Münchner Kardinal stiftet für Missbrauchsopfer:Respektabel - aber bestenfalls ein Anfang für die Kirche

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Reinhard Marx setzt mit seinem Engagement nun auch andere katholische Bischöfe unter Zugzwang, finden SZ-Leser

"Der Kardinal setzt ein Zeichen" vom 5. Dezember:

Noch zu viele Fragen offen

Dass ein Kardinal und Erzbischof Teile seines Privatvermögens für die Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals einsetzt, ist zunächst einmal anzuerkennen. Dies ist aber bei diesem Themenfeld leider nur ein Aspekt notwendigen Engagements von kirchlichen Verantwortungsträgern. Wenn, wie die Überschrift sagt, das System Kirche schuldig geworden ist, braucht es dringend eine Systemdiskussion. Genau in diese Richtung weisen auch die Ergebnisse der MHG-Studie (das ist die von der Deutschen Bischofskonferenz im September 2018 veröffentlichte wissenschaftliche Studie über "Sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige", benannt nach den Standorten der für die Studie verantwortlichen Institute in Mannheim, Heidelberg und Gießen; d. Red.). Eine Grundsatzdiskussion ist überfällig, ob die kirchliche Gemeinschaft mit ihrer aktuellen Klerikalverfassung der Botschaft Jesu und ihrer Intentionen entspricht. Das geschlossene männerbündische System ist längst obsolet. Die aktuelle Kirchenkrise gründet wesentlich darin, dass der Selbsterhalt dieses Systems wichtiger ist als die Nöte und Bedürfnisse der Menschen. Dringend bräuchte es Diskurse zu Fragen wie, welche Dienste kirchliche Gemeinschaft heute braucht, offen für Frauen und Männer, mit Beauftragung, aber ohne elitär verklärende Weihen; warum Verantwortung Tragende nicht von denen auf Zeit gewählt werden, für die sie verantwortlich sein sollen; wie erreicht man durch zeitgemäße Sprache, Verhalten und Theologie auch junge Menschen; wie die Anerkennung und Umsetzung der Menschenrechtscharta in der Kirche aussehen müsste; et cetera.

Da ist Kardinal Marx leider viel zu lange Systemdiener. Ob er auf seine späteren Tage noch den Mut zum wirklichen Reformer aufbringt? Daran wird sich die Glaubwürdigkeit auch finanziellen Engagements beweisen müssen. Sonst bleibt es leider eine Art Ablasshandel. Paul-G. Ulbrich, Eichenau

Kirche muss sich wandeln

Ich finde die Spendenbereitschaft von Kardinal Reinhard Marx im Missbrauchs-Opfer-Skandal der katholischen Kirche angemessen. Wir, an der Basis freiwillig und unentgeltlich arbeitend, sind vom Missbrauch dieses Ausmaßes zutiefst erschüttert. Die Kirchenhierarchie muss endlich die Botschaft Jesu, die sie verkündet und von der sie lebt, radikal ernst nehmen. Ihren ehemals anvertrauten Kindern, die geschändet wurden, darf nicht länger seelische und materielle Hilfe verweigert werden. Ihr Leid verdient jeglichen Respekt und Öffentlichkeit.

Schwer vermittelbar ist ebenfalls einer an Bergpredigt und Evangelium ausgerichteten Glaubensgemeinschaft die Tatsache der hohen Besoldung ihrer Würdenträger für Glaubensvermittlung und Glaubensbewahrung. Unsere Leitbilder der Katholischen Arbeiterjugend (Gründer Abbe Joseph Cardijn) in den 60er-Jahren waren Arbeiterpriester, die ihren Lebensunterhalt zum Beispiel am Fließband verdienten und uns Jugendlichen in den täglichen Lebens- und Glaubensfragen beistanden.

