jahren haben wir den demografischen Wandel oben auf der Tagesordnung. Einen Fokus haben wir schon jetzt auf seniorenwichtigen Themen. Wir haben jetzt schon eine große Vereinsamung, das sehe ich mit ganz großer Sorge. Ich sehe aber auch eine Stadt, die alles hat, was man braucht, weil ich grundsätzlich ein Optimist bin.

Und was ist bis dahin erledigt?

Bis dahin fährt hoffentlich die Eisenbahn zwischen Erding und dem Flughafen. Erledigt ist die Konversion mit der großen Chance, ein paar schöne Betriebe und attraktiven Freiraum zu bekommen. Und ich hoffe, dass wir in 20 Jahren in Erding immer noch zu einem Wirt gehen können.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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