Neues Flughafen-Terminal:Der Raum vorm Fliegen

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Das neue Terminal2 des Münchner Flughafens: Ein ästhetisches Himmelfahrtskommando aus Haxn-Oper-Sushi-Flughafen und Airport-Noodle-Snack-Lust.

Gerhard Matzig

(SZ vom 26.6.2003) — Der Tag, an dem wir uns vor dem neuen Terminal 2 des Münchner Flughafens fast zu Tode fürchten mussten, war ein Freitag. Ein schwarzer Freitag. So schwarz wie ein Luftfahrt-Himmel voller schwärzester, betriebs- und volkswirtschaftlich folglich schönster Zahlen: voller unfassbarer Umsatzzahlen, gigantischer Gewinnaussichten und wahnwitziger Wachstumsprognosen.

Es war Freitag, der 20. Juni 2003, als in dieser Zeitung unter der auch sonst bemerkenswerten Überschrift "Am Airport steht ein Hofbräuhaus" zu erfahren war, dass sich die Terminal-2-Gastronomie "auf Reisende mit Lust auf einen schnellen Snack" eingestellt habe.

Weshalb nun, wenn — wiederum an einem Freitag — das neue Abfertigungsensemble feierlich eröffnet wird (bestehend aus zentraler Halle und Pier, Verwaltung, Gepäcksortierhalle, Vorfeld, Vorfahrten und einem gewaltigen Parkhaus mit 6400 Stellplätzen), weshalb nun auf all die erhofften oder tatsächlichen Lustreisenden zukünftig außer dem "Mangostin Airport" samt Noodle Bar, Sushi und Thai-Food auch ein "Hofbräuhaus im Flughafen" wartet.

Dieses Flugbräuhaus verstehe sich "als Mischung aus dem Spatenhaus an der Oper und Haxnbauer". 45 Millionen Fluggäste könnten das schon bald erleben — Jahr für Jahr.

Ästhetisches Himmelfahrtskommando

Du lieber Himmel! Wenn es einen Gott der Lüfte gibt, der sich nebenbei um die Flughäfen kümmert: er möge uns schon um der 45 Millionen Augenzeugen willen beistehen. Denn die Mischung aus Haxn-Oper-Sushi-Flughafen und Airport-Noodle-Snack-Lust kann nur als ästhetisches Himmelfahrtskommando bezeichnet werden.

Als eine Angst vorm Fliegen, die auch abseits des gastro-ökonomischen Irre-Seins im Zeichen lachhafter Ambientisierungs-Versuche immer öfter zu einer Angst vor dem Shoppen im Gefolge des Fliegens mutiert.

Also zu einer Angst vor jenen Flughäfen, die nicht von der puren Lust und dem reinen Abenteuer des Reisens künden wollen, von Aufbruch, Abflug, Ankunft, Rückkehr, vom Unterwegssein im freien Raum, sondern die nur noch transitorische Zwangsräume des adipös wuchernden Boarding-Kommerzes sein können: vollgerümpelt mit diversen Imbissbuden und diversen Läden — wobei sich der Reisende, der Gast, mit der Wirtschaft auch am Flughafen nicht zufällig zur Luftgastwirtschaft vereinigt.

Tatsächlich dienen die neueren Flughäfen und Flughafenerweiterungen der Gegenwart (ob nun in Köln, Hamburg oder Stuttgart, ob nun in Shanghai, Paris oder Chattanooga) kaum noch dem Wandel, dem Durchgang; sie dienen allein dem Handel, dem Verbleib: am besten natürlich dem Verbleib von jeder Menge Aufenthalt und jeder Menge Geld: Und zwar auf der richtigen Seite der Rollbahn.

Terminal2: der "Lufthansa"-Fortsatz

Und auch das von der Flughafen München GmbH (FMG) und der Deutschen Lufthansa AG als singuläres Gemeinschaftsprojekt — sozusagen als "Lufthansa"-Fortsatz des bisher allein regierenden "Franz-Josef-Strauß"-Flughafens — betriebene Terminal, das von dem Münchner Architekturbüro Koch+Partner entworfen und realisiert wurde, dient den lufthansahaften "Miles" eher vordergründig. Hintergründig geht es um das "More.

Wobei die architektonische, großzügig dimensionierte Hülle dieses More durchaus gelungen ist; das Terminal trumpft sogar glanz- und kraftvoll gegen die reine Lehre der zeitgenössischen Betriebswirtschaft auf — zugunsten der Formenlehre der zeitgenössischen Baukultur. Aber man kann sich das überzeitliche More-is-more-Credo der Lufthansa und der FMG im neuen Terminal dennoch als Hofbräuhaus imaginieren: mit schmiedeeisernen Kronleuchtern, Zirbelstuben-Mobiliar und einer Ahnung von Oktoberfest-Nationalstolz.

