Muslime in München:"Besser gestritten als bombadiert"

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Deutsch pauken vor dem Schlafengehen: Die Akbaris - eine Erfolgsgeschichte der Integration.

Roland Preuß

Wasla Akbari hat Lust auf Schule, was man nicht von allen Mädchen mit 17Jahren sagen kann. ,,Nach einigen Wochen Ferien kommt die Langeweile'', sagt die Gymnasiastin. Wasla durfte jahrelang keine Schule besuchen, damals, in Kabul. Die radikalislamischen Taliban hatten alle geschlossen, außer den Koranschulen.

(Foto: Foto: dpa)

Waslas Mutter Sultana, eine Russischlehrerin, unterrichtete deshalb Wasla, ihre Geschwister Sadaf und Kawar sowie einige Nachbarkinder heimlich im Haus. Jahre ging das so. Dann wollte die Familie weg, nach Deutschland. Waslas Großeltern waren schon da, die Zukunft in Deutschland sei gut, hatten sie versprochen.

Im September 2000 kam Sultana mit ihren drei Kindern am Frankfurter Flughafen an, der Vater folgte Monate später nach. Keiner von ihnen sprach ein Wort Deutsch. Heute, nur sechseinhalb Jahre später, pauken Sohn Kawar, 22, und Tochter Sadaf, 20, für ihr Abitur, Wasla besucht die 10. Klasse eines Münchner Gymnasiums.

Ihr Vater ernährt als selbstständiger Taxifahrer die Familie. ,,Deutschland hat uns alles gegeben'', sagt Kawar. Man kann die Akbaris in München-Laim als Erfolgsgeschichte der Integration bezeichnen - und eine Ausnahme. Eine blonde Frau, die zufällig am Wohnblock der Akbaris vorbeigeht, sagt, es gebe viele Ausländer in der Gegend. Probleme gebe es kaum, aber sie blieben eben unter sich.

Bei Akbaris ist das anders, das zeigt sich schon an der Eingangstür. ,,Hier wohnt Familie Akbari'' steht auf dem weiß-blauen Keramikschild, dahinter führt ein langer Gang zu vier Zimmern und Küche. Angefangen hatte es viel beengter, mit einem Zimmer, im Erstaufnahmelager für Asylbewerber im bayerischen Landsberg.

Und doch liegt schon hier eine der Wurzeln für das rasante Zusammenwachsen der Akbaris mit ihrer neuen Heimat. Als die Eltern beschlossen, nach Deutschland zu gehen, dachten die Kinder zunächst an Hitler. Also befürchteten sie, die Deutschen seien ausländerfeindlich. Wie sollte es dort nur werden? ,,Die zwei Monate in Landsberg nahmen uns die Angst'', sagt Sadaf.

Kleinigkeiten zählten viel: Die Menschen in der kleinen Stadt grüßten sie freundlich, die Beamten boten ihnen Deutschkurse an, die Lehrerin war nett. Diakonie-Helfer brachten Spielsachen für die Kinder.

Mutter Sultana, ganz Sprachlehrerin, hängte eine Wand des Zimmers voller Blätter mit deutschen Vokabeln, vor dem Schlafengehen paukte sie gemeinsam mit den Kindern. Jede Woche wechselte sie die Blätter aus.

Das Zimmer war klein, das Lager eingezäunt, aber für sie war es die Freiheit, sagt Sadaf. Endlich konnte sie ohne Burka, die Vollverschleierung, und die Begleitung eines Mannes auf die Straße gehen, wie es die Taliban in Kabul vorgeschrieben hatten.

Alle außer dem Vater erhielten Asyl, denn er war erst gekommen, als die Taliban schon gestürzt waren. Damit ist der Asylgrund, eine politische Verfolgung, entfallen.

Nach neun Wochen zog die Familie nach München um, und die Leute auf der Straße grüßten nicht mehr. Akbaris glichen noch immer Gestrandeten, die nicht wissen, in welche Richtung sie gehen sollen und was sie wo erwartet.

Doch es gab Menschen, die diesen Gestrandeten sagten, welche Wege sie nehmen können wie Felicitas Adler von der Caritas, die Sultana erklärten, auf welche Schulen sie ihre Kinder schicken kann, und wie sie es ohne vorherigen Schulabschluss bis zum Abitur schaffen könnten.

Kawar, der Älteste, musste den Anfang machen. Er war 16 Jahre alt, als er kam, eigentlich ein schlechtes Alter um einzuwandern. Solche Jugendlichen gelten als schwer integrierbar, weil es für einen deutschen Schulabschluss meist zu spät ist.

