Münchner Filmkunstwochen:Liebe auf den zweiten Blick

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Sommer ist Wander-, ist Vagabundenzeit, man streift durch fremde Landschaften und die schönsten Ideen trudeln einem durch den Kopf. So war es auch, ein halbes Jahrhundert ist das her, in einer kleinen filmischen Toskana-Fraktion, gebildet aus dem Filmemacher Federico Fellini und seinem Drehbuchmitautor Tullio Pinelli, die anfingen, eine Geschichte auszuspinnen, die einer der Klassiker der Kinogeschichte werden sollte.

Fritz Göttler

"La Strada": "Als ich Pinelli vorerst noch vage andeutete, was der Film sein könnte, schaute er mich verblüfft an: Wie merkwürdig, auch ihn hatte während der Sommerferien, als er über seine riesigen Güter in der toskanischen Campagna spazierte, ein ähnliches Gefühl bewegt, ein Gefühl, dem die Vorstellung entsprang, von ziellosem Herumwandern durch Vorstädte und Dörfer in einer Zeit, die durch die Jahreszeiten-Folge ihren Rhythmus erhielt; eine pikareske Erzählung von Zigeunern und Gauklern. Im Eifer sprachen wir den ganzen Nachmittag darüber, und es war, als erzählten sich Gelsomina und Zampanò die Geschichte ihres Vagabundenlebens ..."

Auch wer den Film noch nie gesehen hat, kennt diese Szene: Marcello Mastroianni und Anita Ekberg in der Fontana di Trevi. (Foto: Foto: dpa)

Man kann der geheimnisvollen Gelsomina, gespielt von Fellinis Frau Giulietta Masina, und dem bärenstarken Zampanò, verkörpert von Anthony Quinn, wiederbegegnen in der Münchner Lupe, wo heute Fellinis "La Strada" läuft, im Rahmen der Münchner Filmkunstwochen, und dazu ein paar Weggenossen und -gefährtinnen des Vagabundenpaars: dem dunklen Poeten Orphée in Cocteaus gleichnamigen Film oder den zur Dekadenz verdammten Großbürgern in der Thomas-Mann-Verfilmung "Buddenbrooks" von Alfred Weidenmann.

Weitere Wanderer werden dazustoßen, die Phantome aus dem Schloss Nymphenburg in Resnais' "Letztes Jahr in Marienbad", die Nachtschwärmer von der Via Veneto in "La Dolce Vita" (ein weiterer Fellini), das fahrende Volk in Emir Kusturicas "Time of the Gypsies".

Das Kino - man vergisst es gern, wenn man sich mit den Multiplex-Blöcken heute konfrontiert sieht, ist seiner Entstehung, seinem Geiste nach eine mobile Institution, es ist auf den Jahrmärkten geboren und hat sich bewährt mit übers Land ziehenden Vorführern, die in den Dörfern und Kleinstädten ihre Kintop-Zelte aufbauten.

In der Stadt München signalisiert die Jahreszeiten-Folge für den August "Internationale Filmkunstwochen", und das inzwischen zum 51. Mal. Beweglichkeit ist das Motto, ein Flanieren und Bummeln zwischen Themen, Genres, Autoren, Stars des alten und neueren Kinos - im Gegensatz zum Herdentrieb, durch den die Massen in die aktuellen Actionknaller gezogen werden.

Ganz ohne Streckenkarten und Wegweiser kommt man natürlich auch in den fünf Münchner Filmkunstwochen-Kinos nicht aus. Kult und Klassik präsentieren das Neue Arena und das Arri, von Kubrick, Lynch und Kaurismäki bis "Big Lebowski" und "Vertigo", das Rottmann kontert mit europäischen Highlights, von "8 Frauen" bis "Trafic" (Tati wohlgemerkt, nicht Soderbergh!), und kulinarisch geht es im Rio zu, von "Rossini" bis "Bella Martha".

Bis zu drei Gänge sind im Angebot, drei verschiedene Filme, die aufregender sind und leichter verdaulich als die schwere Blockbuster-Kost in den Massenabfütterungsstätten.

Das Repertoirekino hat schwer gelitten in den letzten Jahren, durch Video und DVD einerseits, durch den manischen Trend zum Event andererseits. Und den Kleinverleihern macht das schrecklich schöne Sommerwetter einen kräftigen Strich durch die Rechnung.

Mit dem neuen Rhythmus verändert sich auch das Verhalten und Timing der willigen Kinogänger - mancher Film, an dem sie Interesse hätten, ist schon wieder aus dem Programm gerutscht, bevor sie sich mit ein paar Freunden auf einen gemeinsamen Kinobesuch abstimmen konnten.

Für solche Lücken haben die Filmkunstwochen ihr Programm entwickelt, aber auch für jene Praxis, die unbedingt reaktiviert gehört - den zweiten Blick, das Wiedersehen eines Film!

Nicht um seiner filmhistorischen Bedeutung wegen, seiner Klassizität, sondern allein zum Lustgewinn. Es ist kein Kanon, den man hier absolvieren muss, eher Erinnerung an jene Wahnsinnsatmosphäre in der Pariser Cinémathèque, die einst alles zeigte, ohne filmhistorisches Korsett.

Es ist die Vergangenheit, der sich die Filmkunstwochen verschreiben, aber es ist die Zukunft des Kinos, um die es dabei geht. Von all diesen Sorgen und Fragen unberührt zeigt sich allein das Programmkino par excellence, die stadteigene Kintop-Bude: Das Münchner Filmmuseum lässt uns mit unserem Begehren nach einem attraktiven Kinosommer erneut im Stich und macht den August über zu.

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