Not in der Großstadt (13):Hier ein Grieche, dort ein Deutscher

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Dann bleibt nur Hartz IV: Das Schicksal eines jungen Mannes, der zwar in München geboren, aber in zwei Welten aufgewachsen ist.

Astrid Becker

Alex N. sitzt auf einem dunkelblauen Sofa, aus dem an manchen Stellen schon die Federn herausragen, und füttert seine kleine, 13 Monate alte Tochter Anna. Vor seinen Füßen spielt deren Zwillingsschwester Isabell mit ein paar Holzklötzen. In der Zeitung, erzählt Alex N., habe er von Vätern gelesen, die sich aus Karrieregründen zu wenig um ihre Familie kümmern könnten. ,,Die ewig abwesenden Männer, hieß es da'', sagt er. ,,Auf mich trifft das nicht zu, ich habe Zeit für meine Kinder. Viel Zeit.'' Alex N. versucht zu lächeln.

(Foto: Foto: Derlath)

Doch seine Bitterkeit kann der 26 Jahre alte Grieche, der seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen will, nicht verbergen. Weil es dann noch schwieriger werde, wie er meint. Sein Problem, so sagt er wenig später, beginne bereits bei der Frage nach seiner kulturellen Identität: ,,Für die Deutschen bin ich Grieche, für die Griechen Deutscher.''

Mit dieser Aussage bringt er die Lage vieler arbeitsloser Ausländer im Alter von 20 bis 25 Jahren in München auf den Punkt. Knapp 2000 Fälle allein aus dieser Gruppe sind derzeit in der Stadt gemeldet. Viele von ihnen sind hier geboren, sprechen Deutsch besser als ihre Muttersprache und finden aber dennoch keinen Job. Alex N. ist einer von ihnen.

Dabei schien der heute 26 Jahre alte Grieche zunächst vom Schicksal begünstigt. Seine Eltern, die vor 35 Jahren nach München kamen, hatten den Wunsch, ihr Sohn möge es einmal besser haben als sie. Wohl beseelt von dem Gedanken, irgendwann in die Heimat zurückzukehren, schickten sie Alex auf eine griechische Schule.

Das heißt: sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Gymnasium, drei Jahre Lyzeum. Die Abiturprüfung hätte er jedoch in Griechenland ablegen müssen. Als er sich dort dafür anmeldet, heißt es, das Schulsystem habe sich komplett geändert, es gebe neue Bücher, er habe gerade einmal einen Monat Zeit, um den Stoff von einem Jahr nachzulernen. Und das, obwohl dieses Abitur nur in Griechenland anerkannt wird, nicht in Deutschland. Alex gibt auf, und kehrt nach sechs Monaten beim griechischen Militär nach Deutschland zurück.

Er beschließt, sich lieber hier eine Ausbildung als KFZ-Mechaniker, Elektroinstallateur oder auch Bürokaufmann suchen. Doch niemand will ihm eine Lehrstelle geben - weil seine Schulbildung hier nicht als weiterführend angesehen wird, obwohl sie es ist. Ein Blick in die jährlich erscheinende Schulstatistik belegt, dass Alex damit sogar eher zu einer Minderheit unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund zählte: Nur zehn Prozent aller Gymnasiasten kommen aus ausländischen Familien, bei Realschulen sind es 22, bei den Hauptschulen gut 50 und bei Förderschulen 40 Prozent.

Als es nach Hunderten von Bewerbungen endlich klappt, ist Alex glücklich. Genau ein Jahr lang. Dann geht sein Arbeitgeber pleite. Und Alex' Suche nach einer Lehrstelle beginnt erneut. Er findet wieder einen Ausbildungsplatz, wird aber am letzten Tag der Probezeit gekündigt: ,,Ich glaube, die wollten nur ihre Baustelle zu Ende bringen und brauchten eine billige Arbeitskraft'', sagt er. Noch einmal sollte ihm das Glück hold sein. Seine Ausbildung kann er zwar nicht beenden, er wird aber in einer Tankstelle festangestellt, in der er ab und an einmal als Aushilfe gejobbt hatte.

Drei Jahre geht es das gut, dann gibt sein Chef die Tankstelle ab, Alex steht wieder vor dem Nichts. Seit zwei Jahren ist er nun bereits arbeitslos. Er hat eine Frau und zwei Kinder und lebt von Hartz IV. Berufserfahrung kann er noch immer nicht vorweisen. Weil ihm, in seinem Alter, niemand mehr eine Chance gebe, sagt er. Und weil er, für die Deutschen, nur den qualifizierten Hauptschulabschluss habe. Auch nach Griechenland kann er nicht zurück. Die Lebensqualität dort sei zwar besser: ,,Die Menschen lachen mehr.''

Doch auf Unterstützung könne er dort nicht hoffen. Es sei wie hier: ,,Die Unternehmer bevorzugen Griechen, die in Griechenland aufgewachsen sind.'' Sein griechischer Pass helfe ihm nicht weiter: ,,Ich bin für die Menschen dort ein Fremder, ein Deutscher.'' Finanzielle Hilfen vom Staat seien in der Heimat seiner Eltern nicht zu erwarten. Das sei in Deutschland besser.

Seine Familie und er leben von 1200 Euro - bestehend aus Hartz IV, Kinder- und Erziehungsgeld. Die Miete ihrer Wohnung in Berg am Laim - 650 Euro - werde bezahlt. Mit Ausnahme des Kinderzimmers stammten sämtliche Möbel von seinen Schwiegereltern, erzählt Alex. Doch jetzt ist ein Großteil davon kaputt, eine neue Einrichtung ist nicht drin. Hätte Alex das einzige Angebot der Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (Arge), das er jemals erhalten hat, angenommen, hätte er einen Monat lang bei einer Leihfirma arbeiten können - für 900 Euro netto: ,,Diesen Job konnte ich mir nicht leisten, ich wäre nach vier Wochen wieder arbeitslos, hätte aber womöglich meinen Anspruch auf Hartz IV verspielt.'' Weitere Angebote habe er nicht bekommen, sagt er.

Beim Ausländerbeirat reagiert man darauf nicht verwundert. Die Arge, so heißt es, habe schon Mühe, die vielen Deutschen mit den gleichen Problemen zu vermitteln. ,,Eigentlich braucht man gar nicht hingehen'' ist vielerorts zu hören. Die Förderungen, die Arbeitsagentur, Arge und Stadt anbieten - 2006 immerhin 30.000 bis 40.000 Euro pro Kopf für 1000 Zuwanderer - kämen vor allem denjenigen zugute, die erst jetzt nach Deutschland kommen. ,,Ja, die haben es besser'', sagt auch Alex.

Er will nun selbst aktiv werden und den Taxischein machen. Wie er das Geld dafür zusammenbringen soll, weiß er allerdings nicht. Nur, dass der Schein eine Chance ist. Wohl seine letzte.

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