Münchens Konzertsaal-Projekt:Ein Glaspalast - und viele Misstöne

Lesezeit: 7 min

Münchner Konzertsaal-Gezwitscher. SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch (Foto: N/A)

SZ-Leser hadern mit der wenig aufregenden Architektur, einige mit dem Standort, manche wundern sich über übertretene Bauvorschriften

"Weicher Riese" vom 28./29. Oktober, "München streitet übers Gletscherhaus", "Ein Entwurf, der viel ermöglicht" und "Jubelnde Juroren und ein paar schnelle Deals" vom 30./31. Oktober und die Diskussion um Münchens neuen Konzertsaal im Werksviertel:

Süchtig nach Spitzenplätzen

Dass man sich beim Entwurf eines Konzertsaals für München in puncto Lage, Architektur, Akustik, künstlerische Leitung et cetera, in anderen Städten umschaut, Informationen sammelt und Vergleiche zieht, ist sinnvoll. Aber muss das dann immer gleich im "Superlativismus" enden? Man könnte ja - Gott behüte! - Hamburg und der Elbphilharmonie hintanstehen! München neigt auch im Kunst- und Kulturbereich dazu, sich mit seinen Institutionen wie Orchestern, Theatern und Museen, immer in den Top Drei zu sehen, und das mindestens weltweit. Aber wo, bitteschön, stehen diese in Stein gemeißelten Ranglisten?

Wer maßt sich an, sie aufzustellen?Und widerstreben sie nicht im Innersten dem Wesen der Kunst, deren Wert und Qualität weder anhand von Eurobeträgen und Besucherzahlen, noch mit Phonzahlen und Höhenmetern allgemeingültig beziffert werden können? Das ständige Schielen von Teilen der Münchner Gesellschaft und der Entscheidungsträger auf einen drohenden Imageverlust der Stadt und die Furcht, von einer vermeintlichen Spitzenposition abgehängt zu werden, zeugt nicht von einem angemessenen Selbstbewusstsein! Eigentlich schade, angesichts des kulturellen Reichtums und der Ressourcen, die München bietet! Martin Busen, Frankfurt

Käsepyramide

"Der Entwurf ist nicht spektakulär, aber auch nicht hässlich", meint BR-Chefdirigent Mariss Jansons. Na ja, schön klingt anders. Mich erinnert die Form des geplanten Bauwerks an meinen Frühstücksziegenkäse. Ebenso schrägkantig, pyramidenförmig und ohne Spitze, wie mein französischer Frischkäse eben. Ich habe das schmunzelnd meinem Käsethekenmann erzählt, und es ist jetzt gut möglich, dass er mich beim nächsten Mal fragt: "Soll es wieder unser Münchner Konzerthauskäse sein?" Mariss Janssons sagt aber auch: "Entscheidend ist, was im Konzertsaal passieren wird." Recht hat er, und dort wird mit Sicherheit kein Käse gemacht. Womit auch ich - wie zur Zeit so viele - meinen Käse ... äh... meinen Senf dazugegeben hätte. Manfred Fischer, München

Nützliche Glasfassade

Hat eigentlich irgendjemand daran gedacht, die großflächige Glasfassade mit PVGlas zur Solarstromgewinnung auszustatten, schließlich gibt es in Freiburg mit dem Smart Green Tower unter Beteiligung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme einen Einstieg in diese Art von Städtebau. "Das Gebäude erhält eine aktive Gebäudehülle aus Glas/Glas-Photovoltaik-Modulen mit Hochleistungszellen. Dadurch wird einerseits die Verschattung zur Reduzierung des solaren Wärmeeintrags erreicht und andererseits eine Energie-Gebäudehülle geschaffen, die über eine viertel Million kWh erneuerbaren Stroms am und durch das Gebäude selbst erzeugt" (so die Projektbeschreibung der Architekten). Das wäre dann für München mal wirklich ein zukunftsweisendes Vorzeigeprojekt. Schneewittchen erwacht ja auch zu neuem Leben! Eva Ott, Amberg

