Not in der Großstadt (9):Lebensabend mit Grundsicherung

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Vor allem Frauen stehen im Alter oft ohne ausreichende Absicherung da. Die Grundischerung von 345 Euro reicht Vielen nicht zum Leben.

Monika Maier-Albang

Entlang der Straße, die zu Hilde Meisels Wohnung führt, sind zwei Opel abgestellt. Sie fallen auf unter all den Audis, Mercedes, BMW, die an den Zäunen und in den Auffahrten zu den Häusern geparkt sind. Wobei der Ausdruck Häuser nicht immer zutrifft. Manche hier sind eher Villen, mit parkähnlichen Gärten, in denen jetzt, nach Ostern, die Veilchen blühen. Wir sind in Obermenzing.

345 Euro Grundsicherung - das funktioniert nur mit Kleidung aus der Kleiderkammer. (Foto: Foto: Haas)

Auch hier, in einem der wohlhabenden Vierteln der Stadt, gibt es Armut. Und die, die es betrifft, müssen sich noch ein bisschen mehr anstrengen als andernorts, damit sie nicht auffallen unter all jenen, die sich leicht damit tun, Wert zu legen auf gute Kleidung und ökologisch einwandfreie Ernährung. Arm zu sein in einem reichen Viertel hat aber auch Vorteile: Es finden sich leichter finanzkräftige Helfer.

Wer das Alten- und Servicezentrum der Caritas an der Packenreiterstraße besucht, kann an der Säule im Eingangsbereich viele Zettel finden. Angeboten wird: Hilfe im Haushalt, bei der Gartenarbeit, bei ,,Seniorenbetreuung''. Oft steht kein Preis dabei, weil der Verhandlungssache ist. Er habe, sagt ASZ-Leiter Helmut Schmidt, einige Helfer, die auch schon mal ganz auf Entlohnung verzichten, ,,wenn's jemand nötig hat''. Und er hat Stammgäste im Zentrum, die ohne dies groß kund zu tun, ein oder zwei Frauen mit monatlichen Überweisungen unterstützen.

Allein auf 36 Quadratmetern

Auch Hilde Meisel (Namen aller Seniorinnen geändert) hat nette Vermieter, die warm nur 240 Euro für den ausgebauten Dachboden verlangen, auf dem sie Bett, Schrank und Küchenzeile untergebracht hat. Die 74-Jährige lebt allein auf 36 Quadratmetern; nur die Katze ihrer Vermieter hat einen festen Platz am Sonnenfenster und auf dem Klingelschild.

Hilde Meisel ist pensionierte Gesamtschullehrerin. Den Beruf hatte sie ergriffen, weil sie selbst als Kind Geborgenheit vermissen musste. Die Eltern hatten sich getrennt, die Mutter blieb für das Kind nach dem Krieg lange verschollen. Das Mädchen wurde von einer Einrichtung zur nächsten übergeben. Mit 14 fing Hilde Meisel an zu arbeiten, als ,,hauswirtschaftlicher Lehrling'' im Altenheim.

Später fand sie die Mutter wieder, pflegte zunächst sie, dann den Vater bis zu seinem Tod. Verlorene Arbeitsjahre, die ihr jetzt bei der Rente fehlen.

Hilde Meisel kann man über Helmut Schmid kennenlernen. Sie ist fast täglich im Zentrum. Das strukturiert ihren Tag. Und erleichtert es ihr, mit ein paar hundert Euro Rente im Monat zurecht zu kommen. Wer, wie Hilde Meisel, regelmäßig im ASZ mithilft, darf bei Kuchen und Kaffee zugreifen, ohne ,,was ins Körbchen zu legen''. Zudem hat Herr Schmidt seinen Damen einen Mittagstisch in der Wirtschaft nebenan vermittelt. Frau Meisel bekommt vom Adventskalender der Süddeutschen Zeitung zwei Euro Zuzahlung. Dann kostet das günstigste Essen nur noch zwei Euro. Und der Wirt drängt nicht, auch ein Getränk zu nehmen.

Wenn Hilde Meisel einkauft, nimmt sie Haferflocken, Gries, Milch. ,,Was billig ist.'' Sie kauft nicht bei Tengelmann. Sie geht zu Penny oder Plus. Oder fährt mit dem Bus zum Aldi an der Landsberger Straße - mit der übertragbaren MVV-Monatsmarke, die Herr Schmidt in seiner Schreibtischschublade verwahrt. Manchmal bekommt sie Essensgutscheine geschenkt. Oder einen Einkaufsgutschein über 20 Euro. Vom letzten hat sie sich Frotteehandtücher geleistet.

