Not in der Großstadt (16):Wenn die Schuldenfalle zuschnappt

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Trotz Wirtschaftsaufschwungs stehen immer mehr Münchner bei ihren Gläubigern in der Kreide - zunehmend Leute aus der Mittelschicht.

Monika Maier-Albang

"Die Wirtschaft brummt" verkündete eine Schlagzeile dieser Tage. Klaus Hofmeister hat es gelesen, und natürlich würde es den Leiter der städtischen Schuldnerberatungsstelle freuen, wenn tatsächlich mehr Menschen wieder Arbeit fänden und sich damit auch ihrer Sorgen entledigen könnten. Noch allerdings merkt Hofmeister davon nichts.

Seit langem ist der Andrang für Hofmeister und seine Mitarbeiter kaum zu bewältigen. Die Zahl der überschuldeten Haushalte in der Stadt stieg laut einer Hochrechnung der Schuldnerberatung seit dem Jahr 2000 um 20 Prozent; auf 55 000 schätzt Hofmeister die Zahl.

Selbst verschuldet?

Dass es mit dem verkündeten Wirtschaftsaufschwung auch mal wieder weniger werden, sei gut möglich, sagt Hofmeister. Doch in der Regel dauere es mindestens zwei Jahre, bis die Menschen dann wieder Boden unter die Füße bekommen. Noch betreut Hofmeister all jene, die in den letzten Jahren die Bodenhaftung verloren haben: gescheiterte Kleinunternehmer, Ich-AG-Verlierer, seit einiger Zeit zunehmend Leute aus der Mittelschicht - Familien, bei denen plötzlich ein Einkommen weggefallen ist und die sich nicht rechtzeitig von zu großen Wohnung getrennt haben. Menschen, die sich mit Schrottimmobilien im Osten verkalkuliert haben. Aber auch junge Paare, die die Küche auf Kredit gekauft und sich dabei übernommen haben.

Ein Drittel der Schuldner, schätzt Hofmeister, tut sich schwer "mit dem Einteilen und Verwenden" von Geld. Selbst verschuldet, könnte man sagen und Hofmeister würde wohl antworten, dass diese Erklärung zu kurz fasst. In der Regel kommen seiner Erfahrung nach mehrere Faktoren zusammen: die Trennung vom Partner, ein Unfall, eine chronische Erkrankung, ein Partner, der Alkoholprobleme hat und "nix mehr auf die Reihe bringt". Meist sind es die Frauen, die zu ihm kommen und sich Hilfe suchen trauen. Ihnen bescheinigt der Berater eine "höhere Problemlösungskompetenz."

Hanna Scholz (Name geändert) hatte ihre Problemlösungskompetenz schon verloren geglaubt. Sieben Jahre ist es her, dass sich bei ihr rund 10 000 Mark Schulden angesammelt hatten. Rechtsanwaltskosten, weil sie Streit mit den Vermietern hatte; eine Forderung vom Arbeitgeber, weil sie sich bei den Abbuchungen verhaut und einen größeren Fehlbetrag in der Kasse hatte; Strafgelder von der Bahn wegen Schwarzfahrens.

Dann wurde ihr Mann arbeitslos, den sie mit 19 geheiratet hatte. Eine Zeitlang, erzählt Hanna Scholz, habe sie es geschafft, mit 1200 Euro sich und ihren Mann durchzubringen. Sie jobbte neben der Arbeit. Doch um die großen Posten abzuzahlen, reichte es schließlich nicht. Die Mahnungen ließ sie ungeöffnet liegen, zuerst wohl aus Nachlässigkeit, wie sie heute meint. Dann wegen der Beklemmung, die sei beim Öffnen stets empfand. Die Briefe sammelten sich in einer Ecke, und mit dem Stapel wuchs auch der Betrag. Mahngebühren, Zinseszinsen, Hanna Scholz geriet immer tiefer in den Strudel. Schließlich wurde ihr Lohn gepfändet. Die Bank zog ihre Kreditkarte ein. "Ich konnte nicht mal einen Handyvertrag abschließen."

Enormer psychischer Druck

Irgendwann habe es "Klick gemacht", sagt Scholz. Heute ist sie 28, wohnt am westlichen Stadtrand in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Zwei Balkone hat sie dort und ist sehr glücklich, dass sie sich das heute leisten kann. Der Auslöser, der dazu führte, dass sie sich Hilfe holte, war die Vorladung ins Polizeipräsidium an der Ettstraße. Die Bahn hatte Anzeige erstellt. "So wollte ich nicht mehr weitermachen", sagt Scholz heute. Sie ging zur Schuldnerberatung des evangelischen Hilfswerks in Gern. Obwohl Freundinnen ihr abrieten. "Die zocken dich auch noch ab", bekam Scholz zu hören. "Doch ich dachte mir, die werden dir bei der Kirche schon nix Böses tun."

