Münchner Schickeria:Glamour unterm Heizpilz

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Auf der Suche nach der Schickimicki-Gesellschaft in ihren natürlichen Lebensräumen: dem In-Lokal H'ugo's, dem Szene-Club Heart und der Schumann's-Bar. Ein Abend voller vermeintlicher Internats-Elite und Show-Blondinen.

Franz Kotteder

Gäste beim Sommerfest im H'ugo's in München (Archivbild von 2010). (Foto: Stephan Rumpf)

Und nachher will's wieder keiner gewesen sein: Auf diesen Nenner lässt sich die Suche nach der Münchner Schickeria bringen. Es gibt sie zwar nach wie vor, die einschlägigen Lokale. Aber zur Schickeria möchten sich dort die meisten Gäste sicher nicht zählen lassen. "Schickeria" nennt sich mit einigem Stolz eigentlich nur noch die Ultra-Fan-Gruppe des FC Bayern.

Am Phänomen selbst hat sich freilich wenig geändert. Früher bildeten drei Buchstaben die Basis der Münchner Schicki-Gesellschaft: BMW. Diese drei Buchstaben standen nicht nur für hochwertige Autos, sondern auch noch für: Bäcker, Metzger, Wirte - stellvertretend für den neureich gewordenen Mittelstand, um den herum sich Fußballspieler, Fernsehstars und Schauspieler gruppierten sowie allerlei junge, gut aussehende Frauen, für die der Volksmund den schönen Begriff "Rechenschieber" erfunden hat. Womit angedeutet wurde, dass deren Bindungsbereitschaft anstieg, je höher der Kontostand des potenziellen Partners war.

Vom Grundsatz her gilt das nach wie vor, die Schickeria ist letztlich eine Männerwelt. Ihr natürlicher Lebensraum ist das Lokal. Bezeichnenderweise trägt das Münchner Paradebeispiel eines solchen Schicki-Ladens auch noch einen Männernamen: das H'ugo's am Promenadeplatz. Die ungewöhnliche Schreibweise des Namens mag man als feinsinnige Anspielung auf den grassierenden Apostrophenwahnsinn deuten, allein, damit ist dann aber auch endgültig Schluss, was die Ironie angeht.

Im H'ugo's hat Ironie nichts verloren. Gleich am Eingang findet man ein künstliches Kaminfeuer im Glasschrein vor, an den auf Berghütte getrimmten Wänden hängen Flachbildschirme, über die Bilder von Urlaubsstränden flimmern. Auf der Terrasse sitzt man unterm Heizpilz, drinnen dicht gedrängt an langen Tischreihen. Das erinnert ein wenig an eine Uni-Mensa, man sitzt jedoch deutlich bequemer.

Das H'ugo's ist eigentlich immer voll, dementsprechend laut geht es hier zu. Was aber immerhin den Vorteil hat, dass man die Hintergrundmusik kaum hört. Das Essen ist unspektakulär und entspricht dem Angebot einer anständigen Trattoria, sieht man einmal von der "Trüffelpizza" für 17,90 Euro ab. Warum also gehen so viele hierher?

Das Essen ist unspektakulär und entspricht dem Angebot einer anständigen Trattoria, trotzdem hat Wirt Ugo Crocamo sein Restaurant zum gefragtesten Italiener in München gemacht. (Foto: Catherina Hess)

Weil man hier gelegentlich Prominente sieht und selber gesehen wird. Der ehemalige Bayernstürmer Luca Toni war beispielsweise oft zu Gast, bei unserem Testbesuch am Mittwochabend hatte immerhin der Kellner ein wenig Ähnlichkeit mit Mario Gomez; ansonsten fanden sich ein TV-Moderator aus dem ProSieben-Nachmittagsprogramm und zwei Schauspieler der Kategorie: "Den kenn' ich doch! Wie heißt denn der?"

Das ist sicher fürs H'ugo's keine große Promi-Dichte, aber man muss auch sagen, dass die Stadt an diesem Abend noch voll war von den Messegästen der Immobilienmesse Expo Real. Die füllen natürlich auch am Promenadeplatz die Tische und reden beispielsweise davon, dass sie gerade "das ganz große Rad drehen" wollen und "jetzt aber richtig Gas geben, geschäftlich". Es gibt auch welche, die kommen allein und bedienen dann sowohl iPad als auch iPhone, während sie auf dem Pizzateller ein Massaker anrichten.

Andere sind mehr zum Schauen und zum Essen da. Sie versprühen eher wenig Glamour, sondern könnten von der Ausstrahlung her vielleicht stellvertretender Filialleiter eines Autohauses in Moosburg oder Kaufbeuren sein. Wofür man in dieser Umgebung durchaus dankbar ist. Komplettiert wird das Gäste-Ensemble durch leicht schnöselige Nachwuchs-Schickis, vermutlich auf Freigang vom Elite-Internat, und klassische Show-Blondinen, die trotz des kalten Nieselwetters mit wallendem Haupthaar und knappem Top einlaufen. Der Schein ist wichtig. Und dieser Satz gilt hier in jeder Hinsicht, auch geldmäßig.

So etwas hätte man auch vom Heart erwarten dürfen, unserer nächsten Station. Der schicke Club befindet sich in der Alten Börse am Lenbachplatz, gleich um die Ecke eröffnet an diesem Freitag das Rilano Nr. 6, der Nachfolger des Schickeria-Tempels Lenbach. Am Mittwochabend aber ist das Heart schickimäßig ziemlich am Hund; die Tische im Restaurantbereich sind bis auf zwei unbesetzt, und an der quadratischen Bar sitzen ein paar einsame Gestalten vor ihren Drinks, möglicherweise Expo-Real-Verlierer.

Das Bild erinnert an Hotelbars in Recklinghausen oder Lüdenscheid, aber es ist ja auch erst kurz vor Mitternacht, und da kann sich durchaus noch etwas tun. Momentan jedoch haut keiner auf die Pauke, man beschäftigt sich bestenfalls still mit seinem Smartphone. Interessant, dass gerade so ein Werkzeug, das ja der Kommunikation dienen soll, diese wiederum verhindert.

Verloren dreinblickende Männer findet man bei ihm nicht: Charles Schumann in seiner Bar (Foto: Stephan Rumpf)

Da sieht es im Schumann's schon ganz anders aus. Die hier auftretende Art der Schickeria hat Hochschulabschluss oder doch zumindest Abitur, folgt im Grunde aber ähnlichen Regeln wie die herkömmliche Schickeria, nur eben auf gehobenerem Niveau. Der - natürlich unausgesprochene - Dresscode schreibt offenbar lässige Eleganz vor, und verloren dreinblickende Männer wird man an Charles Schumanns Tresen ganz sicher nicht vorfinden. Sollte hier mal jemand leiden, dann wird er das nicht ohne ein selbstironisches Grinsen im Gesicht tun.

Man sollte es aber besser nicht wagen, im Schumann's den Begriff "Kultur-Schickeria" fallen zu lassen, denn natürlich gehört auch hier niemand dazu. Vielleicht ist das aber auch das eigentliche Geheimnis der Schickeria: dass sie erst dann eine ist, wenn die meisten ihrer Mitglieder gar nicht glauben, dass sie dazu gehören.

© SZ vom 12.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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