Milliarden für die Schulen:Projekt Zukunft

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Wo sollen Kinder und Jugendliche in die Krippe und in die Schule gehen? Damit alle unterkommen, soll kräftig gebaut werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • München könnte in den kommenden 15 Jahren auf etwa 1,72 Millionen Menschen wachsen, bisher ging man im Rathaus von 1,65 Millionen Einwohnern aus.
  • Das hat gravierende Folgen für den Schulbau: Statt zwei Milliarden Euro muss die Stadt nach neuester Rechnung 4,5 Milliarden Euro investieren, um für alle Kinder und Jugendlichen Schul- und Kitaplätze zur Verfügung zu stellen.
  • Neben der Eurokrise sind auch Unruhen und Kriege in der Welt ein Grund, dass immer mehr Menschen nach München kommen, weil sie auf eine bessere Zukunft hoffen.

Von Thomas Anlauf und Melanie Staudinger, München

Die erste Seite ihrer Präsentation muss Schulbürgermeisterin Christine Strobl (SPD) am Freitag gleich überspringen. Unter der Überschrift "Herausforderungen" steht dort geschrieben, dass München bis zum Jahr 2030 auf 1,65 Millionen Einwohner anwachsen wird. Doch diese Prognose, auf deren Grundlage das Rathaus in den vergangenen Monaten den Bedarf für neue Grund- und Mittelschulen sowie Förderzentren berechnet hat, stimmt plötzlich nicht mehr.

Nun geht das Planungsreferat davon aus, dass in 15 Jahren etwa 1,72 Millionen Menschen in der Landeshauptstadt leben werden - mit gravierenden Folgen für den Schulbau. Bisher sprachen die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung immer von einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden Euro. Diese Summe mussten sie nun kräftig erhöhen: 4,5 Milliarden Euro soll es nach neuester Rechnung kosten, für alle Kinder und Jugendlichen Schul- und Kitaplätze zur Verfügung zu stellen.

27 neue Grundschulen, drei neue Mittelschulen und fünf Förderzentren, so rechnet Stadtschulrat Rainer Schweppe bei der Pressekonferenz vor, wird die Stadt bis 2030 bauen müssen. Dazu kommen 41 Pavillonanlagen, die als Interimsunterkünfte dienen. Sie sollen genutzt werden, bis die neuen Häuser fertig sind, vorübergehenden Bedarf abdecken oder als längerfristiger Ersatz für Festbauten dienen. 44 Schulen werden zudem mit Gebäuden erweitert. Außerdem hat der Stadtrat unlängst beschlossen, fünf Realschulen, sieben Gymnasien und vier berufliche Schulen zu bauen.

Es ist nicht sicher, ob sogar noch mehr Bildungsstätten nötig sind

"Wir haben ein Wahnsinnsbauprogramm zu schultern, vielleicht sogar das größte in ganz Europa", sagt Schweppe. Als Vergleich führt er Hamburg an: Die Hansestadt gibt ihm zufolge im ungefähr gleichen Zeitraum drei Milliarden Euro aus, allerdings sind in diesem Betrag auch Sanierungen und Neubauten der Hochschulen enthalten. Und in München ist nicht einmal sicher, ob nicht noch mehr Bildungseinrichtungen nötig sind. "Wir müssen das Programm mindestens alle zwei Jahre überprüfen und den Realitäten anpassen", sagt Schweppe.

Tatsächlich hat die Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren ihre Prognosen immer wieder nach oben korrigiert. Die städtischen Statistiker haben die Bevölkerungszahlen im Blick, offensichtlich aber nicht die Entwicklung der Weltpolitik. "Die Eurokrise dauert länger als angenommen", erklärt ein Sprecher des Münchner Planungsreferats. Insbesondere aus Spanien, Italien und Griechenland kommen deshalb deutlich mehr Menschen als erwartet nach München. Die Stadt bietet ihnen Perspektiven, die sie in ihrer alten Heimat nicht haben. Auch Kriege und Krisen im Nahen Osten und Afrika führen dazu, dass die bayerische Landeshauptstadt deutlich schneller wächst als noch vor zwei Jahren vorhergesagt.

