Musik auf Christkindlmärkten:Eine Oase zum Innehalten

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Einfach zusammenkommen, gemeinsam ein paar Weihnachtslieder trällern und die Zeit genießen: Die Aktion "Singen unterm Christbaum" bietet ein Kontrastprogramm in der stressigen Vorweihnachtszeit

Von Manuel Kronenberg

Die Zeilen sind selbst für Leute, die schon länger in München wohnen, schwer auszusprechen. "Geh Hansl, back dei Binkal zsamm, wir gehn nach Bethlehem! Des Wartn werd uns jetz' scho z'lang, da Hias is aa scho z'geng." Das steht geschrieben in dem kleinen Heft. Es enthält die Lieder, die bei der Aktion "Singen unterm Christbaum" vor der Kirche St. Michael verteilt werden. Auf der Bühne wird dann auch Simone Hofmüller stehen, eine Gebärdendolmetscherin. Sie übersetze die bayerischen Worte und Texte für Gehörlose. "Wir verstehen das ja gar nicht, was sie da macht", sagt Traudi Siferlinger und lacht.

Das Singen ist etwas, was ihr sehr am Herzen liegt. Etwas, das sie glücklich macht. "Weil die Klänge einen erfüllen", wie sie sagt. Besonders schön sei das Singen aber, wenn man es zusammen mit anderen Menschen tue. Deshalb hat Siferlinger mit anderen Mitstreitern im vergangenen Jahr eine Aktion gestartet. "Singen unterm Christbaum" heißt sie, und sie findet auch heuer wieder auf dem Christkindlmarkt am Münchner Marienplatz statt.

"So etwas macht man ja, um Herzen zu erreichen", erzählt die Musikerin und Moderatorin beim Bayerischen Rundfunk. Und die erreicht sie ohne Zweifel. "Letztes Jahr hat mir ein Mann einen Christbaum gemalt und mitgebracht, um ihn mir zu schenken", sagt sie. "Das habe ich echt toll gefunden." Viele Besucher, die bei der Singstunde mitmachen, würden hinterher extra bei ihr vorbeikommen, um sich zu bedanken, erzählt Siferlinger. "Da sieht man auch an den Gesichtern, dass die Leute glücklich sind."

Die Idee für dieses offene Singen von alpenländischen und traditionellen Weihnachtsliedern hatten Magnus Kaindl und Elke Richly vom Kulturreferat. Mit Siferlinger haben sie das Programm dann ausgearbeitet. Das war im vergangenen Jahr, als das "Singen unterm Christbaum" zum ersten Mal stattfand. Die Musikerin erinnert sich: Bei 35 Grad saßen sie im Sommer auf dem Balkon, haben die Aktion geplant und die Lieder zusammengestellt. Das sei ziemlich spaßig gewesen. Und wenn man sich mental einmal in die Weihnachtsstimmung hineinversetzt habe, sei die Hitze auch kein ganz so großes Problem mehr gewesen.

Die Arbeit hat sich offenbar gelohnt: Die Singstunde findet viele Fans, so viele, dass Siferlinger beschlossen hat, auch in diesem Jahr wieder zum Singen zu laden. Sie bekommt dabei Unterstützung von der Musikerin Monika Drasch, und auch den Akkordeonisten Johann Zeller haben die beiden mit ins Boot geholt. An jedem der vier Donnerstage vor Weihnachten wird von 17 Uhr an für eine halbe Stunde lang gesungen. Jeder, der möchte, kann teilnehmen. Und damit meinen die Veranstalter auch wirklich jeden, der Lust hat. Daher gibt es nicht nur eine Gebärdendolmetscherin bei den Konzerten. Es werden auch Liederhefte verteilt, die für Menschen mit Sehbehinderung in Groß- und Blindenschrift gedruckt wurden.