Jenseits der Vorgaben

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Laut Bebauungsplan der Stadt München darf das neue Konzerthaus nicht höher als 26 Meter sein. Der prämierte Entwurf ist aber 45 Meter hoch, was aufgrund einer "Öffnungsklausel" aber möglich sein soll. Während bei privaten Bauvorhaben akribisch auf die Einhaltung des Bebauungsplans geachtet wird, setzt sich "Vater Staat" ruckzuck über seine eigenen Vorschriften hinweg. Dieses Vorgehen macht den gesamten Wettbewerb zur Farce, weil alle anderen Architekten, die sich an die Vorschriften gehalten haben, an der Nase herumgeführt wurden. Der Wettbewerb muss neu ausgeschrieben werden, mit gleichen Bedingungen für alle Teilnehmer. Erich Fischer, München

Teurer Prunk-Wettlauf

Was für eine Verschwendung von möglichem Wohnraum in der Stadt München. Kann sich noch jemand daran erinnern, wie haarscharf wir Münchner am Stoiber-Milliardengrab der Magnetschwebebahn vorbeigeschrammt sind? Ein Meer von falschen Zahlen. Manche Angestellte sitzen den ganzen Tag auf 15 Jahre alten Bürostühlen, und der Chefdirigent Mariss Jansons wünscht einen neuen Arbeitsplatz für sich und sein Orchester. Schräger kann der Riss durch unsere Gesellschaft doch nicht sein. Wer glaubt denn an das Märchen von 150 bis 300 Millionen Euro geschätzten Baukosten? Dieser Wahnsinn, wenn er realisiert wird, kostet realistisch über eine Milliarde, die Verantwortlichen wissen das heute schon - und wir Steuerzahler sind in der Haftung. Tolle Geschäftsidee. Meine Meinung: Finanzierung nur durch Privatkapital und an der Stadtgrenze. Wir hier in München benötigen bezahlbaren Wohnraum und keine Wohlfühlprunkbauten für eine gewisse bundesdeutsche Einkommensschicht. Und neben den Eintrittskarten kaufen die Eliten das entstehende Eigentumswohnungsangebot um diesen Kunsttempel gleich mit. Parallel hierzu steigt dann der Mietspiegel im "Werksviertel" automatisch into the heaven.

Was wir hier in Deutschland dringend benötigen, sind Maßnahmen, die dem sozialen Gleichgewicht dienlich sind. Die Bürger sollten auf die Straßen dieser Stadt ziehen und dafür kämpfen, dass diese Gelder für den sozialen Wohnungsbau verwendet werden. Alexander Kolb, München

Zeppelinhangar

Wir sind Liebhaber der klassischen Musik und wir träumten von einem festlichen Gebäude, bei dem bereits beim Näherkommen freudige, ja festliche Stimmung aufkommt. So, wie es aussieht, werden wir einen Zeppelinhangar nach dem Vorbild in Friedrichshafen bekommen. Bregenz ist ja so nah! Wir halten die Idee, das neue Konzerthaus in ein Industriegebiet zu bauen, für die Schlechteste überhaupt, da das neue Gebäude in eine bestehende, unveränderliche und langweilige Umgebung eingezwängt wird. Der geplante Klotz, Hangar, Glassarg wird ganz sicher keine Touristenattraktion werden. Welcher Tourist besucht schon ein funktionales, aber langweiliges Industriegebiet wie jenes am Ostbahnhof. Warum befragt man nicht die Abonnenten der diversen Konzertreihen? Die heutige Schlagzeile in der SZ, dass München sich entschieden habe, ist vermessen. Sogenannte Fachleute haben sich entschieden, nicht aber all jene, die regelmäßig die Philharmonie oder künftig das Konzerthaus besuchen. Die Musiker wie auch wir Besucher haben größtes Interesse an bestmöglicher Akustik, wir wünschen uns aber auch ein festliches Gebäude in attraktiver Umgebung. Siehe Luzern, Berlin, Hamburg. Bitte verschont uns von dem Hangar, es gibt ja nicht einmal Platz für die Landung eines Zeppelins. Edith und Martin Barth Puchheim

