Nach der Wahl:"Schade, SPD, Du warst wirklich einmal gut"

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Leser auf Ursachensuche für die Niederlage der SPD in Bayern

"Schmidt greift Kohnen an" vom 20./21. Oktober und die Nachbetrachtungen der Bayern-SPD zur Landtagswahl:

Ein Trauerspiel

Renate Schmidts Analyse des desaströsen Abschneidens der SPD bei den letzten Landtagswahlen ist nicht ganz verkehrt, greift aber zu kurz. Seit 1998 hat die SPD inzwischen zwei Drittel ihrer Wählerschaft verloren. Das erste Drittel im Jahr 2003. Es muss also die Frage berechtigt sein, was ist in den letzten 15 Jahren schief gelaufen? Die Ursachen für den Einbruch 2018 liegen also wesentlich tiefer, als Renate Schmidt glaubt. Sie liegen in der verfehlten "Personalpolitik" der SPD. Nicht nur mit Themen und Slogans war die SPD im Wahlkampf farblos, auch ihre Kandidaten blieben sehr unauffällig. Wer 15 Jahre gute Oppositionspolitik mit guten Köpfen macht, für den ist Wahlkampf Nebensache. Da fährt er die Ernte für fünf Jahre gute parlamentarische Arbeit ein. Wer aber über Jahre nicht medial präsent ist, weil er offensichtlich nichts sagen will oder auch einfach zu leise ist (!), kann auch im Wahlkampf die Defizite nicht ausgleichen. Die SPD Bayern ist und bleibt ein Trauerspiel, völlig unabhängig von der Berliner Situation. Und da fühlen sich viele SPD-Wähler in der Nach-Strauß-Ära bitter enttäuscht. Burkhard Colditz, Sindelsdorf

Anständige Positionen

"Hättest Du nur geschwiegen..." Renate Schmidt aber äußert sich redselig zum Wahlkampfstil von Frau Kohnen. Was, Frau Schmidt, ist gegen eine Kampagne "Anstand und Stil" zu sagen? Hätte sich die SPD in Berlin mit Anstand und Stil zu den Themen "Flüchtlingspolitik" und "Wohnungspolitik" klar positioniert, dann wäre bei den Wählern in Bayern ein "sozialdemokratischer Fußabdruck" angekommen. Horst G. Weller, Nürnberg

SPD hätte mehr verdient

Bei allen momentanen Schwächen der SPD: Dieses Ergebnis (9,7 Prozent) hat die SPD nicht verdient. Da hätten doch etwas mehr Wählerinnen und Wähler bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen können: Was die SPD seit ihrer Gründung im Jahr 1863 für die Menschen in Deutschland, für die Demokratie und den inneren Frieden geleistet hat. Dass nicht ein konservativer Politiker, sondern der SPD-Mann Kurt Eisner 1918 in München die bayerische Republik als "Freistaat" ausgerufen hat. Dass wir dem SPD-Mitglied Wilhelm Hoegner nach dem Zweiten Weltkrieg die vorbildliche und immer wieder lesenswerte Verfassung des Freistaats Bayern verdanken und Hoegner als bayerischer Ministerpräsident (1945 bis 1946, 1954 bis 1957) maßgeblich am demokratischen Wiederaufbau Bayerns mitgewirkt hat. Und welche konkreten Verbesserungen die SPD in den letzten Jahren durchgesetzt hat - Beispiel Mindestlohn. Die Stimme und das Engagement der SPD für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität werden uns in diesen Zeiten der Populisten und bedrohlichen Konflikte fehlen. Horst Härtel, München

Von alten Tugenden entfernt

Liebe SPD, was warst Du für eine große Partei. Mit Tradition, verwurzelt in der Arbeiterschaft, mit Fokus auf die Schwächeren. Du hast dafür gekämpft, dass die Marktwirtschaft eine soziale blieb. Nach dem Bekenntnis, eine Volkspartei zu sein auf dem Parteitag in Bad Godesberg, konntest Du auch die klassische Mittelschicht erreichen, den Facharbeiter, den Handwerksmeister, den Sachbearbeiter, den Beamten. Soziale Gerechtigkeit war Dein Thema. Das ist es zwar auch heute noch, aber Dein Handeln ist es nicht mehr. Nachdem Du nach 16 Jahren schwarz-gelber Regierung wieder einen Kanzler gestellt hast und zusammen mit den Grünen auch eine Mehrheit im Bundestag hattest, zeitweise auch im Bundesrat, ging es los.

