Münchner Kammerspiele und die Intendanten-Debatte:Frischluft ins Plüschbordell

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Wieso eigentlich sollte in einem Schauspielhaus Theater gespielt werden - und andere fulminante Fragen der Zeit

"Das Experiment fängt erst an" vom 22. November, "Die urbane Kultur von morgen" (4. November), "München leuchtet rot vor Wut" (5./6. November), Leserbriefe "Konzeptloses Versuchslabor" (14. November) sowie "Bruchlandung - oder Höhenflug?" (17. November):

Wieso eigentlich sollte in einem Schauspielhaus Theater gespielt werden? Das hatten wir doch nun lange genug, irgendwann muss auch mal Schluss sein und was Neues kommen. Gibt ja so viel. Lang genug haben uns Schauspieler was vorgemacht, haben Regisseure heruminszeniert und Autoren, vielleicht gar Dichter, an Texten gearbeitet. Ist doch nun wirklich altbackener Schafskäse! Hundert Jahre Schauspiel und Dichtung und Sachen zum Denken, Fühlen, Aufregen - scheußlich.

Nun ist unser Lilienthal dran, und der kennt lauter neue Leute in aller Welt, jetzt kommt Frischluft ins Plüschbordell der ollen Kammerspiele. Jetzt wird hier Tacheles geredet auf polnisch und estnisch und arabisch: Die Welt sucht das kleine München heim, und all die biederen verschnarchten Bayern müssen nun umdenken und die Köpfe in die Nacken legen, wenn sie die englischen Obertitel im Schauspielhaus lesen wollen. (Schade freilich, dass immer nur das Deutsche verenglischt wird, nicht aber die vielen andren Sprachen; so versteht man bloß die deutschen Passagen, wenn man's auf Englisch mitliest.) Im übrigen kommt's auf ein Verstehen sowieso nicht an, wichtiger ist der festliche Abend mit Freunden, mit Augustiner, Crackers und Ladestationen für unsre Handys.

Emotional packend sind auch immer die Jubelperser aus der Falckenberg-Schauspielschule, die in den letzten Reihen vor Begeisterung ausflippen: Man freut sich mit ihnen, dass sie uns eine solch verschworene Community zeigen. Hier wird nicht mehr wie früher geschnarcht, sondern juhuht, mag sein, etwas zu ranschmeißerisch, das schon.

Da wollen nun einige Kulturschnuller dem Lilienthal vorwerfen, er habe aus dem besten, schönsten Theaterhaus des Landes einen weiteren Eventschuppen gewurstelt, wo wir doch schon jede Menge Etablissements für Jugendbewegte hätten: Muffat, Zenith, Feierwerk, Einstein, HochX, Schwere Reiter und andere mehr - das stimmt zwar, aber dort sind die Tickets meist zu teuer, während die Kammerspiele bekanntlich mit derart vielen Millionen subventioniert werden, dass man billige Karten zum Nutzen der Heranwachsenden verlangen kann.

Wenn dann erst die letzten Schauspieler gekündigt haben, ist gleich noch mehr Geld in der Kasse. Außerdem bin ich sicher, dass Lilienthal selbst von seiner exorbitanten Gage was drauflegen wird, wenn es einem Bedürftigen hilft. Wie es ohnehin sehr anständig ist, dass er seinen sozialen Status nicht raushängen lässt, sondern dass er im Gegenteil Wert darauf legt, "einer wie der Geringste unter meinen Brüdern" zu sein.

Angetreten ist er bekanntlich mit der Forderung, das verschnarchte Münchner Plüschbordell ("Kammerspiele" - schon dieser degoutante Name!) auszutrocknen und zu planieren.

Und selbst Gegner werden einräumen müssen, dass ihm das zügig gelungen ist. Was er als "Kunstkacke" belächelte, ist von einer Diarrhoedusche ungarer Performer weggefegt worden: der Augiasstall ist leer. Jetzt wird hier manchmal gekocht, auch schon mal gesungen, alles jubelt, alles lacht, wenn es im Gebäude kracht. Und wer unbedingt Sehnsucht nach Theater hat und nach Stücken mit Schauspielern, der kann ja ins Resi, ins Metropol und in die zwei Dutzend Kleintheater gehen, zum gewohnten Schnarchen. Derweil ist das Schauspielhaus frei, um dort auf den Plüschsesseln zu hopsen.

"Kunstkacke" - vielleicht kein glückliches Wort, weil zu verräterisch. Wer, wie unser lieber Lilienthal, Kunst per se mit "Kacke" assoziiert, sollte daran denken, wie andernorts mit Kunstkacke umgegangen wurde, in Palmyra und Mossul etwa. So gesehen sollten wir uns glücklich schätzen, dass Lilienthal unsre Kammerspiele erobert hat. Wäre er in die Pinakotheken eingezogen - er hätte vermutlich als erstes alle Bilder von den Wänden abgehängt. Und danach würde dort gekocht und gesungen, und nepalesische Sherpas würden uns tanzend über ihr Elend am Himalaya informieren, Eskimos dürften Walfischzähne zu Installationen auftürmen und Marzahner Sprayer könnten Gedichte mit englischen Obertiteln zitieren . . . ja, seien wir glücklich, dass es nur die Kammerspiele getroffen hat.

(Ich bin nicht bei Facebook und twittere auch nicht, sorry an alle Shitstürmer.) Michael Skasa, München

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© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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