Gleise als Barriere

Am Unerfreulichsten ist leider die fehlende städtebauliche Verbindung zwischen Westen (Orleansplatz) und Osten (Pfanni) wegen der überbreiten Barriere Ostbahnhof. Will man allen Ernstes hier eine Unterführung beibehalten, eine finstere Unterführung an einem Bahnhof, der nur tagsüber belebt ist und abends in den Tunnelröhren Angstgefühle evoziert? Herzog du Meuron haben mit ihrem zeichenhaft kristallinen Entwurf als einzige Arbeit sich Gedanken über eine zwingend notwendige Vernetzung beider Seiten gemacht. Und dieser wichtige städtebauliche Befreiungsschlag zwischen den Stadtvierteln fehlt in den Rahmenplänen und allen anderen Arbeiten! Diese Verbindung muss aber sein. Die Qualität des markanten halbrunden Orleansplatzes muss auf der anderen Seite, der "Eastside", aufgenommen werden. Statt einem düsteren Tunnel braucht es eine lichte, gläserne Brücke! Ein großzügiger Steg, am besten sogar wegen der Weglänge mit Rollsteig, der über gläserne Aufzüge mit den Bahnsteigen verbunden ist. Er sollte vom Orleansplatz durch ein kleines "Loch" in der Platzrandbebauung des Sozialreferates (geht aber auch seitlich) auf die andere Seite durch die grüne Fußgängerachse bis direkt vor die Philharmonie führen. Die Philharmonie ist ein ganz besonderer neuer Akzent im Osten, der mit einer deutlichen städtebaulichen Verknüpfung noch bessere Entwicklungschancen bietet. Wenn man eine neue Philharmonie mit hoher Qualität will, dann muss man sich auch weitere ernsthafte Gedanken um die Vernetzung beider Seiten machen! Der Ostbahnhof muss verbindendes und nicht trennendes Element sein!

Oder will man wie der Vogel Strauß weiter den Planungskopf im Sand und Kies unter dem Ostbahnhof vergraben, egal was als Philharmonie dort isoliert leuchtend kommen mag? Frank Becker-Nickels, München

Solitär mit Gschmäckle

Es ist erstaunlich, wie die Jury das Missachten der Bebauungsplan-Festsetzungen beim Sieger-Entwurf akzeptiert. Es ist außerdem erstaunlich, wie dem Grundstückseigentümer bei der abweichenden Nutzungsintensität geholfen wird. Das entstehende Gschmäckle irritiert.

Trotzdem ist hier ein großes Dankeschön fällig. Die schlichte, kühle Hülle für die Konzertsäle lässt alle Möglichkeiten offen. Das Drum-Herum hat bei diesem mutigen Standort mindestens den gleichen Stellenwert wie die Akustik. Dieser verführerisch strahlende Solitär ist ein Leitmotiv mit hoffentlich genügend Kraft für die gewünschten Veränderungen im gesamten Umfeld. Ich gratuliere zum Missachten der Bebauungsplan-Vorgaben und freue mich auf die innere und äußere Strahlkraft. Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

Gentrifiziertes Knödel-Areal

Nach dem Besuch der White-Box anlässlich der Besichtigung der anderen Entwürfe zum Neubau des Konzerthauses blieb mir die Spucke weg. Nicht nur wegen der Tatsache, dass aus meiner Sicht die inhaltlich sinnvollen und zielgenau in die kulturell-musikalische Zukunft führenden Entwurfs-Perlen schon in frühen Runden ausgesiebt wurden - sondern auch wegen Besuchern, die den Sieger des Projektes als "großartig, sensationell und innovativ" umschrieben. Leider wurden solche Aussagen in Lautstärken begangen, bei der man sie unweigerlich mit anhören musste. Wenn dieses Design dem aktuellen Zeitgeist entspricht, bin ich (32 Jahre) wohl aus der Zeit gefallen. Doch in diesem Zusammenhang ist mir das durchaus recht. Im Münchner Rathaus scheint man erpicht darauf zu sein, das Stadtgebiet mit hässlichen Neubauten zu überfluten.

