NS-Dokumentationszentrum:Der Geschichte offensiv entgegentreten

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Kuratoriumsvorsitzender Theo Waigel über die Notwendigkeit eines NS-Dokumentationszentrums in München.

Interview: Christoph Wiedemann

Der ehemalige Bundesfinanzminister und CSU-Politiker Theo Waigel ist Vorsitzender des Kuratoriums für das geplante NS-Dokumentationszentrum in München. Die SZ sprach anlässlich des für Freitag und Samstag geplanten Veranstaltungsprogrammes "Topographie des Nationalsozialismus" mit Theo Waigel über sein Engagement für das Projekt und über die damit verbundenen Herausforderungen.

"München war Dreh- und Angelpunkt des Nationalsozialismus", sagt Theo Waigel. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Wie kamen Sie zum Kuratoriums-Vorsitz für das geplante NS-Dokumentationszentrum?

Theo Waigel: Ich bin von der damaligen Kultusministerin Monika Hohlmeier gefragt worden, ob ich für so eine Funktion zur Verfügung stünde. Ehrlich gesagt, wollte ich eigentlich nicht mehr. Ich habe so viele Ehrenämter, angefangen bei Schirmherrschaften bis hin zu Kirchenrestaurierungen und Stiftungen, dazu meine beruflichen Verpflichtungen als Anwalt. Aber letztlich hat mich die Aufgabe dann doch gereizt. Die Herausforderung besteht unter anderem darin, Bund, Land und Stadt für dieses Projekt an einen Tisch zu bringen.

SZ: Diplomatisches Geschick und politische Erfahrung sind sicher hilfreich in der Position. Was waren Ihre persönlichen Motive, sich bei diesem Thema zu engagieren?

Waigel: Ich bin zwar kein Münchner, aber mich hat die Zeitgeschichte immer interessiert. Auch die Aufarbeitung; vor allem aber die Frage: Warum kommt das alles so spät? Ich weiß es nicht. Ich kann dazu nur aus meinem persönlichen Erleben berichten. Ich stamme aus Ursberg, wo es seit mehr als 100 Jahren eines der größten Behindertenzentren Deutschlands gibt. In der NS-Zeit sind dort zwischen 1944 bis 1945 fast 400 behinderte Menschen umgebracht worden. Davon wusste ich zwar von meinem Vater, der Maurer in Ursberg war. Aber bei uns Kindern hat darüber kein Lehrer, kein Pfarrer, kein Politiker je ein einziges Wort verloren. Erst vor drei oder vier Jahren wurde dann in Ursberg etwas getan, was ich beispielhaft fand: Es wurde ein Denkmal für die damals Ermordeten errichtet. Und zwar für die, die im Krieg gefallen sind - darunter mein Bruder mit 18 Jahren. Und dasselbe Denkmal auch zur Erinnerung an die Opfer der Euthanasie. Unvorstellbar, wie lange das gedauert hat! Ein Bekannter - Jahrgang 1926 wie mein Bruder - hat es mir einmal so erklärt: Über uns lagen Berge von Leichen, als wir mit 17, 18 oder 19 Jahren aus dem Krieg kamen, und viele Menschen wollten darüber nicht mehr sprechen. Nicht nur die Täter, was ich ja verstehe. Auch die Sympathisanten wollten nichts mehr wissen. Dann gab es so etwas wie ein Netzwerk derer, die keine Nestbeschmutzung wollten. Und dann das Phänomen, dass selbst die Opfer Stillschweigen bewahrten.

SZ: Was erwarten Sie vor diesem Hintergrund vom künftigen NS-Dokumentationszentrum in München?

Waigel: In den siebziger und achtziger Jahren wurde von einer jungen Generation damit begonnen, die jüngere Geschichte aufzuarbeiten. Was ganz wichtig war, denn damals gab es noch Zeitzeugen. München, die ehemalige "Hauptstadt der Bewegung" und der Sitz der Parteizentrale, war Dreh- und Angelpunkt des Nationalsozialismus. Deshalb muss man dieser Geschichte offensiv entgegentreten und zwar genau an der Stelle, wo einstmals die Zentrale stand. Wir müssen künftigen Generationen zeigen, was sich da in einem Zeitraum von 15 oder 20 Jahren abgespielt hat. Denn wenn die letzten Zeitzeugen verstorben sind, möchte ich nicht mehr nur auf die Überzeugungskraft schriftlicher Dokumente angewiesen sein. Die verlieren möglicherweise ihre Kraft, und man möchte mit der Geschichte irgendwann einmal nichts mehr zu tun haben. Das darf in Deutschland nicht passieren.

SZ: Haben Sie durch dieses Projekt Anfeindungen erfahren müssen?

Waigel: Eigentlich nicht. Es gab ein, zwei anonyme Briefe. Erheblich mehr Probleme gibt es, weil ich den Euro eingeführt habe.

SZ: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Stadt München und Freistaat Bayern?

Waigel: Erstaunlich reibungslos. Wirklich schwer war es, den Bund mit ins Boot zu holen. Aber das ist jetzt auch geschafft.

SZ: Was ist Stand der Dinge?

Waigel: Die Finanzierung ist mit Hilfe des Bundes gesichert. Jetzt geht es darum die Gründungsdirektion zu besetzen. Die Ausschreibung läuft bis 22. September. Dann geht es an den Architekturwettbewerb. Dazu wurden 50 Büros eingeladen. 2010 sollte Baubeginn sein.

© SZ vom 04.09.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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