Mini-Schacholympiade:Eine Sprache, die alle verbindet

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Die Grundschüler vom Hasenbergl brillieren bei der Mini-Schacholympiade. Das königliche Brettspiel fördert Konzentration und Integration.

F. Schwarz

"En passant" - wie man das schreibt weiß der 10-jährige Trieu noch nicht. Doch er kann es korrekt französisch aussprechen und er kann den gleichnamigen Schachzug bereits wie ein Profi ausspielen. Es ist Mittag, und bei der ersten Münchner "Mini-Schacholympiade" führt Trieu gerade in Gruppe B.

Bloß keine Hängepartie. Mit hochroten Backen und rauchenden Köpfen kämpfen die Kinder der Grundschule an der Paulckestraße bei der Mini-Schacholympiade. Nach zehn Minuten macht die Turnieruhr nämlich "klack" und die Denkzeit ist um. (Foto: Foto: Robert Haas)

Bis Turnierschluss um 16 Uhr kann sich das aber noch ändern. "En passant, das heißt im Vorbeigehen", erklärt der kleine Junge sachlich. Er ist ein offensiver Schachspieler, denn "en passant" bedeutet, an einem feindlichen Bauern vorbei zu ziehen und ihn gleichzeitig zu schlagen. Der Zug ist aber nur möglich, wenn der eigene Bauer bereits bis zur fünften Reihe vorgestoßen ist, während die gegnerischen Bauern noch auf der Grundreihe stehen.

Die Bezeichnung "Mini-Schacholympiade" ist für die Veranstaltung in der Münchner Schachakademie also nicht zu hoch gegriffen. Die teilnehmenden Kinder besuchen die Schachklasse der Grundschule an der Paulckestraße und sind bereits routinierte Spieler. Dabei arbeitet ihre Schule noch gar nicht so lange mit der Münchner Schachstiftung zusammen. Seit etwa anderthalb Jahren erhalten die Schüler der Ganztagsklasse einmal in der Woche Schachunterricht.

Wenn Schachtrainerin Dijana Dengler die Klasse besucht, "hört man die Stecknadel fallen", sagt Rektorin Michaela Fellner. "Ich spiele auch gelegentlich Schach, aber wenn die Kinder fachsimpeln, kenne ich mich nicht mehr aus", fügt sie hinzu. Der Schachkurs kostet für jedes Kind 450 Euro im Jahr, Brett, Spielfiguren und Lehrbuch inbegriffen.

Erziehung zum Denken

Klackklackklack - so klingt ein Schachturnier, bei dem auf Zeit gespielt wird. Die 45 Kinder sitzen sich während des Turniers in einheitlich schwarzer Kleidung gegenüber und drücken auf die analogen Turnieruhren mit zwei Zeitanzeigen. Die Uhrwerke sind so miteinander verbunden, dass immer nur eines läuft, ein rotes Zahnrädchen zeigt an, welches es ist. Das soll die Bedenkzeit des Gegners messen und begrenzen. Maximal zehn Minuten sind es heute für jeden. "Hängepartien", Spiele, die abgebrochen und erst am nächsten Tag fortgesetzt werden, gibt es heute nicht.

Ein Mädchen schaut alle paar Sekunden auf die Uhr und streicht sich nervös eine Haarsträhne hinter das Ohr. Zwischen der Elf und der Zwölf auf dem Ziffernblatt hängt das rote Fallblättchen. Wenn das herunterfällt, ist die Zeit abgelaufen, das darf man auf keinen Fall übersehen, sonst verliert man. "Niemals dem Gegner verraten, dass sein Blättchen gefallen ist", sagt die 10-jährige Dahab, die gerade in Gruppe A anführt. Immer schnell spielen, dann kann der Gegner sich schlecht konzentrieren, empfiehlt Mirel. Er mag das Schachspielen, weil es ihm beim Denken hilft.

"Ich bin in der Schule besser geworden", sagt auch Anina. Der Notendurchschnitt ganzer Klassen verbessert sich häufig durch das Schachtraining, erzählt Stefan Kindermann, Schachprofi aus dem Schachakademie-Trainerteam. Die Kinder scheinen der Beleg für die oft zitierten Studien zu sein, nach denen Schach das Mathe-und Sprachverständnis fördert. Das Ziel des Spiels ist es, den gegnerischen König matt zu setzen - und das ist harter Denksport.

Allein beim ersten Zug müssen sich die Spieler zwischen 20 Möglichkeiten entscheiden. Die Kinder haben von Dijana Dengler drei wichtige Kniffe beigebracht bekommen: Möglichst den Spielzug Rochade ausführen (den König in Sicherheit bringen und die Türme verbinden), auf das Zentrum des Spielbretts achten, aber gleichzeitig auch das gesamte Brett im Auge behalten.

Waren es anfangs nur zehn, wollen jetzt alle 24 Schüler der Ganztagsklasse der vierten Jahrgangsstufe Schach lernen. Die Fortgeschrittenen unterstützen seit diesem Schuljahr Dijana Dengler beim Unterrichten. Vielleicht liegt es auch an der erfrischender Art der Trainerin, dass das Lernen so schnell geht. Die Weltschachbund (FIDE)-Meisterin beginnt die 45-Minuten-Stunde mit dem "Schachgroove", was für die Kinder heißt: auf die Zehenspitzen gehen wie der König, dann krumm machen wie der Springer und anschließend schräg halten wie der Läufer.

Mathe als Spiel

Lehrt man das Spiel mit dem eher ernsten Image auf kindgerechte Weise, sind die Schüler aufmerksam dabei. Stefan Kindermann erzählt in seinen Kursen gerne die "Weizenkornlegende", die Geschichte des gewieften Erfinders, der von seinem Herrscher forderte, ihm als Lohn die 64 Felder des Spielbretts mit Weizenkörnern zu füllen: Das erste Feld mit einem Korn, das zweite mit doppelt so vielen, und so weiter. Wer die Exponentialrechnung beherrscht, weiß, wie übel dieser Deal für den Herrscher ausging.

Fast 90 Prozent der Paulcke-Schüler besitzen einen Migrationshintergrund. Wie Profisportler tragen sie während des Turniers Kärtchen um den Hals, mit ihrem Namen und den Ländern, für die sie antreten: Deutschland natürlich, sowie die Herkunftsländer der Eltern. Ein Junge tritt beispielsweise zusätzlich für Äthiopien und Kroatien in den Wettkampf.

In den Turnierpausen können die Kinder ihre Gedanken nicht vom Schach lösen: Sie fachsimpeln über ihre Lieblingsstrategien oder führen aus, wo es bei ihrer eben gespielten Partie Probleme gab. Trieu steht dabei aufrecht da, hat eine Hand angehoben, und knickt jeweils einen Finger weg, wenn er einen weiteren wichtigen Punkt dargelegt hat. Fast schon wie ein richtiger Schachkommentator.

© SZ vom 20.04.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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