Münchner im Exil:Spiele statt Schläge

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Von Großnöbach nach Somalia: Maria Pahl-Lieke arbeitete 40 Jahre lang als Erzieherin in Afrika

Von Judith Raupp

Maria Pahl-Lieke erzählt von Somalia, von Frieden und Gastfreundschaft: "Gott, waren die Leute lieb", sagt sie. Mit den Frauen hat die Erzieherin aus Großnöbach (Landkreis Freising) gebacken, gebastelt, über Schule und Hygiene für die Kinder geredet. Sogar gebetet hat sie mit ihnen. Eine Christin unter Moslems, das war kein Problem in den Achtzigerjahren. Die Männer hatten Vertrauen, sie wussten ihre Frauen gut aufgehoben bei der Deutschen.

Pahl-Lieke, 65, sitzt im Esszimmer in ihrer Wohnung in der tansanischen Touristenstadt Arusha und blickt auf 40 Jahre Afrika zurück - vier Jahrzehnte hat sie dort als Erzieherin gearbeitet, mittlerweile ist sie im Ruhestand. Ihr Weg hat sie nach Ghana, Ägypten, Marokko, nach Tunesien, Somalia, auf die Kapverden und nach Tansania geführt. Sie hat Erzieherinnen ausgebildet und Waisenkinder betreut. Immer wieder springt die quirlige Seniorin auf. Mal holt sie ein Foto, mal ein Kinderbuch, das sie geschrieben hat. Heim und ihr Herz sind voll Erinnerungen.

Die Erzieherin, aufgewachsen auf einem Bauernhof, wollte ihren Kolleginnen zeigen, dass Kinder ein Recht auf Spielen, Freiheit und eigenen Willen haben - auch, dass sie ohne Schläge gehorchen lernen. Mancherorts in Afrika ist das noch heute eine fremde Idee. Es regiert die harte Hand. Mit ihrer Pädagogik nach westlicher Art ist Pahl-Lieke aufgefallen. Selbst der somalische Diktator Siad Barre wurde neugierig. "Eines Tages fuhr ein Auto mit getönten Scheiben vor", erzählt Pahl-Lieke. "Barre stieg aus, grüßte freundlich. Er wollte einfach mal das Kinderdorf sehen", sagt sie.

Heute arbeiten kaum noch ausländische Entwicklungshelfer in Somalia. Denn die islamistische Miliz Al-Shabaab sprengt Andersdenkende in die Luft. Pahl-Lieke schüttelt den Kopf und schaut traurig: "Wie konnte es nur so weit kommen?"

Sie leidet, wenn Menschen streiten und hassen. Ihre Arbeit für SOS Kinderdorf hat sie auch einmal in die Palästinensergebiete geführt. Das war während der ersten Intifada. "Schrecklich", ruft sie. Wenn sie zu den Behörden nach Jerusalem wollte, musste sie durch eine Art Käfig aus Maschendraht. Redete sie aus Sicht der Juden zu viel mit den Moslems oder umgekehrt, haben schon mal Autoreifen vor ihrer Tür gebrannt oder die Bremsleitung war gekappt.

Doch Pahl-Lieke kann auch grinsen über ihre Zeit in jener schwierigen Gegend der Welt. Einmal war sie mit einer Praktikantin unterwegs. Die junge Frau trug ihr Cello dabei. Die Grenzwächter misstrauten ihr, sie hatten Angst vor Anschlägen. So musste die Praktikantin auf dem Instrument spielen, um zu zeigen, dass darin keine Bombe versteckt war. Die Musik lockte viele Leute zum Kontrollposten. "Bei dem Auflauf haben sie uns gleich laufen lassen", erzählt Pahl-Lieke.

Ihr Bauchgefühl hat Pahl-Lieke nach Afrika geführt. Während der Ausbildung sah sie im Büro der Oberschwester ein Foto mit einer Europäerin im Kreis afrikanischer Kinder. Albert Schweitzer fiel ihr ein. Dem Arzt wollte sie nacheifern, der in Gabun so viele Kinder geheilt hatte. Bald entdeckte Pahl-Lieke eine Stellenanzeige in der Süddeutschen Zeitung. Sie bewarb sich und landete im SOS Kinderdorf in Ghana.

