MLLV:Der Traum von gerechter Bildung

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Waltraud Lučić leitet den Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband, der mehr als 4000 Mitglieder hat. (Foto: Robert Haas)

Seit 150 Jahren vertritt der die Interessen der Münchner Lehrer - viele ungelöste Probleme gibt es schon seit Jahrzehnten

Von Jakob Wetzel

Waltraud Lučić muss selbst erst einmal lachen. Es gebe nicht genügend Lehrer, schreibt da der Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands (MLLV) in einem Artikel für die Verbandszeitschrift. Die Schulgebäude seien zu klein für die vielen Schüler. Und außerdem sollten die Kinder länger gemeinsam in die Schule gehen, nicht schon nach der vierten Klasse auf verschiedene Schularten aufgeteilt werden. "Das hätte ich so ähnlich auch alles schreiben können", sagt Lučić. Nur ist der Artikel schon vor 28 Jahren erschienen. Der Vorsitzende des Lehrerverbands hieß damals Christian Marek, heute leitet Lučić den MLLV. Und in der Zwischenzeit habe man zwar viel erreicht, sagt sie. "Aber die Probleme sind grundsätzlich die gleichen geblieben: Lehrermangel, Raumnot, ein starres Schulsystem und zu volle Klassen."

Für den MLLV ist gerade ein Jubiläumsjahr zu Ende gegangen: Seit dem Schuljahr 1867/68, also seit 150 Jahren, kämpft der Verband für einfachere Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer sowie für eine bessere und gerechtere Schulbildung. Freilich zu Beginn unter gänzlich anderen Vorzeichen. Im 19. Jahrhundert wurden Schüler noch nach Konfessionen getrennt an unterschiedlichen Schulen unterrichtet, es gab keine staatliche Schulaufsicht, keinen Beamtenstatus, keine einheitlich geregelte Ausbildung, und Lehrer war ein Männerberuf. Das spiegelte sich auch im MLLV. Gegründet worden ist er am 23. November 1867: Damals trafen sich 21 Lehrer, allesamt Männer, im Münchner Café Hermann, um den "Bezirkslehrerverein München" aus der Taufe zu heben. Von Anfang an war die Gruppe dabei Teil des bereits seit 1861 bestehenden Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, damals ebenfalls ein reiner Männer-Klub. Heute ist er mit mehr als 62 000 Mitgliedern nach eigenen Angaben die größte Berufsorganisation für Pädagogen im Freistaat. Der MLLV zählt etwas mehr als 4100 Mitglieder; besonders viele unterrichten an Grund- und Mittelschulen.

Waltraud Lučić sitzt in der Zentrale des Verbands am Bavariaring und erzählt aus der Geschichte. Was genau den Verband in seinen ersten Jahrzehnten umgetrieben hat, ist schwer zu rekonstruieren, viele Dokumente gingen im Bombenkrieg verloren. Geblieben sind zum Beispiel Episoden wie die vom Neubeginn nach dem Krieg. Damals wussten die Lehrer nicht, wohin: Das Haus am Bavariaring hatten ihnen die Nazis 1938 abgenommen; 1945 beschlagnahmte es dann die US-Armee. Dennoch gründeten 68 Lehrer - und Lehrerinnen - schon am 26. April 1946 den Münchner Lehrerverein neu. Und auch ohne eigene Geschäftsstelle gab es mit Paul Thoma damals bereits einen umtriebigen Geschäftsführer, der auf seine Weise um neue Mitglieder warb: Mit seinem "Wirtschaftsdienst" verschaffte er den Lehrern dringend benötigte Dinge, vom Wintermantel bis zu Kaffee. Bis zum Jahresende kletterte die Mitgliederzahl auf 369.

Die Zeiten des Männer-Klubs waren längst passé. Frauen stand in Bayern bereits seit 1912 das höhere Lehramt offen. Allerdings bekamen sie zunächst weniger Geld als Männer, wurden "Fräulein" genannt und mussten ledig bleiben. Wenn sie heirateten, mussten sie nicht nur auf ihren Beruf verzichten, sondern auch auf ihre Pension. Bis diese Regel überwunden war, dauerte es bis in die Fünfzigerjahre. Im MLLV aber waren rasch auch Frauen aktiv. Schon bei der Wiedergründung 1946 leitete die zweite Vorsitzende Anna Huber den Verband mit. Freilich dauerte es noch mehrere Jahre, bis sich die Emanzipation auch im Namen niederschlug. Erst 1951 wurde aus dem "Münchner Lehrerverband" endlich der heutige "Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband".

Der MLLV sei heute ein besonderer Teil im bayerischen Verband und mit diesem auch nicht immer einer Meinung, sagt Waltraud Lučić. Das liege daran, dass München einfach anders sei als der Rest Bayerns. In der Landeshauptstadt gibt es alleine 352 öffentliche Schulen, hinzu kommen Dutzende private. Die Stadt wachse rasant, sie sei teuer und bunt, sagt Lučić. Für sie heißt das: Schulen leiden unter Platzmangel. Kinder haben daheim häufig keinen ruhigen Platz, um Hausaufgaben zu machen. Viele Lehrer würden lieber anderswo arbeiten, wo sie weniger Geld zum Leben brauchen. Und in den Klassen sitzen relativ viele Kinder mit Migrationshintergrund, die zusätzlichen Sprachunterricht brauchen.

Der MLLV engagiert sich deshalb zum Beispiel für Lernpatenschaften in speziellen Deutschklassen für Flüchtlingskinder: Dort unterstützen Studentinnen und Studenten die Lehrer, um die Kinder besser fördern zu können. Und einer der größten Erfolge ihres Verbandes überhaupt sei die Einführung von Migrationsklassen gewesen, sagt Lučić: Schulen dürfen nun in Jahrgangsstufen, in denen mehr als die Hälfte der Kinder Migrationshintergrund haben, maximal 25 Kinder in eine Klasse setzen. Zum Schuljahr 2017/18 wurden daher laut Schulamt 114 Klassen zusätzlich gebildet.

Andere Forderungen erhebt der MLLV dagegen beharrlich weiter: die nach mehr Geld, nach mehr Lehrer-Stellen, um Unterrichtsausfälle wegen Schwangerschaften oder Krankheiten auszugleichen, oder die nach mehr Mitsprache. Der MLLV sähe es auch gerne, wenn die Ausbildung von Lehrern reformiert würde, wenn Real-, Mittel-, Grundschul- und Gymnasiallehrer nicht länger getrennt voneinander studieren würden. Andere Lehrerverbände sind dagegen; doch ein zumindest anfangs gemeinsames Studium brächte nicht zuletzt dem Freistaat mehr Flexibilität, argumentiert Lučić: Der müsste dann zum Beispiel nicht Gymnasiallehrer zu Mittelschullehrern umschulen, wie es derzeit hundertfach geschieht, weil zu viele Gymnasiallehrer ausgebildet werden, an Mittel- und Grundschulen aber Pädagogen fehlen.

Und natürlich ist da auch noch die Forderung, die schon Christian Marek vor 28 Jahren erhob: Es müsse zumindest möglich sein, Kinder auch länger als vier Jahre gemeinsam in die Schule zu stecken, bevor ausgesiebt wird. "Wir träumen davon, dass die Kinder länger gemeinsam zur Schule gehen", sagt Waltraud Lučić, "dass sie in ihren Stärken gefördert und ihre Schwächen gemildert werden. Das kostet alles Geld."

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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