Mein Fazit: Für uns Laien, speziell Frauen, wird die Mitgliedschaft in der Institution "katholische Kirche" immer schwieriger, ja frag- und unglaubwürdiger, sollten unsere Hilferufe, Forderungen und Problembeschreibungen weiterhin missachtet werden. Unsere Dialogbereitschaft kommt an ein Ende - das aktuelle Thema Caritas zeigt unseren Willen zum umfassenden Streik (es gab erstmalige Streiks in Caritas-Einrichtungen; d. Red.). Christine Rospleszcz, Grafrath

Und die anderen Bischöfe?

Dass Kardinal Marx mit 500 000 Euro den "allergrößten Teil" seines Privatvermögens in eine von ihm gegründete Stiftung für Opfer der sexualisierten Gewalt überträgt, ist höchst bemerkenswert und erstaunlich. Zeigt es doch, dass zumindest einen der höchstrangigen Vertreter der Glaubensinstitution katholische Kirche offenbar ein schlechtes Gewissen plagt. Man könnte annehmen, dass dieses selbstverständlich wäre für alle Repräsentanten einer Institution, die Begriffe wie Moral, Nächstenliebe, Barmherzigkeit seit 20 Jahrhunderten weit vor sich herträgt.

Ohne das eigentliche Für und Wider dieser Entscheidung weiter zu kommentieren, lässt sie doch hoffen, dass alle anderen Würdenträger diesem Beispiel folgen mögen, oder zumindest einen Anflug von Schamröte zeigen möchten.

Grundsätzlich wirft dieser Schritt allerdings die Frage auf, wer diese 500 000 Euro beziehungsweise die doch wohl noch zu erwartenden weiteren Einzahlungen in die Stiftung letzten Endes finanziert? Sollte diese vollumfänglich durch die von den Katholiken entrichtete Kirchensteuer abgedeckt sein, wäre dies in sich logisch und respektabel.

Da allerdings bekanntermaßen die Bezüge der hochrangigeren Kirchenrepräsentanten in Deutschland durch das allgemeine Steuersäckel finanziert werden, fällt diese finanzielle "Wiedergutmachung" für die Opfer der sexualisierten Gewalt in der katholische Kirche de facto auf den Staat zurück.

Nun ist es höchst erfreulich, dass sich nach einem Jahrhundert unsere Gesellschaftsordnung der Demokratie trauen kann, zweihundert Jahre alte historische Verträge, die zwischen zwei Monarchien, Adel und Klerus, abgeschlossen wurden, in absehbarer Zeit abzuschaffen. Dies wird politisch-juristisch für die "Ausgleichszahlungen" des Staates an die Kirche für die erlittenen Pfründeverluste in der Säkularisation - neben der Kirchensteuer - erfolgen.

Den Schwund der Kirchensteuer in den nächsten Jahrzehnten müssen beide Kirchen in Deutschland in erster Linie auf die Glaubbarkeit ihrer zweitausend Jahre alten Glaubenswahrheiten beziehen.

Es ist zu hoffen, dass baldmöglich die Voraussetzungen geschaffen werden, dass eine diesseitsorientierte, vernunftbasierte Ethik Schulpflichtfach für alle wird, und religiöse Jenseitsvorstellungen durch entsprechende Wahlfachangebote abgedeckt werden. Vielleicht können dann im katholischen Religionsunterricht die Gründe erhellt werden, weshalb die obersten Hirten der katholischen Kirche überhaupt ein nennenswertes (steuerfreies?) Privatvermögen aufbauen können, wo doch der weltweite Hunger - nicht zu vergessen der allgemeine Umgang mit der Schöpfung - nach einer Linderung geradezu schreit?

Ein Papst Franziskus macht mit seiner Botschaft, Christus liebe doch gerade die Armen, noch keinen Sommer. Vor diesem Hintergrund an Lippenbekenntnissen der moralisch unfehlbaren Kirche des Herrn sind Aktionen wie von Kardinal Marx dennoch respektabel - und könnten ein Beitrag sein, dass die katholische Kirche wenigstens einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit retten kann. Wilhelm Probst, Zorneding

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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