Münchner S-Bahn-Fahrgastkontrollen in der Kritik:Genug bezahlt - und doch zur Verbrecherin gestempelt

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Nicht immer ist alles klar mit den Tarifen der Münchner S-Bahn - zum Beispiel, wenn man Monatskarte und Streifenkarte kombiniert. (Foto: Robert Haas)

Weil die Kombination von Monats- und Streifenkarte nicht anerkannt wird, muss eine Kundin 60 Euro Strafe bezahlen

"Unfreundlicher Zug" vom 27. Mai und der Fall einer rüden Fahrgastkontrolle in München bei einer chinesischen Touristin:

Neulich habe ich ein Verbrechen begangen. Als ich einen Beförderungsvertrag mit unserem nationalen Schienenbeförderungsunternehmen Nr. 1 eingegangen bin. Stillschweigend. Ohne Unterschrift, Siegel und Spucke. Ohne das Vertragswerk vorher gelesen zu haben. Was ich hätte müssen. Das weiß ich jetzt.

Stattdessen bin ich gedankenlos mit meinem Ticket einfach in die Münchner S-Bahn vom Flughafen in die Innenstadt gestiegen. Ahnte nicht, dass ich mit meiner Kombination aus Monatskarte für den Innenraum und sechs Streifen der Streifenkarte gleich mit 2,60 Euro in der Kreide stehen würde. Ich dummes Kind habe es einfach nicht gewusst.

Seit Monaten nicht. Weil mich frühere Kontrolleure mit einem Lächeln und "Vielen Dank" in dem Glauben zurückließen. Aber die wissen das nicht so genau, hat mir jetzt die kompetente Mitarbeiterin von der DB-Fahrpreisnacherhebungsstelle gesagt. Ich hätte von den acht statt sechs Streifen wissen müssen, meine Monatskarte sei hier nichts wert. Ich dummes Kind.

Ich äußere ihr gegenüber trotzdem Irritation. Sie sagt, ich würde jetzt zynisch werden. Ich verstehe nicht, welchen Teil meines Satzes sie meint. Sie bleibt geduldig: "Ich habe Ihnen doch gerade noch einmal erklärt, dass es so nicht geht." Ich bin beeindruckt von ihrer Souveränität. Jeden Tag begriffsstutzigen, kriminellen Kunden mit einem Repertoire von maximal fünf Sätzen die Welt zu erklären - das ist keine leichte Aufgabe. Und dann bleibt sie auch noch ganz bei sich, als ich die unfassbare Frage stelle, warum ein Nachlösen vor Ort in diesem Fall nicht möglich war.

Ich hatte an diesem Tag so viele Tickets und Streifen zur Hand, dass ich aufmerksam lauschende Mitkunden hätte einladen können.

"Noch einmal: Ich habe Ihnen gerade den Sachverhalt erklärt." Es gibt keine Kulanz. Nie. Denn es ist bereits ein Schaden entstanden. Sie sagte wirklich "Schaden". Weil ich 2,60 Euro zu wenig entwertet hatte. Und jetzt sind 60 Euro fällig.

Ich gebe mich im Gespräch geläutert: Dass ich an dem Tag genauso falsch gehandelt habe, wie jemand, der mit Absicht ohne ein Ticket eingestiegen ist. Ich denke für mich: Warum habe ich überhaupt etwas für diese Fahrt bezahlt? Dummes Kind.

Dabei ist es ganz einfach: Das Beförderungsvertragswesen ist hierzulande schwarz und weiß. Gut und böse. Keine Kompromisse. All die in anderen Lebenswelten gefeierten Service-Exzellenz-Offensiven, Kundenbewertungsportale oder sogar das seit Jahrzehnten praktizierte Verwarnzettelchen der lokalen Verkehrswacht - all das ist esoterisches Customer-Relationship-Geplänkel. Hier können wir alle von einem Unternehmen, über dessen Fehlerlosigkeit in gähnender Intensität schon genug geschrieben wurde und das sich mit solchen Mitarbeitern an Bord täglich auf die Schultern klopfen kann, noch etwas lernen.

Schade, dass ich noch nicht so weit bin: Es war ein bitterer Tag für mich, der Tag des Verbrechens. Und die Lektion danach setzte mir noch mehr zu. Immerhin merke ich, dass es mir hilft, dass ich mit so vielen Menschen wie möglich darüber rede. Sylvie Konzack, Kaufbeuren

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© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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