Münchens künftiges Wachstum:Metropole oder nicht, das ist hier die Frage

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SZ-Leser warnen davor, sich zu sehr auf die Landeshauptstadt zu konzentieren - und die Entwicklung in der Fläche zu vernachlässigen

"Mut zur Metropole" vom 5. Juli und die Münchner Wachstumsdebatte:

Blinder Großstadtfanatismus

Was ist absurd an der Vorstellung, dass eine Stadt nicht ungezügelt wachsen soll und stattdessen die Lebensqualität für die Menschen bewahrt, die schon da sind? Mit blindem Großstadtfanatismus verkennt der Autor die Schattenseiten grenzenlosen Wachstums im für Zuzug grenzenlos attraktiven München und führt damit sein eigenes Credo ad absurdum: Wenn schon angeblich nur das Leben in Städten attraktiv ist, sollte dann nicht die Lebensqualität in diesen Städten wenigstens bewahrt werden? Zu viele Menschen auf zu wenig Fläche - der alltägliche Druck auf öffentlichen Raum und überfüllte Verkehrsmittel und -wege belastet die Bewohner/-innen und beeinträchtigt ein friedliches Zusammenleben in der Stadt. Soziale Schieflagen und eine Segregation in diejenigen, die es sich leisten können, und die, die "damit zurecht kommen" müssen, sind sicher nicht mit "neuen Hochhaussiedlungen" zu kompensieren - dieser Gedanke wurde spätestens in den 1980er Jahren als falsch erkannt. Und was passiert, wenn der letzte Autotunnel, die letzte U-Bahnlinie gegraben, das letzte Grundstück bebaut, jeder Quadratmeter öffentliche Grünfläche mehrfach genutzt, der Flughafen ausgebaut und dafür wieder ein Stück ländlicher Raum unbewohnbar gemacht worden ist? Dann ist die vom Autor beklagte "Gleichmacherei" Realität geworden - und zwar mit jeder x-beliebigen Großstadt rund um den Globus. Heinz Grünberger, München

Unfeine Egoismen

Es mag ja etwas dran sein wenn gefordert wird, die Metropolen zu stärken. Aber dafür den ländlichen Raum bewusst abzuhängen ist asozial und unmenschlich. Pfui Teufel! Prof. Dr. Rolf Rauber, Göttingen

Stadt und Land, Hand in Hand

"Extra Bavariam non est vita, et si est vita, non est ita. Außerhalb von Bayern gibt es kein Leben, und wenn, dann kein solches". Diesen Spruch habe ich von Franz Josef Strauß häufig gehört. Für seine Erben, die aus dem Agrarland Bayern das wirtschaftliche Musterland machten, ist das auch heute eine Verpflichtung, der sie nur gerecht werden können, indem sie eine ausgewogene Strategie verfolgen. Wie ich meine, mit weitgehend überzeugenden Resultaten. Zweifellos könnte in München, unserer liebenswerten provinziellen Hauptstadt, manches besser organisiert und weiter fortgeschritten sein: Die zweite S-Bahn-Röhre zum Beispiel könnte schon fast fertiggestellt sein, wenn Mut statt kleinkarierter Finanzierungs-Debatten die Planung bestimmt hätte. Da hat Christian Krügel völlig recht. Meinen heftigen Widerspruch fordert er aber heraus mit seiner Kritik, dass "mit großem Aufwand ländlicher Raum und strukturschwache Gebiete gefördert werden, statt die Metropolen zu stärken." Als ehemaligem Geschäftsführer der "Wirtschaftsregion Hochfranken" (Landkreise Hof, Wundsiedel und die Stadt Hof) ist mir besonders bewusst, dass unsere gesunde Wirtschaftsstruktur vor allem den mittelständischen und handwerklichen Gewerbebetrieben mit der überwiegenden Zahl der Arbeitsplätze zu verdanken ist. Die vielen Weltmarkt-Führer (Hidden Champions) unter ihnen sind im ländlichen Raum angesiedelt, und nicht in den Metropolen. An Arbeitsplätzen fehlt es nicht - der Mangel an Fachkräften wird immer mehr beklagt. Also Mut für ein behutsames Wachstum der heute schon modernen Metropole München, aber noch mehr Mut dem Heimatministerium für die Entwicklung des ländlichen Bayern. Dr. Albert Kaltenthaler, Marktredwitz

