Neue Kooperation:Hilfe für die Helfer in psychischen Krisen

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Ab jetzt werden sie enger mit der Polizei zusammenarbeiten (von links): Martin Spuckti, Karin Majewski und Josef Mederer. (Foto: Catherina Hess)

Oft wird die Polizei gerufen, wenn Menschen in Krisen stecken und dadurch sich selbst oder andere gefährden. Nun bekommen die Beamten Unterstützung von mobilen Einsatzteams. Binnen einer Stunde können sie bei den Betroffenen sein

Von Sven Loerzer

Wenn Menschen in seelische Krisen geraten, voller Angst oder verwirrt sind, vielleicht sogar äußern, sich selbst oder anderen Menschen etwas anzutun, dann wird meist die Polizei gerufen: Im Schnitt sind es allein in München vier Einsätze pro Tag, die eine psychische Krise als Hintergrund haben. Solche Einsätze seien trotz Schulungen für die Beamten sehr schwierig zu bewältigen, räumt der Münchner Polizeivizepräsident Norbert Radmacher ein. Umso mehr freut er sich darüber, dass seine Kollegen nun einen "sehr starken, professionell aufgestellten Partner" an ihrer Seite haben: Sie können sich an allen Wochentagen Hilfe beim Krisendienst Psychiatrie holen: Reicht die rund um die Uhr erreichbare telefonische Unterstützung nicht aus, kommt ein mobiles Einsatzteam, das sich um den Betroffenen kümmert und ihm fachgerechte psychiatrische Hilfe vermittelt.

Für Bezirkstagspräsident Josef Mederer geht es dabei um weit mehr, als nur die Vorgabe des neuen Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes zu erfüllen. Ziel sei es zu vermeiden, dass psychisch Kranke gegen ihren Willen in einem Krankenhaus untergebracht werden müssen. Denn bislang wurde, wenn "Gefahr im Verzug" war, also Eigen- oder Fremdgefährdung wegen Äußerungen oder Handlungen anzunehmen war, wie es im Fachjargon heißt, die einstweilige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet. Mederer, der lange Zeit im Rettungsdienst ehrenamtlich tätig war, hat solche Einsätze bei seelischen Krisen oft erlebt. Wenn Notarzt, Rettungsdienst und Polizei anrücken, dann wirkt das häufig bei psychischen Krisen eher eskalierend: "Die Polizei musste oft im Rettungswagen mitfahren", nicht selten kamen Handschellen zum Einsatz. Derartige Zwangsunterbringungen müssten die Ausnahme werden. Mederer ist überzeugt, dass der Krisendienst Psychiatrie, den der Bezirk für ganz Oberbayern aufgebaut hat und jährlich mit 7,4 Millionen Euro finanziert, die Menschen davon überzeugen kann, dass sie freiwillig mitgehen und sich in eine Klinik begleiten lassen. "Wer das macht, wird auch eher bereit sein, sich therapieren zu lassen."

Ohnehin schafft oft ein längeres Gespräch mit den Krisendienst-Experten bereits Entlastung. Sie vermitteln, wenn nötig auch ganz kurzfristig, einen Termin bei einer psychiatrischen Ambulanz, sodass die Einweisung in eine psychiatrische Klinik oft gar nicht nötig wird. "Auch wir möchten Unterbringungen vermeiden", betonte Polizeivizepräsident Radmacher. Deswegen haben jetzt alle drei oberbayerischen Polizeipräsidien - München, Oberbayern Süd und Oberbayern Nord - eine Kooperationsvereinbarung mit den Kliniken des Bezirks Oberbayern abgeschlossen, denn die Leitstelle des Krisendienstes ist beim Isar-Amper-Klinikum angesiedelt. Als Partner bei der Umsetzung des Angebots sind die Wohlfahrtsverbände beteiligt. Sie stellen die mobilen Einsatzteams, die bei Bedarf bislang an Werktagen zwischen neun und 21 Uhr und an Sonn- und Feiertagen zwischen 13 und 21 Uhr innerhalb einer Stunde zu den Betroffenen kommen. "In vielen Fällen gelingt es, gemeinsam mit den Betroffenen eine Lösung zu finden, sodass sich die Polizei zurückziehen kann", erklärte Karin Majewski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Rund 23 500 Menschen aus ganz Oberbayern haben im vergangenen Jahr die Telefonnummer der Leitstelle des Krisendienstes, 0180-655 3000 gewählt. Dass Außenstehende eher die Polizei rufen, ist für deren Ärztlichen Leiter Michael Welschehold durchaus verständlich. "Menschen, die ein sehr ungewöhnliches Verhalten zeigen, wirken häufig auf andere bedrohlich." Knapp 1900 Einsätze verzeichneten die mobilen Teams. Im Herbst will der Bezirkstag über ein Konzept beraten, wie auch dieses Angebot auf 24 Stunden an allen Wochentagen ausgeweitet werden kann. Die Kliniken des Bezirks Oberbayern, sagte deren Vorstandsvorsitzender Martin Spuckti, hätten sich an der Entwicklung des Krisendienstes aktiv beteiligt, "um nicht nur Hilfe zu bieten, wenn die Belastung am größten ist", sondern auch Prävention: "Unterbringungsfälle sind sehr belastend und sollten möglichst vermieden werden."

Rudolf Starzengruber, Vorstandsmitglied der Oberbayerischen Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener, sprach deshalb von einem "Glückstag für Oberbayern, dass die Polizei jetzt mit im Boot ist, um Zwangseinweisungen zu verhindern". Der Krisendienst suche zudem Betroffene in Zivilkleidung auf, das trage zum Stigma-Abbau bei und verhindere Traumatisierung. "Wenn der Betroffene Hilfe annimmt, kann sich die Polizei zurückziehen", bekräftigte Radmacher. Die Grenzen seien allerdings erreicht, "wenn Betroffene durch Rauschmittel einer Kommunikation nicht zugänglich sind".

Die Kooperation zwischen Polizei und Krisendienst habe schon jetzt die Zahl der Einweisungen "massiv reduziert", betonte Mederer. Ihn ärgert deshalb besonders, dass sich die Krankenkassen, denen so Kosten erspart bleiben, nicht an der Finanzierung des Krisendienstes beteiligen.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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