"Schön ist die Jugend, bei frohen Zeiten, schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr", tönt es vielstimmig durch den Hofgarten. Sieben Rentner, jeder mit einem bunt verzierten Rollwägelchen bewaffnet, rollen trällernd aus allen Richtungen auf den Pavillon in der Mitte des Parks zu. In den Körben der Rollatoren befinden sich Bergschuhe, Kinderfotos, eine hölzerne Frauenkirche und zwei Hunde. Verwirrt über diese plötzliche Erscheinung drehen ein paar Passanten den Kopf. Doch noch ehe sie verstanden haben, was hier passiert, sind die Senioren schon wieder auseinandergerollt.
"Singende Senioren an klingenden Rollatoren" heißt das Projekt, mit dem ein Münchner Künstlertrio auf die Situation der alten Menschen aufmerksam machen will. Die Stadt wird immer älter, mehr als 300.000 Einwohner sind heute über 60 Jahre alt. Synonym für die fehlende Präsenz von Senioren im Stadtbild steht der Rollator - für die einen ist er unverzichtbare Gehhilfe im Alltag, für die anderen demütigendes Merkmal ihrer zunehmenden Immobilität. Manche gehen sogar so weit, von einer Verlängerung der eigenen Persönlichkeit zu sprechen.
Grund genug sich mit dem Accessoire für Senioren näher zu beschäftigen, dachten sich Ruth Geiersberger, Gisela Müller und Walter Siegfried. "Für mich ist der Rollator ein schönes Instrument, der zu Bewegung einlädt, eine Art Skulptur", sagt Siegfried. In ihrer Massivität seien die Rollatoren bedrohlich und schön zugleich. Dennoch soll das Konzert keine Rollatorenmesse sein, sondern eine Stadtraumintervention. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Kunst hören, Musik sehen" wird es vom Stadtrat gefördert. "Und natürlich hat Kunst immer auch mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation zu tun", sagt Siegfried.
Reise in die eigene Vergangenheit
Die rockenden und rollenden Rentner sind inzwischen in der Maximilianstraße angekommen, die mit ihren Designerläden eher ein Synonym der ewigen Jugend ist. Dementsprechend fehl am Platz wirken die Senioren. Dennoch stimmen ein paar Passanten in die Lieder ein - Volksweisen und Schlager wecken die Erinnerung an ferne und für viele unbekannte Zeiten. Als eine Ambulanz mit lauter Sirene vorbeifährt, verändert sich der Akkord plötzlich. Der Chor stimmt in das Geheule ein und Musik und Stadt verschmelzen für einen Moment zu einem einzigen Ton.
Noch bis Freitag verwandeln die Senioren ihre Rollatoren an ausgesuchten Orten der Stadt in klingende Mobilbühnen, unter anderem wollen sie am Münchner Flughafen mit ihrer Straßenkunst auftreten. Für den Senior Hermann Winkler sind die Rollatorenkonzerte auch eine Reise in die eigene Vergangenheit - damals, als er noch im Knabenchor gesungen hat. "Wir haben ein gemeinsames Ziel", sagt er mit Blick auf die anderen Sänger, mit denen er seit einem halben Jahr für diesen Auftritt probt. "So eine neue Sozialisation ist einem im Alter nicht mehr so oft vergönnt."
Seine Frau hat sich trotzdem geweigert teilzunehmen - "zu spinnert" kam ihr die Aktion vor. "Ich experimentiere eben gerne und übe mit dem Rollator für später", sagt der 72-Jährige entschuldigend. Er will zeigen, "dass das Alter auch schön sein kann". Als das Konzert vorbei ist, tauscht Winkler den Rollwagen wieder gegen sein Rennrad ein. Gemeinsam mit dem Rest des Chores ist er bald verschwunden - und der Lärm der Stadt wird wieder zum dominierenden Geräusch in der Maximilianstraße.
Weitere Konzertrundgänge: Mittwoch, 17.9, 15.30-17 Uhr: Vom Max-Joseph-Platz zum Literaturhaus Donnerstag, 18.9, 15.30-17 Uhr: Flughafen München, Munich Airport Center Freitag, 19.9, 15.30-17 Uhr: Vom Mariannenplatz zum Völkerkundemuseum Weitere Informationen unter www.rollatorenkonzert.de