Neue U-Bahn-Stationen:4,4 Kilometer U-Bahn - und zwei strittige Tafeln

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Bei der Eröffnung der neuen Stationen der U6 in Garching hat es Proteste gegeben. Auch Oberbürgermeister Ude nennt die Ehrung zweier Flugzeugbauer an der Endhaltestelle "problematisch".

Bernd Kastner

Die beiden Bahnhöfe in der Stadtmitte und am Forschungszentrum wurden nach fünfeinhalbjähriger Bauzeit auf den letzten Drücker (fast) fertig. Die U6 verbindet nun das Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität und das LMU-Hauptgelände in der Stadt mit dem Forschungszentrum in Garching. Dort sind vor allem Institute der Technischen Universität (TU) beheimatet sind, an denen mehr als 10000 Personen studieren und arbeiten. Bislang endete die U6 in Garching-Hochbrück, von dort aus musste man mit Bussen weiterfahren. Die neue Trasse verläuft weit gehend unterirdisch.

Münchens Neue: die U-Bahnstation Garching Forschungszentrum (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Oberbürgermeister Christian Ude sprach von einem "Quantensprung" in der Entwicklung des Münchner Nahverkehrssystems. Erstmals sei nun eine Nachbargemeinde an die U-Bahn angeschlossen. Garching, meinte Ude, sei jetzt weltweit die Stadt mit der höchsten U-Bahn-Dichte: "Ihr habt jetzt drei U-Bahnhöfe, aber seid nur ein paar Leut'" - genau genommen 16000. Die verlängerte U6 bringe natürlich den Studenten "mehr Lebensqualität", sagte Ude und fügte ironisch hinzu: Studenten, die den ganzen Tag in München büffeln, könnten fortan abends bequemer das Nachtleben in Garching genießen.

Als TU-Präsident Wolfgang Herrmann ans Rednerpult trat und die neue "University Line" als "wichtigste Infrastrukturmaßnahme in der 50-jährigen Garchinger Wissenschaftsgeschichte" zu loben begann, flogen Papierflieger in den Ehrengastbereich. Damit protestierten mehrere Bürger, die keiner festen Organisation angehören, gegen die Ehrentafeln für die Flugzeugbauer Willy Messerschmitt und Claude Dornier im Endbahnhof Forschungszentrum.

Dort hängen zahlreiche Wandtafeln, die an herausragende Wissenschaftler wie Albert Einstein, Rudolf Diesel oder Max Planck erinnern. Die Ehrung für Messerschmitt und Dornier ist umstritten, weil die beiden die Kriegsproduktion des nationalsozialistischen Regimes unterstützten sowie Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in ihren Fabriken einsetzten. Die Papierflieger waren beschriftet mit Sätzen wie: "Messerschmitt - gebaut von Zwangsarbeitern".

Auf einem Transparent, von zwei Demonstranten während des gesamten Festaktes hochgehalten, stand: "Ehrung der Täter = Verhöhnung der Opfer." Verteilt wurden auch Flugblätter mit der Forderung: "Opfer entschädigen statt Täter würdigen." In einer Erklärung fragte eine Gruppe von "Münchner Bürgern": "Was bedeuten diese Ehrentafeln für internationale Gäste, deren Großeltern oder auch Eltern als Zwangsarbeiter in Deutschland zu Tode gekommen sind? Sollen sie Begeisterung aufbringen für die wissenschaftlichen Leistungen dieser beiden Männer?"

Auf den in blau gehaltenen Tafeln, größer als eine gewöhnliche Reklametafel und jeweils ergänzt mit einer Flugzeug-Grafik, werden Messerschmitts und Dorniers technische und wissenschaftliche Leistung gewürdigt, ihre Zusammenarbeit mit dem Hitler-Regime aber jeweils nur in einem fast gleich lautenden Satz erwähnt: "Seine Firma baute während des Zweiten Weltkrieges Kampfflugzeuge, auch unter Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, von denen viele dabei zu Tode kamen."

Dagegen hatten unter anderem die Jüdische Gemeinde und die Lagergemeinschaft Dachau protestiert. Auch im Münchner Rathaus sorgten die Tafeln für Ärger: Die Grünen forderten Ude zur Intervention auf, schließlich handle es sich um die Endstation einer Münchner U-Bahn. Später verlangte der grüne Rathauschef Siegfried Benker von Ude, dem Festakt fernzubleiben oder zumindest deutliche Kritik zu üben.

Während Peter Paul Gantzer (SPD), der Vizepräsident des Landtags, wegen der Tafeln dem Festakt fernblieb, kam Ude. Er wählte, diplomatisch verpackt, Formulierungen, die man an diesem Festtag als deutliche Kritik interpretieren kann. Einerseits verteidigte er sein bisheriges Schweigen mit dem Hinweis, dass die U-Bahnhöfe allein Sache der Stadt Garching seien. Allerdings müsse man so eine Ehrung öffentlich diskutieren. Ude unterstützte das Anbringen der Tafeln nicht, sondern sagte lediglich, die Nachbarstadt brauche sich "keinen besonders unkritischen Umgang vorhalten lassen".

Andernorts habe man wesentlich bedenkenloser die beiden umstrittenen Ingenieure geehrt. Dennoch nannte Ude eine Ehrung in dieser Form, auch wenn sie "mit Fußnoten" versehen sei, "problematisch". Die Rolle von TU-Chef Herrmann, der auf Tafeln für Messerschmitt und Dornier bestand und erst nach öffentlicher Kritik den kritischen Zusatz einfügen ließ, erwähnte der OB nicht. Statt dessen rief er allgemein Naturwissenschaftler und Techniker auf, sich bei der Verwendung ihrer Errungenschaften ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu sein.

Garchings Bürgermeister Manfred Solbrig (SPD) ging in seiner Rede überhaupt nicht auf die Tafeln ein. Herrmann ignorierte die Papierflieger und das Transparent. Statt dessen bedankte er sich für die "differenzierte und gewissenhaften Diskussionen" beim Garchinger Stadtrat. Der hatte ihn zweimal geladen und immerhin den Hinweis auf den Einsatz von Zwangsarbeitern durchgesetzt.

© SZ vom 16.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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