Mordversuch an Taxifahrer:Die Stille vor der Explosion

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Ein ruhiges Problemkind: Zu Besuch bei der Mutter des 16-jährigen Jungen, der versucht haben soll, einen Taxifahrer zu ermorden.

Michael Tibudd und Susi Wimmer

Sie hat auch am Samstagmorgen das Bett ihres Sohnes gemacht, so wie sie es jeden Tag fein säuberlich getan hat. Nur dass ihr Sohn das Bett an diesem Tag nicht wie sonst wieder in Unordnung gebracht hat. Eine Unordnung, wie sie nun mal entsteht, wenn sich ein Mensch die meiste Zeit des Tages in einem Zehn-Quadratmeter-Zimmer aufhält.

Der Überfall auf den Taxifahrer in Daglfing lässt auch die Spezialisten von der Polizei rätseln. (Foto: Foto: AP)

Seit der Nacht zum Samstag war er nun nicht mehr in seinem Zimmer in dem Haus in Zamdorf. Er wurde festgenommen und sitzt im Gefängnis, wegen Mordversuchs. Muhammed C., der 16-jährige Sohn der Frau, die das Zimmer stets so sauber gehalten hat, ist Hauptverdächtiger bei dem Überfall auf den Taxifahrer in Daglfing zu Beginn des Monats. In dem Zimmer ist es nun ruhig. So ruhig, wie es eben sein kann, wenn direkt vor dem Fenster eine Autobahn vorbeiführt.

Vor 18 Jahren kam die Frau mit ihrem Mann aus der Türkei nach München, vor 15 Jahren zog die Familie mit den damals zwei kleinen Kindern nach Zamdorf. Der Jüngere soll nun, als 16-Jähriger, 40 Mal mit einem Küchenmesser auf den Taxifahrer eingestochen haben, nachdem er diesen mit einem Komplizen in eine Sackgasse in der Nähe seines Zuhauses gelotst hatte.

"Eine Brutalität, die man nicht verstehen kann"

Die Polizei sagt, der Junge sei 2001 erstmals auffällig geworden, mit einer Schlägerei auf dem Pausenhof. Glaubt man der Mutter, begannen die wirklichen Probleme jedoch erst später: Vor vier Jahren, als der Vater des Jungen starb. Mit diesem Verlust sei der Kleine, damals erst zwölf Jahre alt, "nicht fertig geworden". Er wurde zum Problemkind.

Ganz anders als sein zwei Jahre älterer Bruder, betont die Mutter. Der heute 18-Jährige schloss die Schule ab und steht auf der Gehaltsliste eines namhaften Münchner Unternehmens - er macht eine Mechanikerlehre. Auch der dritte Bruder ist pflegeleicht. Dieser war beim Tod des Vaters allerdings erst vier Jahre alt. Die Mutter selbst lebt von dem Geld, das sie als Putzfrau verdient.

In den vergangenen Jahren sei der Sohn in psychologischer Behandlung gewesen, wenn auch sporadisch, von drei Terminen berichtet die Mutter. Bis zum Sommer besuchte er die Hauptschule, die er aber abbrach. Seitdem passierte nicht viel im Leben des 16-Jährigen.

Einige Bewerbungen habe er geschrieben, aber keinen Ausbildungsplatz bekommen. "Er war fast den ganzen Tag in seinem Zimmer", sagt die Mutter. "Ab und zu hat er sich mit Leuten getroffen, jedes Mal mit anderen." Einer von diesen war Anfang Januar jener 17-Jährige, Patrick W., mit dem ihr Sohn den Überfall auf den Taxifahrer geplant hat.

Die Maßlosigkeit der Tat lässt in der Woche nach der Festnahme auch die Spezialisten von der Polizei rätseln. "Eine Brutalität, die man nicht verstehen kann", sagt Konrad Gigler, Leiter der Abteilung Verbrechensbekämpfung am Polizeipräsidium München.

Verglichen mit seinem sonstigen Alltag schockt diese eiskalt ausgeführte Tat den Leitenden Kriminaldirektor allerdings nicht wirklich: "Die Quantität und auch die Qualität jugendlicher Gewalt hat neue Formen erreicht", konstatiert er. Am Boden Liegende würden mit Füßen getreten, gegen den Kopf, bis zur Bewusstlosigkeit und selbst dann noch weiter; als Waffen dienten selbst Eisenstangen und abgebrochenen Flaschen.

Für die Stadt München lässt sich diese Brutalität auch in Zahlen messen: Innerhalb von zehn Jahren ist die Anzahl der Kinder (bis 14 Jahre), die gefährliche oder schwere Körperverletzungen verübt haben, um 350 Prozent gestiegen - von 59 Tatverdächtigen im Jahr 1995 auf 267 im Jahr 2005. Bei der Jugend (14 bis 18 Jahre) hat sich der Anteil der Tatverdächtigen von 306 auf 625 mehr als verdoppelt. "Immense Zahlen" nennt das Gigler.

"Ich mach' dich kalt"

Natürlich sei auch, so räumt er ein, die Bevölkerung sensibler geworden und zeige Verbrechen häufiger an. Trotzdem: Was bleibe, ist mehr Gewalt - und deren "gefährlichen Formen", wie Gigler es nennt. Wenn ein Achtjähriger seinem Gegenüber buchstäblich an die Gurgel geht, eine 14-Jährige zu einem anderen Mädchen sagt: "Ich zerschneide Dir das Gesicht und mache Dich kalt", dann fragt sich der Kriminaldirektor, "woher die diese Handlungs- und Sprechweisen haben."

Und da fallen Gigler das Elternhaus - und die Medien ein. "Wenn in der Familie Konflikte mit Gewalt gelöst werden, wie soll dann das Kind einen anderen Weg finden?" Andere Eltern, "die auf dem Egotripp sind", parken ihre Kinder lieber vor Fernseher oder Computer, um sich selbst nicht mit ihnen beschäftigen zu müssen, "das sind für mich ganz klare Erziehungsdefizite".

Die Polizei geht mittlerweile schon mit Gewaltpräventions-programmen in die Kindergärten. Und sie betreut momentan 83 jugendliche Intensivtäter in einem Spezialprojekt. "Auf der Liste stehen noch mehr Kandidaten, aber unsere Kapazitäten sind beschränkt", klagt Gigler. Für Täter wie auch Opfer jedenfalls seien die Folgen meist verheerend. "Wir haben Opfer, die für ihr Leben gezeichnet sind und einige Täter, deren gescheiterter Lebensweg vorgezeichnet ist."

© SZ vom 16.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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