Die deutlich höhere Prognose ergibt sich nicht nur daraus, dass voraussichtlich viel mehr Menschen nach München ziehen werden als bisher angenommen. Viele von ihnen werden langfristig bleiben und Familien gründen. Wo aber sollen die Kinder in die Krippe, wo zur Schule gehen? Schon jetzt reicht der Platz kaum noch aus. In den vergangenen Jahren verzeichnete die Stadt regelmäßig Rekorde bei den Geburtenzahlen. Sie machen im Gegensatz zu vielen anderen Regionen in Deutschland den Großteil des starken Bevölkerungswachstums aus.

Stadtschulrat Schweppe war offenbar gewarnt. Seit einigen Monaten kursieren Zahlen in der Stadtverwaltung, die eine Zunahme der Bevölkerung auf bis zu 1,8 Millionen im Jahr 2030 verheißen. Auch das Planungsreferat hatte in seiner Prognose vor zwei Jahren bereits Berechnungen vorgelegt, die von bis zu 1,77 Millionen Münchnern ausgingen. Nach SZ-Informationen soll Schweppe vor einigen Monaten bei Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gefordert haben, dass seine langfristige Planung überarbeitet und nach oben angepasst werden müsse.

Das Bildungsreferat kämpft aber nicht nur mit wachsenden Bevölkerungszahlen. Die Anforderungen an eine moderne Schule steigen stetig, und mit ihnen auch der Platzbedarf. So erfordert der Ganztagsausbau ebenso extra Räume wie die Inklusion von Kindern mit Förderbedarf an Regelschulen. Die Zahl der Übergangsklassen, in denen vor allem Flüchtlingskinder unterrichtet werden, hat sich in den vergangenen sechs Jahren mehr als verdoppelt: von 35 auf 80. Außerdem gibt es immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund an Münchens Grundschulen. Liegt ihr Anteil bei mehr als 50 Prozent, werden die Klassen geteilt, was wiederum zusätzliche Zimmer erfordert.

Die Stadt steht vor großen Herausforderungen. Mit den Baumaßnahmen werden nicht nur die Schulen selbst zu kämpfen haben, die während der Arbeiten zum Teil auf andere Standorte und Container ausweichen müssen oder künftig weniger Freiflächen haben, weil dort Gebäude stehen werden. Auch die Sportvereine müssen laut Schweppe mit Einschränkungen rechnen, wenn ihnen während der Sanierungen weniger Schul-Sporthallen zur Verfügung stehen. Die Anwohner werden Baulärm zu ertragen haben. Die Stadt strebe daher einen Dialog mit allen Betroffenen an, mit Vereinen, Bezirksausschüssen und dem Freistaat, der die Grund- und Mittelschulen betreibt.

Ob das gigantische Vorhaben zu stemmen sein wird, ist unklar. "Wir haben eigentlich keine Alternative", sagt Schweppe. Gesetzlich sei die Stadt verpflichtet, genügend Schulplätze zur Verfügung zu stellen. Der Druck allerdings ist hoch, vergleichbare Projekte gab es bisher nicht. In den vergangenen 20 Jahren wurden in München lediglich 13 neue Grundschulen gebaut und 18 bestehende saniert. Die Stadt wird die Verfahren deutlich beschleunigen müssen. Bei den meisten Vorhaben sollen deshalb die vorgeschalteten Realisierungswettbewerbe entfallen. Der Stadtrat wird mehr Projekte im Paket statt jedes einzeln abstimmen.

Und falls alle Anstrengung doch nicht hilft? "Dann werden wir wahrscheinlich noch mehr Container aufstellen müssen", sagt Schweppe.

© SZ vom 07.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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