Lucia Wasserrab, die Leiterin der Beratungsstelle, bekam all die ungeöffneten Briefe auf ihren Schreibtisch, arbeitete sich durch den Stapel hindurch, sortierte die Forderungen der Gläubiger nach Dringlichkeit, schrieb sie an. Mit der Hälfte der Gläubiger einigte man sich schließlich auf einen Vergleich, mit anderen vereinbarte Wasserrab niedrige Ratenzahlungen. Die stotterte Scholz in den Monaten ab, in denen sie Urlaubsgeld bekam oder eine Erfolgsprämie ihres neuen Arbeitgebers.

Vier Jahre hat sie ihre restlichen Schulden konsequent abgezahlt. Sie habe sich durchgekämpft "wie bei einer Diät", sagt Scholz. Kleidung wurde nur noch bei C&A gekauft. Die Eltern in Sachsen mussten auf Besuche verzichten. Die neue Brille gab es erst mal nicht. Die Jahre sind in einem Ordner dokumentiert, der im Wohnzimmer in der Vitrine steht. Auf dem Deckblatt sind alle Schuldentitel aufgelistet. Einer nach dem anderen bekam den Stempel "Erledigt". 2006 war Hanna Scholz schuldenfrei. Lucia Wasserrab händigte ihr den Ordner aus. "Da ist ein Felsbrocken von mir abgefallen."

Unrühmliche Rolle der Banken

Doch Wasserrab kennt nicht nur Erfolgsgeschichten. Ein Drittel der verschuldeten Menschen, die zu ihr kommen, melden sich nach drei, vier Beratungsgesprächen nicht wieder. Oft erfährt Wasserrab selbst beim Hinterhertelefonieren die Gründe nicht. Oder sie muss zur Kenntnis nehmen, dass trotz ihrer Warnung jemand den schnellen Weg gegangen ist - den über den "Schufafreien Kredit". Mit einer Zinsbelastung von bis zu 20 Prozent.

Oft sei der psychische Druck so enorm, dass die Menschen alles tun würden, um die vielen Gläubiger los zu werden, sagt Wasserrab. Dass sie dabei womöglich bei unseriösen Kreditvermittlern landen und noch tiefer in den Strudel geraten, blenden viele offenbar aus. Auch manche Banken, die ihren Kunden Kredite geradezu aufdrängen, spielen hier eine unrühmliche Rolle. Wasserrab ist aufgefallen, dass viele ihrer Schuldner von der City-Bank kommen.

Solche "Sofort- und easy Kredite" verführten oft gerade solche Menschen zum spontanen Kauf, die keinen finanziellen Puffer haben, es also eigentlich nicht schaffen können, die Raten abzuzahlen. Als "Armutsrutsche" nennt Hofmeister zudem Hartz IV. Selbst Menschen, die gut kalkulieren können, hätten "größte Probleme", mit dem Wenigen zurechtzukommen. Hofmeister hat Experten die Sätze durchrechnen lassen. Mit dem Ergebnis, dass es in München unmöglich sei, über einen längeren Zeitraum von Hartz IV zu leben. "Außer, man ernährt sich extrem billig und einseitig und verzichtet komplett auf die Teilnahme am kulturellen Leben."

Gerade für Familien sei es in der nach außen hin reichen Stadt schwierig, mit wenig Geld zurechtzukommen, hat Hofmeister zudem erfahren. Wo der Skikurs schon im Kindergarten Standard ist und Geburtstagsgeschenke unter zehn Euro schief angeschaut werden, scheitern viele arme Eltern, die Kinder auf Dauer kurz zu halten. "Man gibt irgendwann nach, kann es sich eigentlich aber nicht leisten." Also gehen Hofmeister und seine Kollegen seit einiger Zeit zu Elternabenden, "Konsumerziehung für Eltern", nennt er das.

Hofmeister erklärt dann, wie man mit geringem finanziellen Aufwand auch ein schönes Fest gestalten kann. Und er erlebe es häufig, dass die Eltern anschließend sehr erleichtert seien, dass "endlich mal einer die Konsumspirale durchbricht". Im Angebot der Berater ist auch ein hauswirtschaftliches Training. Dabei wird ein Haushaltsplan erstellt und Ehrenamtliche gehen mit zum Einkaufen. Um zu erläutern, warum Tiefkühlkost nur vermeintlich billiger ist.

Hanna Scholz hat bis heute durchgehalten. Ab und an leistet sie wieder einen Friseurbesuch. Eine neue Brille hat sie sich inzwischen auch geleistet - von Geld, das sie vorher angespart hatte. Einen Kredit hat sie nicht mehr aufgenommen. Sie stellt den Ordner zurück in die Vitrine und sagt, sie habe sich vorgenommen, ihn nie wegzuwerfen.

© SZ vom 2.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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