Bitte keinen Wasserkopf

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen: "Munich first!" München ist eine großartige Stadt, keine Frage. Ob sie sich einen Gefallen damit tut, ihre Strahlkraft über das bisherige Maß noch wesentlich zu steigern, steht auf einem anderen Blatt. Die Entwicklung zur "Mustermetropole in Europa", die dem Autor vorschwebt, würde in der Praxis letztlich doch nur in wesentlich höheren Lebenshaltungskosten, einer weiteren Verdichtung der Baustruktur, einer Ansammlung von unansehnlichen, austauschbaren Hochhaussiedlungen und der Zerstörung des Umlands enden. Es gibt in der neueren Geschichte genügend Beispiele von Großstädten, denen extreme Wachstumsschübe eher geschadet haben. Wir haben in Bayern neben München acht attraktive Universitätsstädte, wo es sich günstiger leben lässt. Städte, die für junge Leute und Familien interessant sind, wo sich auch Betriebe und Gewerbe angesiedelt haben. München zu einem zentralistischen Wasserkopf zu entwickeln, kann jedenfalls keine Lösung sein. Albert Buchmeier, München

Zeit des Zögerns, Zauderns und voll Zaghaftigkeit

Der Mut zur Metropole fehlt, wie in München heute oft zu vielen modernen Entwicklungen der Mut fehlt. Die Liste der Versäumnisse ist lang. Die Frage, wie man zum Beispiel das jahrzehntelange Vernachlässigen der verkehrlichen Infrastruktur - vor allem des ÖPNV - in kurzer Zeit kompensieren kann, wird gar nicht erst gestellt. Kann man sie ehrlich beantworten? 300 000 Einwohner mehr in den nächsten zehn Jahren: Dafür gibt es dann nach fast 20 Jahren mühsamer Vorbereitungszeit und jetzt folgenden mindestens zehn Baujahren vielleicht eine zweite Stammstrecke, die in keiner Weise für die Münchner Wachstumsprobleme ausreichen wird.

Vergessen wir aber nicht, dass München schon einmal ganz gewaltig gewachsen ist. Während der Prinzregentenzeit hat sich die Zahl von 1890 mit 150 000 Einwohnern auf 330 000 mehr als verdoppelt. Vergessen wir auch nicht, wie das Stadtbild Münchens von der Prinzregentenzeit baulich und namentlich bis heute geprägt wurde, siehe Prinzregentenplatz mitsamt dem großartigen Theaterbau. Die Gründerzeitviertel entstanden, Zeichen eines gewaltigen Auf- und Umbruchs, etwa auch nach Schwabing und dessen damals vielfach noch landwirtschaftlich strukturiertes Umfeld. Da zauderte man nicht mit mächtigen Wohnbaukomplexen, deren unzerstörte Reste mit mehr oder weniger Jugendstil heute unter Denkmalschutz stehen. Kunst und Kultur blühten - auch die kritische und moderne; und nicht wie heute, eher vorsichtig mit immer ein bisschen Retro und zudem gern auf andere Städte schielend. Es gab die vielen Volkssängerbühnen für die Massen der von draußen hinzugezogenen Menschen, die keine Wohnung fanden und sich für acht Stunden mal ein Bett mieten mussten. Dafür gab es dann neben der Arbeit die vielen Bierstuben, Wirtshäuser und Biergärten.

Und heute? Welche städtebaulich markanten Quartiere, welche Kunst- und Kulturbauten werden in über 100 Jahren noch an diese jetzige Wachstumsphase mit ihren oft so gesichtslosen Wohnquartieren und endlosen Diskussionen um die Pfanni-Philharmonie erinnern? Mehr Hochhäuser sind kein Heilmittel und machen keine urbane Stadt. Die dichteste Bebauung ist die siebengeschossige wie in Paris. Wird man über heute von einer Zeit des Zögerns, Zauderns und voll von Zaghaftigkeit reden? Mut ist gefordert, auf dass das wachsende München wieder leuchte! Frank Becker-Nickels, München

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© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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