Bekamen kranke Arbeitnehmer früher noch Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente, hast Du diese abgeschafft. Es kommt nun nicht mehr darauf an, was jemand gelernt hat, welchen Beruf er ausgeübt hatte, sondern nur noch darauf, ob er überhaupt für drei Stunden in der Lage ist, eine Tätigkeit auszuüben. Dadurch war mit längerer Krankheit ein sozialer Abstieg vorgezeichnet. Der Metallarbeiter zum Beispiel, der gut ausgebildet war und deutlich überdurchschnittlich entlohnt wurde, muss nun, trotz Berufsunfähigkeit, andere deutlich schlechter bezahlte Tätigkeiten ausüben.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war mit Sicherheit gut gedacht. Du hast im gleichen Atemzug jedoch das Leistungsniveau deutlich abgesenkt. Davon sind auch diejenigen betroffen, die zwar ihren Beruf nicht mehr ausüben können, aber noch Hilfsarbeiten auf dem Arbeitsmarkt. Nicht mal das Ersparte ist mehr sicher. Erspartes, was ja auch Ausdruck einer Lebensleistung ist, muss jetzt erst mal fast vollständig aufgebraucht werden. Liebe SPD, Deine Reformen haben dazu geführt, dass die früher mal hinzugewonnene Mittelschicht Angst hat. Angst vor Absturz, an dem sie keine Schuld hat, vor einer Krankheit, vor der Insolvenz des Arbeitgebers, beispielsweise.

Bei aller Notwendigkeit, die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren, hast Du vielen Deiner Wählerinnen und Wähler etwas weggenommen. Es ist schon ein Unterschied, ob ich etwas wegnehme oder zukünftige Steigerungen geringer ausfallen. Der Unterschied liegt darin, dass Betroffene sich auf die veränderte Situation einstellen können. Diese Chance hast Du ehemaligen Wählern genommen - eine Politik, die man eher Schwarz-Gelb zugetraut hätte. Du hast durch die Ausweitung der Leiharbeit einen der größten Billiglohnsektoren in Europa geschaffen. Du, die sich früher immer für faire und gerechte Löhne eingesetzt hat.

Und Du, liebe SPD, wunderst Dich, warum Dich keiner mehr wählt? Von Deiner Politik sind Millionen Menschen in Deutschland betroffen, jeden Tag. Die Enttäuschung sitzt tief und ist auch nicht mit Querelen um Personen und dem Verhalten in der Groko zu erklären. Du hast Dein Vertrauen seit 20 Jahren verspielt. Schade, Du warst wirklich einmal gut. Steffen Arndt, Nürnberg

Renate Schmidts Attacke gegen Natascha Kohnen ist unfair

Das geht gar nicht! Ich denke gern an die "Renate-Schmidt-Zeit" zurück. Aber gerade jetzt diese öffentlich posaunten Töne von ihr zu hören, die trotz ihrer "anderen" Gestalt auch keinen Baum ausgerissen hatte? Das hilft wirklich nicht beim aktuell anstehenden Entwicklungsprozess.

Auch muss ich an die lange Zeit der - in meinen Ohren und Augen - wenig "leuchtenden" bayerischen Galionsfiguren der SPD zurückdenken. Und ich sah es wirklich als Geschenk, dass wir hier in der bayerischen Diaspora endlich eine neue "richtige" Leitfigur hatten. Mit Ausnahme der optischen Dominanz, die ja noch eine gewisse Entwicklung vor sich hat, war und ist sie im Tonfall, in der Wortwahl, im Auftreten, im Anstand, et cetera, eigentlich in Allem: ganz klar die Gewinnerin. Und besonders toll finde ich es, dass sie in diesem wirklich unwürdigen Postenkampfgetümmel klar ihren sauberen Kurs halten konnte. Auch das saubere Contra zur Fraktionsvorsitzenden empfand ich in Ton und Form notwendig und richtig. Nicht zuletzt möchte ich auch die selbst erlebte, allseits begrüßte Kompetenz vor Ort hervorheben.

Dass sich gerade Frau Schmidt zu diesem Zeitpunkt mit diesem Ton wieder auf die Brunftwiese bringt, das passt - in meinen Augen - überhaupt nicht zu der von ihr gelegten Spur. Schade! Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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