Aufgewachsen ist sie in einer sehr ländlichen Gegend. In ihrer Jugend gab es in Großnöbach keinen Schulbus. "Wer nicht Schneiderin oder Friseurin werden wollte, musste weg nach der Grundschule", erzählt sie. Sie ging nach Erding aufs Internat. Ihre Mitschüler kamen aus allen Winkeln von Bayern. Kaum jemand von ihnen wusste, dass sie im Alter von fünf Jahren aus dem Odenwald zugezogen war. "Endli war i nimmer der Preiß", sagt sie in bestem Dialekt.

Bayern bedeutet der Afrika-Liebhaberin Heimat. Wenn Freunde Leberwurst und Löwensenf nach Arusha mitbringen, ist sie überglücklich. Sie bäckt Kümmelbrot, in Ägypten hat sie mal ein Oktoberfest organisiert. Mit blau-weißen Girlanden und Blaskapelle. Seit es Internet gibt, hört sie bayrische Radiosender.

Überhaupt das Internet, "welch ein Segen", findet Pahl-Lieke. Sie weiß noch gut, wie umständlich das Leben zuvor war - alleine schon, um Flugtickets zu besorgen. Stundenlang musste sie über holprige Pisten zum Büro der Fluggesellschaft in die Stadt fahren. Wenn sie Pech hatte, war die Maschine schon ausverkauft.

Ende der Achtzigerjahre ist sie zwischen Kairo und der ghanaischen Hauptstadt Accra gependelt. Ihr damaliger Freund und späterer Mann Manfred arbeitete in einem Dorf in Ghana, sie in Ägypten. Die ständige Furcht, sie könne kein Ticket mehr ergattern und ihren Liebsten nicht sehen, hat Pahl-Lieke gestresst. Manchmal sah sie so schlecht aus, dass die Flugbegleiterin sie in die erste Klasse lotste. Im Polstersessel konnte sie endlich ruhen.

Ihren Mann hat Pahl-Lieke in Somalia kennen gelernt. Er lieferte Ersatzteile für Landmaschinen an Bauern. Vor allem aber hatte er im Gegensatz zu ihr ein Zimmer mit Strom und fließendem Wasser: "Duschen und Kleider waschen, wow!" Sie schwärmt noch heute davon.

Die Hochzeit 1991 in Atebubu fand etwas überstürzt statt. "Als ich am Morgen in Ghana ankam, hätte ich nicht gedacht, dass ich am Abend verheiratet bin", sagt Pahl-Lieke heute. Das Paar war sich im Prinzip einig. Heiligabend sollte ihr großer Tag werden. Doch zuvor erfuhren sie, dass der Richter, der sie trauen musste, zu einer langen Reise aufbrechen würde. "Heute oder gar nicht", stellte er die Brautleute vor die Wahl. Dann eben sofort.

Später holten sie die Feier nach. Drei Ziegen mussten ihr Leben lassen. Die Gäste verspeisten den Braten zu Trommelklängen. Der Medizinmann bestand auf Schnaps aus Holland. Er und die frisch Vermählten spülten damit den Mund und spuckten das Hochprozentige auf den Boden - zu Ehren der Ahnen. "Ich mag keinen Alkohol, deshalb habe ich heimlich Wasser in mein Glas gegossen", sagt Pahl-Lieke und kichert.

Eine Weile nach der Hochzeit ist Pahl-Lieke nach Ghana gezogen. Dort hat sie die Früchte der Cashewnüsse entdeckt und Rezepte kreiert. Die einheimischen Frauen waren schockiert. Sie hielten die Früchte für giftig, aßen nur die Nüsse. "Als ich am Leben blieb, haben die Frauen mit mir ein Kochbuch geschrieben", erzählt Pahl-Lieke. Im Reis schmecken die Früchte "wie Schwammerl", schwärmt sie. Ein Jahr später sind die reifen Früchte von den Bäumen verschwunden. Pahl-Lieke hat sich gewundert. Dann bemerkte sie, dass die Frauen plötzlich Schnaps aus Cashewnüssen servierten. Ein neues Rezept war entdeckt.

Pahl-Lieke lacht über solche Anekdoten. Sie mag die Menschen in Afrika. Trotzdem will sie mit ihrem Mann zurück nach Deutschland, vielleicht auf den Bauernhof in Großnöbach. Sie wäre dann näher bei den beiden Töchtern in England und könnte im Notfall zu guten Ärzten gehen. Albert Schweitzer nacheifern, damit muss man es im Alter nicht übertreiben.

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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