Die Armut sieht man nicht sofort

Helmut Schmidt ist ein umgänglicher Mann, den seine Damen in höchsten Tönen loben. Trotzdem hat es lang gedauert, bis sich ihm die anvertrauten, die wenig Geld haben. Darüber spricht man ungern. So sind es auch oft beiläufige Bemerkungen, die Schmidt aufhorchen lassen: etwa von der Matratze, die so durchgelegen sei, dass man wieder mal Rückenschmerzen habe. Den Frauen hier sieht man nicht an, dass sie wenig Geld haben. Die Haare sind gerichtet. Die Kleidung ist adrett. Da wird abgetragen, was aus guten Zeiten im Schrank hängt.

Bessere Zeiten hat auch Antonia Brecht erlebt. Im diplomatischen Dienst hatte sie gearbeitet, in Brasilien. Aber weil sie ,,Ortsangestellte'' war, wurde sie auch zum Ortstarif bezahlt. Nun ist auch ihre Rente minimal. Jahrelang hat sich die heute 78-Jährige nach der Rente noch als Aushilfssekretärin ein Zubrot verdient. ,,Aber irgendwann geht das einfach nicht mehr.''

Heute lebt sie nach Abzug von Miete und Nebenkosten von 224 Euro im Monat. Die Zwei-Zimmer-Wohnung, in der sie seit 33 Jahren lebt, ist eigentlich zu groß und mit 650 Euro zu teuer für sie. Aber wohin? Den Stadtteil verlassen, wo man all seine Sozialkontakte hat? Und etwas günstigeres hat sie bislang nicht gefunden. Also versucht sie, irgendwie so über die Runden zu kommen.

Ab und zu kauft sie sich ein paar neue Schuhe. Sonst leistet sie sich nichts. Im Haushalt wird nur das Nötigste ersetzt. Reparaturen macht sie selbst. 20 Euro Pacht im Monat sind eingeplant für eine Kleingartenparzelle, auf der Antonia Brecht ihr Gemüse anbaut und mit anderen Pächtern tauscht. Unterm Strich sei das günstiger, als die Lebensmittel einzukaufen, hat die Vegetarierin berechnet.

Sie will gesund leben, um lange gesund zu bleiben. Krank zu werden, sagt sie, ,,kann ich mir nicht leisten''. Als sie im letzten Sommer von einer Wespe gestochen wurde und wegen einer Allergie vier Tage ins Krankenhaus musste, hat sie sich die zehn Euro Tagegeld vom Essen abgeknapst. Ihr ganzes Erspartes, 6000 Euro, hatte sie zuvor für die dritten Zähne ausgeben müssen. Die Rentenerhöhung zum 1. April bringen ihr vier Euro mehr. Dafür ist der Krankenkassenbeitrag um sieben Euro gestiegen.

Doch sie will kein Mitleid. Wie überhaupt keine der drei Frauen, die Herr Schmidt zum Gespräch gebeten hat, jammert. Es ist die Generation der Genügsamen. Die Frauen verschlug es als Flüchtlinge aus Ostpreußen oder Schlesien nach München. Antonia Brecht erzählt vom großen Treck und davon, dass alles noch viel schlimmer gewesen sei, als ein Fernsehfilm das je darstellen könne.

Und Lisa Neumarkt, die neben ihr sitzt, erinnert sich an den Kleiebrei, der in ihrem Kinderhals kratzte. Den sie aber schlucken musste, weil es nichts anders gab. Und an die Angst im Luftschutzkeller. ,,Da geht's uns doch heute vergleichsweise gut'', sagt sie. ,,Wir sind nur arm.''

Ein paar Kilometer weiter südlich sitzt Hennig Löffler an seinem Schreibtisch und bittet, die Kartons zu entschuldigen, die sich im Gang stapeln, denn: ,,Morgen ist Flohmarkt.'' Zwei Zimmer haben sie leergeräumt im Alten- und Servicezentrum Kleinhadern/Blumenau an der Alpenveilchenstraße. Eines ist mit gebrauchten Kleidern gefüllt. Es muffelt sofort nach Keller, obwohl die Damen vom Flohmarkt-Team peinlich darauf achten, dass alles gewaschen und gebügelt ist.

Im zweiten Raum steht Krims-Krams: Gläser, Teller, Töpfe. Manche Käufer werden zum Spaß herkommen. Viele aber auch, weil sie müssen. ,,Sie können uns nicht vergleichen mit Obermenzing'', sagt Löffler schon zu Beginn des Gesprächs. ,,Die Leute hier haben keine Sachen, die sie abtragen könnten.''Und auch die Güter-Umverteilung im Stadtteil läuft anders ab. Es gibt kein Mäzenatentum, dafür den Fleckerlteppich, eine ,,Börse für Kontakt und Fähigkeiten'', bei der jeder mitmachen kann, egal, wie viel Geld er zur Verfügung hat.