Wenn man auf den architektonischen Charme, der diese Stadt so einmalig macht, keinen (allzu) großen Wert legt, hätte man sich nach dem zweiten Weltkrieg nicht die Mühe machen müssen, München (in diesem Fall die Altstadt) in weiten Teilen originalgetreu wieder aufzubauen. Man hätte es kurz und knapp mit Betonbauten überziehen können, die frei jeglichen Charmes die Wohlfühlqualität zu Boden ringen. Kostengünstiger wäre es ohnehin gewesen.

Negativbeispiele für missratene Architektur finden sich überall in der Republik. Ich bin nicht der Meinung, dass sich München diese architektonische Entgleisung in einen ohnehin bald von der Gentrifizierung überrannten Stadtbezirks tatsächlich einpflanzen lassen muss.

Ohne Beleuchtung sieht dieses Konstrukt aus, wie eine gläserne Version des allenfalls nur zweckmäßig anmutenden Sargdeckels des 1986 havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl und mit "festlicher Ambiente-Beleuchtung", passend zu ausgewählten Themen und Tagesereignissen (siehe Allianz-Arena) wie eine traditionelle Scheune im mittleren Westen der USA, wenn man sie dazu indirekt zum Beispiel in Rot oder Blutorange beleuchtet. Dann steht man hoffnungsvoll davor und wartet, bis ein Mähdrescher herausgefahren wird? Dieser (laut Artikel) "schwerelose Klotz, scheinbar simpel und vertraut, mit gewölbten Seitenwänden und abgeschnittenem Dachfirst", ist definitiv sehr seltsam und befremdend. Um nicht nur zu granteln, sondern auch Vorschläge einzubringen, zwei Gedankengänge von mir. Da München kaum freies Bauland besitzt, könnte man das neue Konzerthaus doch einfach auf den ebenfalls alles andere als vorzeigbaren, neuen Hauptbahnhof setzen. Man spart Baugrund, Bauzeit, und mit etwas Glück kann man diesen Vorschlag der deutschen Bahn als "Place to be", "Must have", "Event-Area" oder wie all die denglischen Aussprüche für sinnbefreites Konsumverhalten auch heißen mögen, verkaufen. Und spart sich eventuell noch den einen oder anderen, ohnehin knappen Euro an Steuergeld. Der zweite Vorschlag: Das Haus der Kunst ist sanierungsbedürftig, finanziell am Boden und wohl für lange Zeit geschlossen. Die (früher) vorgeschlagenen Entwürfe zur Außengestaltung sind einem so geschichtsträchtigen Gebäude mit einer so zwiespältigen, jedoch zu unserem Land und unserer Stadt gehörenden Vergangenheit, in keiner Weise würdig. Anstatt denselben Fehler zu begehen wie die Hansestadt Hamburg mit ihrer Elbphilharmonie... Wäre es da nicht einfacher, beides zu kombinieren? Man nehme das Haus der Kunst und integriert einen Konzertsaal im Format "Schuhschachtel" darin und spare sich mal eben mehrere Hundert Millionen Euro. Dem Haus der Kunst würden der Mief und der Staub herausgeblasen, es stünde wieder auf einem stabilen Fundament und starken Säulen.

Also liebe Stadtväter, glaubt an diese Münchner Erfindung und denkt mal drüber nach, ob die Bevölkerung diesen gläsernen Sarkophag zu diesen Unsummen (die im Übrigen nicht vom Himmel fallen) wirklich braucht. Daniel Glas, München

Leserbriefe stellen keine redaktionelle Meinungsäußerung dar, dürfen gekürzt und digital veröffentlicht werden. Briefe ohne Nennung des vollen Namens werden nicht veröffentlicht. Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Das Leserforum des SZ-Ressorts "München-Region-Bayern" erreichen Sie per E-Mail unter forum-region@sueddeutsche.de, per Fax unter 089/2183-8295 oder postalisch unter: Süddeutsche Zeitung, Leserforum Region, Hultschiner Straße 8, 81677 München.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: