Musikszene:"München ist eine Hobbyband-Stadt"

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Was macht München für den Pop? Eine Bestandsaufnahme - oder warum es für Musiker keinen München-Bonus gibt.

Sebastian Gierke

Heute beginnt "Tollwood". Die Süddeutsche Zeitung präsentiert dort ihr Festival junger Bands aus München und Umgebung - das Programm gibt es hier. Aber wie geht es der Szene selbst? Was macht München für den Pop?

Macht heute beim SZ-Zelt den Auftakt: der Songwriter Jakob Brass (Foto: Foto: oh)

Eine Bestandsaufnahme der Münchner Musikszene. Lohnt das? Geht das? Gibt es das? In München? "Hier fehlt die Szene, die ist in anderen Städten viel stärker ausgeprägt", weiß zum Beispiel Florian Weber, Schlagzeuger der Sportfreunde Stiller. "München war nie eine Musikstadt, in Hamburg war die Musikkultur schon immer besser", glaubt Norbert Gräser von den Monostars. Und Laury Reichart von Mexican Elvis sagt: "München ist eine Hobbyband-Stadt."

Alle, mit denen man spricht, granteln. Musiker, Kulturschaffende, Radiomacher, Konzertbesucher, Konzertveranstalter. Und alle zusammen bilden, ja, die Münchner Musikszene. Es gibt sie. Natürlich. "Bezogen auf die Einwohnerzahl hat München nicht weniger Musiker als andere Städte", ist sich Thomas Lechner sicher, einer der umtriebigsten Kulturschaffenden. Nur würden sie zu wenig mit München in Verbindung gebracht.

In Pop-München gibt es von allem etwas, aber nur wenig Typisches. Eine Szene, die alle anderen überstrahlt, existiert nicht. Da ist die Atomic-Café-Fraktion und die Backstage-Fraktion. Indie-Bands und Metal-Bands. Straßen-Hip-Hop und Müsli-Rap. Hardrocker, Reggae und Punk. Junge Volksmusik und experimentelle Elektronik. DJs, Songwriter und Musikerkollektive.

Viel Talent ist dabei, das beweisen Münchner Bands jedes Jahr im SZ-Zelt auf dem Sommer-Tollwood. Doch die verschiedenen Subszenen haben nicht viel miteinander zu tun, existieren nebeneinander. Keine sticht heraus. Und so ist der große Brocken des Eisbergs von außen betrachtet meist komplett unter Wasser.

Interessante Bands, die außerhalb Münchens wahrgenommen werden, sind selten. Die Sportfreunde Stiller haben großen Erfolg, doch sie haben keinen Sog entwickelt, in dem andere Bands nach oben schwimmen könnten. Nirgends ist er zu sehen, der Fahnenträger, der auffällt, der Wirbel verursacht, hinter dem sich Musiker versammeln. F.S.K. hätten das Potential dazu gehabt, oder The Notwist, aber die verbrennen Fahnen lieber - ist auch besser so.

In München existieren sie nicht, die Musikerbanden, die Verschwörer, die zusammen eine eigene ästhetische Sprache hervorbringen, eigene Methoden und Moden entwickeln und es so schaffen, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Es fehlt der Kern, die Keimzelle. Wenn man von einer Zwiebel alle Häute abzieht, bleibt - nichts. Durch die Zersplitterung geht viel Kraft verloren. Eine einzelne Band kann man leicht übersehen, auch wenn sie gut ist. Andererseits: Die Freiheit ist so nicht eingeschränkt, niemand leidet unter Anpassungsdruck, niemand glaubt, weil er aus München kommt, eine bestimmte Musik machen zu müssen.

Eigentlich erhebt in dieser Stadt nur Disco immer wieder das glitzernde, mächtige Haupt. Disco, Hedonismus, der Sound of Munich: Das gab es schon in den 70ern mit Giorgio Moroder, und gerade wird München wieder Disco-Metropole. Hauptverantwortlich: Gomma-Records. Daneben gibt es auch Technolabels, Stock5 oder DiscoB, deren Künstler international präsent sind.

Dieses Pop-München wird im Ausland oft stärker wahrgenommen als hier selbst. Die New York Times findet München cool und hip. Die Clubszene ist so attraktiv wie in kaum einer anderen deutschen Stadt außer Berlin. Für Bands ist das von Vorteil, sie haben viele Auftrittsmöglichkeiten, aber der nächste Schritt, der Schritt hinaus, der bleibt ihnen meist verwehrt.

Ist nur das München-Klischee der Grund dafür, oder ist die Stadt tatsächlich zu saturiert, zu hedonistisch, vielleicht auch zu bürgerlich für eine einflussreiche, starke Subkultur? Peter Hall, Gitarrist und Sänger von Mexican Elvis, glaubt das. Er kommt aus London: "Wenn du dort in einer Band bist, dann musst du einfach den besten Song der Welt schreiben - um zu überleben. In München hast du einen Beruf und machst nebenbei auch noch Musik."

Seine Bandkollegen widersprechen. Und tatsächlich findet man auch in München viel Leidenschaft, stimulierende Unzufriedenheit, Träumer und Entdecker. Trotzdem, der Satz gilt: Man wird als Musiker nicht berühmt, weil man aus München kommt, sondern obwohl man aus München kommt.

Was macht München für den Pop? Darüber debattieren Musiker, Label- und Clubbetreiber mit Kulturreferent Hans-Georg Küppers am 9. Juli im SZ-Zelt (19.30 Uhr, Eintritt frei). Im Vorlauf dieser Podiumsdiskussion "Pop statt Peanuts" erscheint hier eine Serie zum Stand der Dinge.

© SZ vom 26.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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