Bei der Auswahl der Lieder achten die Organisatoren besonders darauf, dass traditionelle bayerische Texte mit dabei sind. Ein Andachtsjodler beendet jede Singstunde. Aber nicht nur seltene alpenländische Weihnachtslieder werden gesungen, sondern auch bekannte. "Mal so, dass jeder sofort mitsingen kann, mal so, dass man ein neues Lied lernt", sagt Siferlinger. Schon früher habe es Singstunden gegeben, erzählt Gabriele Papke vom städtischen Wirtschaftsreferat, das den Wintermarkt am Marienplatz veranstaltet. "Aber eher sporadisch. Mal war was, mal nicht." Neu sei auch, dass das Singen nun im Freien stattfindet. Sonst seien die Aktionen immer im Rathaussaal gewesen. Die Verlegung nach Draußen stellte sich als sehr fruchtbare Idee heraus. "Wir waren erstaunt über den Anklang", erzählt Papke. Auch viele Touristen aus aller Welt seien gekommen. "Es war Regen und Schnee, Kälte und Wind, und die Leute waren trotzdem da."

Die Singstunde bietet eine Möglichkeit, die viele Musikgruppen und Chöre so gerne hätten. Denn ein Auftritt auf dem bekanntesten Weihnachtsmarkt in München ist gar nicht so leicht zu bekommen. Nur wer ins Schema passt, wird zugelassen. "Wir sind ein klassischer Markt und wir versuchen, Musik nach amerikanischem Vorbild zu vermeiden", betont Papke. " Jingle Bells" werde es nicht geben. "Bei jeder Planung ist immer wichtig, dass der Markt nicht seinen Charakter verliert."

Bei aller Liebe zum bayerischen Brauchtum ist ein wenig internationale Stimmung aber doch erwünscht. Deshalb dürften auf dem Rathausbalkon durchaus auch Musikgruppen aus anderen Kulturkreisen auftreten. "Wir haben ganz viele Touristen in München, gerade auch zur Adventszeit", sagt Papke. "Da ist das dann ein schöner Gruß." An den drei Montagen im Advent treten in diesem Jahr der Deutsch-Französische Chor München, der Coro Latino mit lateinamerikanischen Adventsliedern und der Chor des English-Speaking Music Ensembles auf. Die Auftritte auf dem Rathausbalkon beginnen täglich um 17.30 Uhr und sie sind ein wichtiger Programmpunkt auf dem Christkindlmarkt. "Es ist immer anders, wenn man etwas live hört. Musik aus der Konserve hat man überall", sagt Papke.

Organisiert wird das Programm von den Marktkaufleuten des Christkindlmarktes. Andrea Salzeder ist schon seit 1999 für die Auswahl der Gruppen zuständig. "Es bewerben sich immer sehr viele Chöre und Bläser", erzählt sie. "Viele sind wirklich immer wieder dabei." Manchmal wähle sie aber lieber auch ganz neue Gruppen für die Auftritte aus, etwa wenn sie merke, dass das Niveau der ein oder anderen Gruppe nachlasse. Schon lange mit dabei ist dagegen Adi Stahuber mit seiner Isartaler Blasmusik. Er wird das Programm auf dem Rathausbalkon an diesem Dienstag, 27. November, eröffnen. "Der ist in München bekannt und kommt bei den Leuten sehr gut an", sagt Salzeder.

Wie auch die Aktion "Singen unterm Christbaum": An die hundert Leute würden eigentlich immer teilnehmen, erzählt Siferlinger. "Es sind auch viele dabei, die ungeplant vorbeikommen und stehenbleiben, um mitzumachen", sagt sie. "Es ist wie ein Magnet für Singbegeisterte." Ihre eigene Begeisterung für Musik gibt Siferlinger gerne an die Leute weiter. Sie gibt Jodelkurse, moderiert Musiksendungen und tritt mit ihren Wirtshausmusikanten auf, mit denen sie auch an Heiligabend im BR zu sehen sein wird. Auch das "Singen unterm Christbaum" ist für sie etwas Besonderes. "Weil so viel Hektik ist auf der Welt und in der Stadt. Es ist so schön, wenn man eine Oase hat, wo man innehält und gemeinsam singt."

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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