Beziehungsweise als Thai-Stube: samt Bambusgehege. Oder als Käfer-Theke (errichtet als französisches Bistro) oder als Dallmayr-Tempel (errichtet als Dallmayr-Tempel). Oder als Boss-Shop, Nokia-Shop, Zegna-Shop, Aigner-Shop, Edeka-Shop, Apotheken-Shop, Blumen-Shop. Und irgendwo auf diesen sagenhaften 26.0000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche, eingehaust von mehr als zwei Millionen Kubikmetern Raum, wird sich gewiss auch ein Shop-Shop finden lassen.

Maximum, Optimum

Von der neuen Besucherterrasse aus betrachtet, wo es dem Bauherrn außerdem auch gefallen hat, aus kindischen Motiven sowie aus kindgerechten, benettonbunten Legosteinen einen großen Elefanten und eine große Giraffe errichten zu lassen, von dort aus betrachtet, erscheint es einem durchaus als kleines Wunder, dass das neue Terminal dem Besucher dennoch mit architektonischem Stolz, mit konstruktiver Finesse und räumlicher Großzügigkeit gegenübertritt.

Dies ist aber eher dem Architekten Norbert Koch (und seinen Partnern Wolf-Dieter Drohn, Michael Schneider und Wolfgang Voigt) zu danken — als dem Anonymus der bauherrlich lufthanseatischen FMG-Truppe.

Anders ausgedrückt: Die Architektur des neuen Terminals ist ein Maximum an Architektur, eine Gestaltung des Möglichen. Das Optimum an gestischer Gestaltkraft und suggestiver Raumwirkung wäre etwas anderes. Beispiele dafür muss man allerdings eher im Fundus der Baugeschichte suchen (einzigartig, unvergleichlich: Eero Saarinens TWA-Terminal am New Yorker JFK- Airport aus den fünfziger Jahren) — als im Corporate-Identity-Seminar der Lufthansa oder im Renditehandbuch der FMG.

Dennoch lässt sich die Raumkunst des neuen Terminals sehen — jedenfalls sofern man am paläontologisch skelettierten Werbe-Delirium von BMW in der großen Halle sowie an all den typischen, gräulich-gelblichen Check-in- Behausungen der Lufthansa vorbei sieht.

Dann nämlich stellt sich einem die Abfertigungshalle, spektakuläre 170 Meter lang, 140 Meter tief und 30 Meter hoch, in ihrer rundum gläsernen, lichten Strahlkraft dar: als eine opulente Feier des Raumes und der Schönheit des Tragwerks, als großartiges Lichtspiel von Transparenz und Transluzenz.

Diese staunenswerte Halle, von der aus zentral - also im deutlichen Unterschied zu Terminal 1 — der langgestreckte Pier mit seinen beiden Abflug- und einer Ankunftzone erschlossen wird, versammelt alle "T2"-Reisenden. Wer allerdings mit der S-Bahn das neue Terminal ansteuert, muss den alten, trübsinnigen Terminal-Bahnsteig nutzen, und zwar dessen äußerstes Ende.

Man muss also auf dem kofferbeladenen Weg zum neuen Terminal den größten Windfang der Welt queren: Helmut Jahns bizarre Landschaft des Munich Airport Center (MAC), die immer noch so aussieht, als leide sie unter einer seltenen Hautkrankheit.

Flughafen der langen Wege

Übrigens wird sich auch der Verzicht auf einen Shuttle, der beide Terminals verbindet, noch bemerkbar machen: Wer künftig die LH 5805 aus Marseille irrtümlich im Terminal 1 erwartet, um sich daraufhin in großer Hast und mit welkenden Blumen in der Hand die Strecke bis zum Terminal 2 zu erkeuchen, der wird über den bisher eher falschen Witz vom "Flughafen der langen Wege" neu nachdenken können.

Wer es aber glücklich bis in die souveräne Glasbaukunst, in die granitene, stählerne, immer aber lichterfüllte Baukörperlandschaft des neuen Terminals geschafft hat, in das In- und Miteinander von Abflug- und Ankunftebenen, Skywalk, Treppen, Liften, Lounges — dem enthüllen sich auch architektonische Eleganz, Noblesse und Leichtigkeit.

Und doch vergisst man nicht, dass die von den Bauherren schon mit dem MAC erstrebte Kubatur der Käuflichkeit jenes Architekturgebilde des Terminals 1 (Architekt: Hans-Busso von Busse) nun wie eine gebaute Lüge aussehen lässt. Einst wurde der schon aus Naturschutzgründen berechtigte Protest gegen den Flughafen ("das Monster im Moos") von der Flughafengesellschaft mit Hilfe der Architektur entkräftet. Diese würde, sagte man oft, eine der Bescheidenheit werden. Lange her.

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