Natürlich gibt es im Viertel auch die, die jenseits der Alpenveilchenstraße in Reihenhäusern oder Doppelhaushälften wohnen und ihre Nachmittage im Altenzentrum mit Kartenspielen oder der ,,Erinnerungswerkstatt'' verbringen.

Doch gleich hinter dem Zentrum beginnen die Wohnblöcke der GWG, der städtischen Wohnungsgesellschaft. Armut ebenso wie ,,soziale Verwahrlosung'' sind so auch ein Thema im Kleinhaderner Altenzentrum. Wenn ein Gast zum täglichen Mittagstisch ungewaschen und ,,eingekotet'' kommt, setzt man ihn separat, ,,um die anderen zu schützen'', wie Sozialpädagogin Doris Hohenleitner sagt. Später spricht sie mit dem Betreffenden. Das hilft meist eine Zeit lang. Wer arm ist, muss trotzdem nicht ungepflegt sein, findet Löffler: ,,Wenn die Leute auf sich achten, gesunden sie.'' An Körper und Seele.

Grundsicherung in München

Viele von denen, die in Kleinhadern zum Mittagstisch kommen, leben von 345 Euro Grundsicherung im Monat. Damit auskommen zu müssen, sagt Löffler, sei in München ,,verdammt schwer''. Mit der Einführung der Grundsicherung wurden alle Sonderzahlungen gestrichen.

Doris Hohenleitner verbringt seitdem viel Zeit damit, Stiftungsmittel zu beantragen. Für Schuhe, eine neue Brille, Zahnersatz, ein neues Bett, eine Waschmaschine. Im letzten Jahr füllte sie doppelt so viele Anträge aus wie noch 2003. Und weil sie für jede Person im Jahr nur einen Antrag pro Stiftung stellen kann, muss sie manchmal mit den Betroffenen überlegen, was wichtiger ist: neue Zähne oder eine neue Waschmaschine.

Dann betritt Elisabeth Heindl den Raum und strahlt. Die 63-Jährige packt eine in Stoff gewickelte Wachsmadonna aus, die sie im Flohmarktzimmer gefunden hat. Zwei Euro hat Frau Heindl dafür bezahlt, Geld, das sie eigentlich nicht hat.

Weshalb Doris Hohenleitner auch sanft darauf aufmerksam macht, dass sie die Schulden bei einem der Herrn vom Mittagstisch noch nicht beglichen hat. 17 Euro. ,,Eine Menge Geld'', nickt Elisabeth Heindl.

Einfach war ihr Leben noch nie. Frau Heindl erzählt von einem Mann, der sie geschlagen hat. Vom Sohn im Methadonprogramm. Vom Bruder, der in Köln lebte und in einem Sozialgrab beigesetzt wurde. Erst Jahre nach seinem Tod habe sie davon erfahren, sagt Heindl. Daraufhin ließ sie ihn ins Familiengrab nach Wasserburg überführen.

Nun zahlt sie dafür jeden Monat 80 Euro an einen Bekannten zurück, der ihr das Geld vorgestreckt hat. 62 Euro fallen für Strom an, 579 Euro für Miete, 30 Euro für die neuen und doch schon wieder kaputten Zähne. Bleiben von ihrer Rente nach Abzug der Fixkosten 357 Euro pro Monat. Eigentlich müsste sie 80 Euro für eine Haushaltshilfe aufbringen, doch lieber putzt sie selbst, trotz starker Arthrose.

Abgelaufene Lebensmittel

Die Arthrose ist es auch, die es ihr schwer macht, Lebensmittel von der Münchner Tafel zu holen. Auf Krücken gestützt, kann sie keine Tasche tragen oder einen Rollwagen hinter sich herziehen. Früher, sagt Elisabeth Heindl, habe sie wenigstens beim Geschäft an der Ecke abgelaufene Lebensmittel mitnehmen können, die die Mitarbeiter abends neben die Tonne legten.

Jetzt landen die Lebensmittel in der Tonne. Sie ist verschlossen. ,,Die sagen, sie dürfen mir nichts mehr geben.'' Von Nachbarn bekommt sie manchmal Essen geschenkt. Vom Mittagstisch packt sie die Reste der anderen in eine Tupperschüssel ein.

Bayerisches Bier-Gulasch mit Brezenknödel steht für nächste Woche auf der Karte. Elisabeth Heindl reibt sich die Hände und blickt Doris Hohenleitner an: ,,Lecker! Und jetzt drücken's mir noch die Daumen, dass morgen beim Flohmarkt eine Hose in Größe 50 für mich dabei ist.''

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