Nächstes Jahr New York:Samtsuppe im Prinzenflügel

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Weil der Münchner Gastronomiepreis Eckart internationaler werden soll, wird er diesmal im prachtvollen Versailles verliehen. Namensgeber Witzigmann trifft dort auf selbstbewusste Kollegen und 160 größtenteils beeindruckte Gala-Gäste: "Wir, allein hier im Schloss!"

Von Marten Rolff

Nein, Alain Ducasse ist sicher kein Mann, der noch irgendeine Auszeichnung bräuchte. In Frankreich hat der Koch den Status eines Nationaldenkmals. Der 61-Jährige gilt als großer Modernisierer der Haute Cuisine. Sein Gourmetimperium reicht von Tokio bis New York und ist mit 18 Michelin-Sternen dekoriert, drei seiner Restaurants halten drei Sterne, das hat bis heute kein anderer geschafft. Und wenn dieser Mann als Temposünder erwischt wird, hat er mal im Interview erzählt, dann kann es vorkommen, dass die Gendarmen sich entschuldigen, ihn weiterfahren lassen und noch salutieren. Schließlich: Einer, der quasi im Akkord Preise für Frankreich sammelt, kann ja nur auf der Überholspur unterwegs sein. Und so steht Alain Ducasse auch an diesem Donnerstagabend wieder auf einer Gala-Bühne, umklammert mit der einen Hand die Vierkant-Stele des "Eckart 2017", mit der anderen die Schulter seines Laudators Eckart Witzigmann und strahlt, als habe er gerade den Oscar entgegengenommen.

Doch weil nicht nur der Preisträger, sondern auch sein mit Charme dekoriertes Selbstbewusstsein legendär sind, klingt es stets ein wenig, als habe nicht Witzigmann gerade Ducasse ausgezeichnet, sondern Ducasse Witzigmann: Danke, danke, ja, ja, welche Ehre! "Eckart, du warst einer der ersten Botschafter des französischen Savoir faire in Deutschland." Und: "Wir Franzosen halten die Werte hoch und werden auch weiterhin kulinarisch führend sein." Applaus. Applaus!

Nicht der Münchner "Jahrhundertkoch" (so ein Gault Millau-Titel) Witzigmann, sondern Ducasse ist an diesem Abend Gastgeber für die 160 Gala-Gäste. Und wie er gleich auffahren wird: Creme von provencalischen Kichererbsen auf marinierter Rotbrasse, Samtsuppe von bitteren Kräutern mit "Pain des Amis-Royale", Goldener Kaviar auf San-Remo-Garnelen, Wolfsbarsch mit wildem Fenchel und Zitrusfrüchten oder Steinpilze, Aubergine und Feigen auf Bretagne-Hanf.

So weit, so vielversprechend. Doch streng genommen hätte Ducasse auch den Pizzaservice bestellen können. Denn an diesem Ort muss sich keiner auf sein Essen verlassen: Serviert wird im Prinzenflügel von Schloss Versailles; in der Galerie des Batailles, ein Saal von 120 Metern Länge und 13 Metern Breite. Die Wände zieren 33 Ölgemälde siegreicher französischer Schlachten aus 14 Jahrhunderten, auf Säulen stehen die Büsten von 82 französischen Heerführern.

Die meisten Gäste, unter ihnen süddeutsche Hochadlige, französische Starköche wie Joel Robuchon und der deutsche Botschafter in Paris, dürften schon einiges gesehen haben. Doch bereits im Marmortreppenhaus beginnt das große Geraune: "Unglaublich" flüstern sie hier. Oder: "Wir, ganz allein im Schloss!" Für die kommenden drei Stunden werden sie weniger mit dem Menü beschäftigt sein, als damit, die sie umgebende Pracht aufs Handy zu bannen und die Fotos nach Hause zu schicken. Dass dieser Abend kaum schiefgehen kann, konnten Ducasse und Witzigmann bereits an den Reaktionen der Gäste beim Aperitif auf der Schlossparkterrasse ablesen, als zu klassischer Musik und Sonnenuntergang die Wasserspiele einsetzten.

Doch warum gastiert ein Münchner Gastronomiepreis in Versailles? Eine Auszeichnung, die sonst in den nüchternen Hallen des Sponsors, in der BMW-Welt vergeben wird? Und die in der Vergangenheit so seltsam unterschiedliche Preisträger wie die Viktualienmarktfrauen und Simply-Red-Sänger Mick Hucknall (unter anderem geehrt für sein Engagement für sauberes Flusswasser) unter einen Hut brachte? Der Preis sollte internationaler werden, sagt Eckart Witzigmann. "Und was läge näher, als eine internationale Tour in Frankreich zu starten", der Heimat der Hochküche?

Noch wichtiger ist jedoch die Frage, ob ein Preis, der sich dem etwas sperrig-schwammigen Thema "Nachhaltigkeit, Lebensart und gesellschaftliche Verantwortung" verschrieben hat, mit solchem Pomp begangen werden muss. Aber "bien sur", sagt Ducasse. Schließlich käme den Avantgarde-Köchen eine Vorreiterrolle zu. Sich gesünder ernähren, nachhaltiger haushalten, weniger Fleisch essen - von wem sollten die Impulse dafür kommen, wenn nicht von der Hochküche, fragt er.

Was den Rahmen betrifft, so glaubt der Starkoch seit Jahren an das Credo: Die Lebensmittelindustrie mag die Macht haben, aber "die Haute Cuisine hat die Aufmerksamkeit!" - und die wusste Ducasse immer schon zu nutzen. Erst im Sommer hat er im Eiffelturm-Restaurant Donald Trump bezirzt, einen Mann, der behauptet, sonst am liebsten Burger oder Steak mit Ketchup zu essen.

Nun mag das Wort Nachhaltigkeit an diesem Gala-Abend eine Idee zu häufig im Munde geführt worden sein. Doch zumindest in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie bleibt man keinen Beweis schuldig. Denn im Glanz von Versailles dürfen nun auch unbekannte Preisträger strahlen. Etwa die kalifornische Werbevideo-Regisseurin Tiffany Persons, die in Sierra Leone mit einem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekt erfolgreich ist und nun in Seidentaft vor den Fotografen im Schlosspark posiert. Oder Marìa Marte aus der Dominikanischen Republik. Sie kam als Immigrantin nach Spanien und arbeitete als Tellerwäscherin. Als der Chefkoch ging, übernahm sie. Sie hatte sich alles von ihm abgeschaut und hält nun zwei Michelin-Sterne.

Jeder Preisträger darf sich über 50 000 Euro freuen, die an ein selbst gewähltes, karitatives Projekt gebunden sind.

Am Ende dürfte sich der Ausflug für die Münchner Delegation gelohnt haben. Die Logistik war für die Spitzenköche zwar ein Albtraum, schließlich durften sie im Schloss erst nach der Schließung aufbauen und in den Gängen nicht mit offenem Feuer hantieren. Doch bei diesem Veranstaltungsort, "da haben sogar die Franzosen geschaut", sagt Eckart Witzigmann und grinst erleichtert. Stellt sich nur die Frage, was der Münchner Jahrhundertkoch im kommenden Jahr machen wird, wenn sein Preis in New York gastieren soll. Der einzige Koch dort, der Zugang zu Schlössern hat, ist Alain Ducasse. Aber wer weiß, vielleicht öffnet Donald Trump ja auch das Weiße Haus.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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