Münchner Wirtschaftsgeschichte: Die Handelsstadt:Wachsen und weichen

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Immer wieder werden Häuser abgerissen oder Gassen geweitet: Der Wandel des Handels prägt das Gesicht der Stadt. Am deutlichsten zeigt sich das in der Kaufingerstraße - auch wenn sie immer unmünchnerischer wird

Von Katja Riedel

Der Schluss, dass die Kaufingerstraße genau so heißt, weil man dort besonders gut einkaufen kann, ist so naheliegend, wie er vollkommen falsch ist. Denn der Straßenzug zwischen Marienplatz und Stachus, der in seinem weiteren Verlauf Neuhauser Straße heißt, ist nicht nach seinem heutigen Verwendungszweck, sondern nach einem Menschen benannt: nach einem gewissen Chuonradus Choufringer. Dieser Choufringer, ein reicher Stadtbürger, bewohnte wohl in dieser Straße eines der Patrizierhäuser, sein Name taucht im Jahr 1239 erstmals ist einer Urkunde auf. Und dieses Jahr ist deshalb auch als Zeitpunkt anzusetzen, zu dem es eine der ältesten Straßen Münchens bereits gegeben haben muss.

Die Kaufingerstraße steht heute innerhalb Münchens für viele Superlative, und zwar nicht wegen ihres Alters. Vor allem steht sie für Deutschlands teuerste Immobilienpreise. 80 000 Euro - so viel war ein überbauter Quadratmeter auf der Meile im Jahr 2012 wert, so hat es der städtische Gutachterausschuss errechnet, der alle Kaufpreise auswertet. Nirgendwo zahlen internationale Spekulanten und Immobilienfonds so viel für Häuser oder Grundstücke wie an der Fußgängerzone. Der Preisunterschied zwischen dieser 1a-Lage und den übrigen Münchner Innenstadtlagen hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten eklatant vergrößert. Die internationalen Filialisten wie die verbliebenen Münchner Traditionshändler zahlen Rekordmieten von etwa 330 Euro pro Quadratmeter (Stand: Sommer 2014), um in dieser herausgehobenen Lage ihre Marke zu präsentieren und um Pullover und Hosen, Schmuck, Taschen oder Elektroartikel zu verkaufen. Die Kaufingerstraße ist weniger Lebensraum als Shopping-Mall, sie ist nicht besonders münchnerisch, auch wenn der Anteil einheimischer Händler in der Münchner Innenstadt noch größer ist als in anderen deutschen Großstädten.

Dabei ist die Geschichte des Handels in dieser Straße doch eine urmünchnerische. Schon immer war die Kaufingerstraße, die ursprünglich Kaufringerstraße hieß, eine Straße, die mit Handel zu tun hatte. Sie war Teil der wichtigen Salzstraße, die von Bad Reichenhall in die Schweiz führte. Deshalb gab es dort auch altehrwürdige Bürgerhäuser. Später entstanden schmale, für die Münchner Innenstadt typische barocke Häuser. In der Stadt gab es viele kleine Läden, die sich in den Erdgeschossen befanden. Von den Konsumtempeln, den Kaufhäusern heutiger Jahre, war damals noch nichts zu erkennen. Karl Gattinger hat die ursprünglichen Läden in seinem Buch "Das alte München" als gewölbte Erdgeschossräume beschrieben, die nach außen hin durch eine Laube erweitert waren oder ein Vordach besaßen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden diese Erdgeschossbögen zunehmend mit Glas verschlossen - es war der Beginn der Schaufenster, die später zu einem Charakteristikum der Geschäftshäuser wurden. Eine Radierung von 1805 zeigt noch das alte Gesicht der Stadt, das kleine Ladengeschäft eines Tuchhändlers namens Joseph Anton Oberhueber in der Kaufingerstraße.

Doch diese beschaulichen Zeiten gehören schon bald der Vergangenheit an. Die heute als historisch angesehenen älteren, mehrstockigen Wohn- und Geschäftshäuser, die den Zweiten Weltkrieg überdauert haben, sind ein Erbe vor allem des 19. Jahrhunderts - und der Industrialisierung, der Verstädterung. Es gab plötzlich viel mehr Menschen in der Stadt und damit auch eine höhere Nachfrage nach Konsumgütern. Nicht ohne Grund entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überall in Deutschland die großen Warenhausketten, genauso wie die lokalen Kaufhäuser. Viele der heute noch bekannten Münchner Händler blicken auf eine lange Firmengeschichte zurück. Der Schreibwarenhändler Kaut Bullinger ist soeben 200 Jahre alt geworden. Ludwig Beck, am 1. Mai 1861 von dem gleichnamigen Posamentenmeister und Knopfmacher eröffnet, ist mehr als 150 Jahre alt.

Damit der Handel den Platz bekam, den er in neuer Form brauchte, mussten die Bauleute ran. Nicht nur die Häuser wurden aufgestockt oder im neogotischen Stil neu hochgezogen. Auch die Straßen der Innenstadt mussten geweitet werden: In den 1870er-Jahren waren das die Maffeistraße, Orlando- und Neuturmstraße, die engen Gassen des Hackenviertels, es folgte noch vor der Jahrhundertwende auch die Kaufingerstraße. Auch rund um den Marienplatz entstanden moderne Wohn- und Geschäftshäuser, die Innenstadt bekam ein neues Gesicht. Die schmalen Grundstücke, "Münchner Leichentücher" genannt, wurden nicht mehr mit schmalen Häusern bebaut, sondern mit breiten, mehrgeschossigen Gebäuden über mehrere mittelalterliche Parzellen hinweg. Am Ende stand das reine Warenhaus, das vor allem die großen Münchner Geschäftsstraßen dominierte. Aus der damaligen Zeit sind bis heute einige Häuser erhalten, etwa das ehemalige Bekleidungshaus Hage & Poelt am Marienplatz, Ecke Rindermarkt, in dem heute die Deutsche Bank sitzt.

Dass Kaufinger- und Neuhauser Straße heute eine derart teure Meile sind, in der sich Passanten dicht an dicht drängen, liegt aber vor allem an einem besonderen Datum: 1972 wurde dort die erste Fußgängerzone Münchens geschaffen. Hatten sich zuvor Autos und Trambahnen durch die Mitte der Stadt gequält, hatten die Menschen nun die Innenstadt für sich allein. Binnen weniger Wochen machten die Händler 40 Prozent mehr Umsatz als zuvor. Heute steht der Innenstadthandel mitten in einem neuen Wandel: Die Innenstadt wird digital. Viele Händler bieten ihre Waren nicht mehr nur hinter den historischen Fassaden an, sondern auch im Internet. Vor allem Riesen wie Amazon, aber auch Bekleidungsmarken setzen lokale Händler unter Druck. Sie entwickeln nun eigene Digitalkonzepte. Ohne die Kaufingerstraße ist ihre Zukunft aber undenkbar.

In der nächsten Folge am Donnerstag: Wie München im Jahr 1826 zur Universitätsstadt wird

© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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