Die Hauptschule wollte ihn nicht mehr aufnehmen - zu alt, sagte ein Rektor. Die Caritas-Beraterin schickte ihn zur Volkshochschule, wo Flüchtlinge einen Schulabschluss nachholen können. Im Juli 2001, gerade mal zehn Monate nach seiner Ankunft, schaffte er den Hauptschulabschluss.

Seine Schwester Sadaf war nach Haupt- und Realschule 18 Jahre und damit dem Gesetz nach eigentlich zu alt, auf das Gymnasium zu wechseln. Doch sie bekam einen Anruf aus dem Kultusministerium, das eine Ausnahme machte.

Es sind solche Erfahrungen, die Kawar heute Sätze sagen lassen wie: ,,Wenn man Ehrgeiz zeigt, dann reagieren die Leute auch anders.'' Und die Akbaris wollen noch mehr. Sadaf träumt davon, Medizin zu studieren und in Afghanistan als Ärztin zu arbeiten.

Kawar will die Fachhochschule als Maschinenbauer oder Wirtschaftsingenieur abschließen und auch für Wasla ist schon klar, dass sie einmal studieren wird.

Wenn man fragt, was ihnen an Deutschland nicht gefällt, wo es bei der Eingliederung gehakt hat, so müssen alle vier lange überlegen. Nein, ihre Mitschüler hätten sie nie Taliban oder Terroristen geschimpft, sagen die Geschwister, Ausländerfeindlichkeit kennen sie nur vom Hörensagen.

Es dauert mehrere Fragen lang, bis die Akbaris Kritik wagen. Die Klassen eigens für Ausländer in der Realschule seien nicht so gut gewesen, sagt Sadaf dann. Die Ausländer seien so unter sich geblieben, getrennt von den gemischten Klassen - ihr und wir. Und Kawar erinnert sich an den Rektor der Hauptschule, der ihn einfach ablehnte, ohne ihm weiterzuhelfen.

Mutter Sultana erzählt von ihrer Prüfung zur Kinderpflegerin, an der sie scheiterte. Das Arbeitsamt will keinen zweiten Anlauf zahlen, nun passt Sultana ehrenamtlich einmal die Woche in einer Eltern-Kind-Gruppe auf und hofft nun auf eine Stelle bei einer privaten Betreuungseinrichtung. Es langweilt die Mutter, zu Hause zu bleiben.

Kritik hagelt es bei den Akbaris für andere Zuwanderer. Ein Großteil von ihnen lerne jahrelang kein Deutsch und bliebe unter sich. ,,Viele merken gar nicht, dass sie in Deutschland leben - es müsste ein Gesetz geben, dass sie alle Deutsch lernen müssen'', meint Sadaf.

,,Man kann es schaffen, wenn man sich reinhängt, die Türen sind offen'', sagt Kawar. Es ist die Botschaft eines Erfolgreichen, der sich durchgebissen hat, der aber auch gute Voraussetzungen mitbrachte. Auch das Aussehen ist keine Hürde: Kawar hat helle Haut und kurze, schwarze Haare.

Er trägt Jeans und Hemd, man kann ihn für einen Italiener halten. Auch die Schwestern tragen Jeans und Pulli wie Deutsche auch, ein Kopftuch ziehen sie nicht auf. Wir sind ,,aufgeklärte Muslime'', sagen die Akbaris, das linderte den Kulturschock.

Warum so viele andere Zuwanderer Probleme haben, sich einzugliedern? Kawar zuckt erst mit den Schultern. Er glaubt, die ersten Monate in der Fremde waren wichtig; fast alle Flüchtlinge in Landsberg hätten sich nicht willkommen gefühlt, sich beschwert über Essenspakete oder den Umgangston in der Unterkunft. Viele Zuwanderer hätten wohl das Gefühl, von den Deutschen nicht akzeptiert zu werden, glaubt Sadaf.

Dieses Gefühl hat die Familie Akbari nicht. Was noch nicht heißt, dass die Akbaris auch Deutschland akzeptieren. Wie weit sind sie angekommen in dieser Welt von unablässigem Koalitionsstreit, Leistungsdruck und Nacktbadern am Baggersee?

Sadaf meint: ,,Besser gestritten als bombardiert'', wie sie es aus Afghanistan kannte. Sie seien sehr tolerant, sagt die Mutter zum Nacktbaden. An einem Punkt jedoch rät sie, in der eigenen, afghanisch geprägten Welt zu bleiben. Einen Deutschen heiraten, könne Probleme bereiten, meint sie beim Abendessen.

Und schon entspinnt sich eine Tischdebatte wie im Bundeskabinett. Die 17-jährige Wasla stimmt ihrer Mutter zu, sie glaubt, ein Afghane passe am besten zu ihr. ,,Woher willst du das wissen?'', fragt ihr Bruder.

© SZ vom 20.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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