Mißtrauen:Auffällig unauffällig

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Ein Deutscher irakischer Herkunft stand unter dem Verdacht der Nachbarn.

Tanja Rest

(SZ vom 8.10.2001) - Frau Meyer ist entrüstet. Da ist sie nun so freundlich gewesen und hat sich herunterbitten lassen in die Wohnung ihres Nachbarn Ali Daoud (Namen geändert). Jetzt sitzt sie auf einem Stuhl in der Küche, die Küche ist voller Menschen, und alle schauen sie an. "Das ist ja wie ein Tribunal", empört sie sich.

Die Menschen wollen wissen, ob Ali Daoud im Haus Probleme gemacht habe. Ob er vielleicht ein schlechter Nachbar gewesen sei. Ob es, um zur Sache zu kommen, einen Grund dafür gibt, dass ihn jemand bei der Polizei gemeldet hat. Frau Meyer nestelt am Schlüsselbund, es ist eine unangenehme Situation. "Der Herr Daoud ist immer ein ordentlicher Mieter gewesen", sagt sie. Aber? "Aber. Das ganze Drumherum hat einen schon misstrauisch gemacht."

Anzeige verändert den ganzen Menschen

Um herauszufinden, welcher Nachbar ihn warum bei der Polizei angeschwärzt hat, hat Ali Daoud, 41, an diesem Samstagabend mit seiner Freundin Johanna an jeder Tür im Haus geklingelt. Zwei Mieter haben geöffnet, Frau Meyer ist mit herunter gekommen. Jetzt lehnt er an der Wand und hört zu. Nur sein Gesicht spricht. Es sagt: Ich bin verletzt, ich bin wütend, ich lasse mir das nicht bieten. Es ist ein ganz anderer Mann, der jetzt da steht als vorhin.

Da hat er sehr gelassen im Kreis seiner Freunde von sich erzählt. Dass er ein im Nordirak geborener Kurde ist, seit 20 Jahren in München lebt, seit acht Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft hat, eine Stelle als Redakteur bei einem Computermagazin und eine Freundin, die er liebt. Außerdem hat er noch gesagt: "Ich hätte mir gewünscht, dass man mich erst selbst gefragt hätte."

Auto mit Hamburger Kennzeichen

Am Freitag, dem 29. September, bekommt Ali Daoud einen Anruf von der Polizei. Nachbarn hätten verdächtig anmutende Leute in seiner Wohnung ein und aus gehen sehen. Außerdem sei in der Nähe des Hauses am Giesinger Walchenseeplatz ein Wagen mit Hamburger Kennzeichen gesehen worden. Kenne er jemanden aus Hamburg? Ali Daoud kommt es in diesem Moment so vor, als ob er ihn jemand in ein ganz finsteres Loch stößt.

Er hat die Hälfte seines Lebens in München verbracht, er hat für das Rote Kreuz gearbeitet und einen Posten bei der Stadt gehabt. Als er zuletzt bei seiner Familie zu Besuch war, hatte er Heimweh nach Deutschland. Und jetzt ist er plötzlich verdächtig.

Auch Hamburger Studenten waren höflich und unauffällig

Dem Polizisten ist die Sache hörbar unangenehm. Hundert solcher Anrufe, beruhigt er den aufgebrachten Mann, würden auf den Revieren täglich eingehen. Und er wisse ja, dass Ali Daoud ein unbescholtener Bürger ist. Aber waren das die beiden arabischen Studenten an der Uni Hamburg nicht auch, bevor sie das World Trade Center in die Luft jagten? Und wäre es nicht besser gewesen, deren Nachbarn hätten ein bisschen genauer hingeguckt - vielleicht sogar: über die Maßen genau?

Der Beamte bittet darum, zu verstehen, dass er nur seine Pflicht tut.Ali Daoud versucht es. Er versichert, dass er keinen Menschen in Hamburg kennt. Und was die verdächtigen Leute angehe: "Vor einem halben Jahr ist mein Neffe nach München gekommen und hat keine Wohnung gefunden. Weil ich meistens bei meiner Freundin übernachte, habe ich ihn halt aufgenommen." Nach fünf Minuten ist der Fall für die Polizei erledigt. Aber nicht für Ali Daoud.

Nach dem 11. September hat er sich schon einmal rechtfertigen müssen, im Haus seiner Freundin. Ein Mieter wollte wissen, woher er kommt. "Irak? Dann haben wir jetzt also auch einen Schläfer unterm Dach", sagte der Mann. Und dass seine Frau Angst habe vor Gift im Trinkwasser. Ali Daoud hat das damals geschluckt.

Im eigenen Haus unter Generalverdacht

Aber dass er jetzt sogar in seinem eigenen Haus unter Generalverdacht steht, wo er schon seit zehn Jahren wohnt, das sieht er einfach nicht ein. Hat er nicht immer freundlich gegrüßt im Treppenhaus? "Ich habe das Gefühl, alles was du tust, ist schlecht für die Leute. Ob du da bist oder nicht, du bist immer ein schlechter Nachbar. Damit wollte ich sie mal konfrontieren."

"Was hätte man mit einem Anruf bei der Polizei bewirken wollen?", fragt einer aus der Runde. Frau Meyer kann sich vorstellen: "Dass der Herr Daoud hier im Haus wieder greifbar wird." Ob ihr klar sei, wie einem zumute ist, der von den eigenen Nachbarn angezeigt wird? Frau Meyer sieht jetzt doch ein bisschen erschrocken aus. "Angezeigt?" - "Gemeldet", korrigiert Ali Daoud. - "Ja melden. Das ist doch gutes Recht der Mieter, wenn man so eine Beobachtung weiter gibt."

"Viele auffällig Unauffällige"

Und beobachtet hat Frau Meyer so einiges: Fremd aussehende Menschen in der Wohnung unter ihr, die jeden Kontakt mieden. Nicht mal stehen bleiben wollten auf einen Plausch. Die schon halb geöffnete Wohnungstür schnell wieder schlossen, wenn sie, Frau Meyer, im Treppenhaus erschien. "Die haben sich quer benommen, mehr hab' ich nicht zu sagen. Das ist ja wie vor Gericht hier", ruft sie und steht auf. Sie sagt dann aber doch noch etwas. Sie sagt: "Diese Leute, die waren einfach auffällig unauffällig."

Bevor sie geht, drückt ihr Daoud die Hand. Als er in die Küche zurück kommt, weiß er noch nicht, ob er jetzt erleichtert oder verzweifelt sein soll. "Gut, dass du das Thema angesprochen hast", finden die Freunde. Und: "Irgendwas hat's bestimmt gebracht." Er nickt, überzeugt ist er nicht. "Wie viele Millionen Ausländer leben unauffällig in Deutschland? Dann ist jetzt eigentlich jeder auffällig."

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