Nachruf:"Gehorchen und lügen"

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Brunhilde Pomsel war Sekretärin von Joseph Goebbels. Nun ist sie im Alter von 106 Jahren in einer Münchner Seniorenresidenz gestorben. In wenigen Wochen wird das Buch "Ein deutsches Leben" über sie erscheinen

Von Susanne Hermanski

Es ist erst wenige Monate her, da gab Brunhilde Pomsel noch unglaublich detailgetreu Auskunft über ihr Leben. 105 Jahre war sie im vergangenen Sommer beim Münchner Filmfest alt. Auf eines war man nicht gefasst: Dass diese Dame vergleichsweise flink in den Plüschraum im Montgelas-Palais des Bayerischen Hofs tritt, dass sie nur ein wenig Hilfe braucht, um ihren Stuhl zu finden, weil sie kürzlich erblindet ist, und dass sie fortan jede Frage, die man stellt, präzise, überlegt und mit fester Stimme beantwortet.

Brunhilde Pomsel hat anlässlich der Premiere von "Ein deutsches Leben" auf dem Münchner Filmfest Interviews gegeben. Darin hat der Wiener Filmemacher Christian Krönes mehr als 30 Stunden von Gesprächen mit ihr ausgewertet und aus dem Material einen 100-minütigen Dokumentarfilm destilliert, den er zum Teil mit drastischen Bildern des Holocaust und Passagen aus Propaganda-Reden illustrierte. Denn Brunhilde Pomsel war Sekretärin von Joseph Goebbels. Sie bezeichnete sich selbst stets als "Randfigur" und als ein "unpolitisches Mädchen", das vielleicht nicht gerade zufällig, aber doch aus ganz anderen Gründen als unterstellt, im Propagandaministerium landete. Denn, und das betonte Brunhilde Pomsel gern: Sie war Stenotypistin und zwar "die schnellste".

Als sie 1942 in Goebbels Büro anfing, war sie immerhin schon 31 Jahre alt. Pomsel wurde am 11. Januar 1911 in Berlin geboren. Ihre Erinnerungen reichten bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zurück. Bis kurz vor ihrem Tod konnte sie immer noch plastisch erzählen, was geschah, als der Vater auf Heimaturlaub kam: Er verbot ihr und ihren Geschwistern das Nachttöpfchen unterm Bett. Wenn sie schilderte, mit welcher Furcht sie fortan durch den finsteren Flur laufen musste, flackerte immer noch die Angst der Fünfjährigen über ihr Gesicht, das längst schon zur dramatischen zerklüfteten Landschaft geworden war. "Gehorchen, lügen, die Schuld auf jemand anderen schieben", sagte Brunhilde Pomsel dann: "Es wurden Dinge in den Kindern wach, die nicht in ihnen waren."

Nach der Schule arbeitete sie bei einem jüdischen Rechtsanwalt. Als der kaum noch arbeiten durfte und ihr die Stunden kürzen musste, begann sie "zum Ausgleich" die Memoiren eines Nazis der ersten Stunde ins Reine zu tippen. Über ihren damaligen Freund, der ebenfalls parteinah war, bekam sie die Information von einer freien, gut bezahlten Stelle beim Rundfunk. "Ich war da immer sehr egoistisch", sagte sie. Der Schritt vom längst gleichgeschalteten Sender zum Propagandaministerium war klein. In Goebbels Büro arbeitete sie zusammen mit drei anderen Kolleginnen in Schicht. Ihre Tätigkeit beschrieb sie im Wesentlichen als das Transkribieren von Dienstanweisungen. "Schließlich stand Goebbels eine zusätzliche Privatsekretärin zu Diensten." Nur einmal sei sie bei ihm zu Hause eingeladen gewesen, zusammen mit anderen Kollegen, bei einem Abendessen, zu dem der Hausherr kaum am Tisch gesessen habe. Auch ihn beschrieb sie anschaulich - ganz mit ihren Augen: "Er hätte schon größer sein können, um wirklich was darzustellen. Gepflegte Hände. Alles an ihm war makellos. Er tat mir nur ein wenig leid, weil er humpelte, aber er machte das alles wett mit ein bisschen Arroganz und Sicherheit. Er war ein Mann, der Contenance hatte, Haltung."

Wie relativ ihre Wahrnehmung dessen war, was die Geschichtsbücher wissen und dem, was sie erlebt zu haben glaubte, geht auch aus ihren Schilderungen der Nachkriegszeit hervor. Nach den fünf Jahren in Kriegsgefangenschaft - an Orten wie Buchenwald - setzte sie ihre Karriere beim Rundfunk fort. Sie zog nach München, blieb stets unverheiratet, ging 1971 in den Ruhestand und sagte 45 Jahre danach: "Als unpolitisch würde ich mich heute nicht mehr bezeichnen. Eher als Sozialdemokratin." Und zur Flüchtlingsdiskussion hatte sie auch eine Meinung: "Natürlich muss man sich dafür interessieren. Auf gar keinen Fall bin ich für einen Rutsch nach rechts." Am Wochenende ist Brunhilde Pomsel im Alter von 106 Jahren gestorben.

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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