In München gibt es Hunderte Menschen, die Andreas Kräftner dankbar sind. Neulich erst kam eine junge Frau in die Favorit Bar, als Kräftner gerade dort auflegte, näherte sich ihm und sagte: "Danke für alles!" Dann ging sie wieder zur Tür heraus.
Kräftner ist Produktdesigner, Hobby-DJ - und gibt den Newsletter "Wohnungsalarm" heraus. Etwa einmal pro Woche verschickt der 38-Jährige per E-Mail Wohnungsangebote und -gesuche an 1200 Münchner. Wie bei einem Kettenbrief wird der Newsletter weitergeleitet. Wie viele so schon eine Bleibe gefunden haben, ist ungewiss. Den vielen Danksagungen zufolge müssen es eine Menge gewesen sein.
Angefangen hatte alles eher unfreiwillig. Ein Bekannter hat einen Nachmieter gesucht und Kräftner hat im Freundeskreis eine E-Mail verschickt. Daraufhin hat sich wieder einer bei ihm gemeldet. So hat sich das Ganze hochgeschaukelt, bis Kräftner irgendwann "Wohnungsalarm" darüber geschrieben hat und regelmäßig Wohnungsangebote verschickte. Erst bekam den Newsletter sein Freundeskreis, inzwischen sind Adressaten dabei, die Kräftner nur noch über ein paar Ecken kennt. "Aufhören kann ich jetzt jedenfalls nicht mehr", sagt Kräftner und grinst.
Die Mieten in München sind so teuer wie in keiner anderen deutschen Stadt. 10,98 Euro Nettomiete muss man hier im Durchschnitt für einen Quadratmeter bezahlen. Um die wenigen freien Wohnungen prügeln sich Studenten, junge Familien und Geschäftsmänner. Wer am Ende einziehen darf, entscheidet meist der Kontostand. Bei anderen Wohnungen kommt es darauf an, wie viel Maklergebühr sie bereit sind zu zahlen. Kräftner kann sich über diese "Maklerkiste" ununterbrochen aufregen.
Als Protest gegen die Wohnungssituation in München sieht Kräftner den Mailverteiler allerdings nicht - er bezeichnet es als "Gefallen an Unbekannte". Auch in anderen Städten wie Hamburg oder Berlin haben sich ähnliche Initiativen gebildet, die versuchen, aus privater Kraft die Wohnungsnot zu lindern.
Kräftner macht allerdings nicht nur die Wohnungsnot in München verantwortlich dafür, dass so viele Münchner Probleme bei der Suche haben. Kräftner kann den "Glockenbachwahn" der Münchner nicht nachvollziehen, sondern macht sich für Münchens Vororte stark. "Alle wollen ins Zentrum, in die Isarvorstadt - oder vielleicht noch Maxvorstadt und Schwabing", sagt er. "Wenn München ein kleines Dorf wäre, würden alle neben der Kirche wohnen wollen."
Kräftner selbst wohnt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Laim. Die Wohnung liegt ruhig, ist hell, ein Altbau und nicht allzu teuer, nebenan wohnen nette Nachbarn. Seit acht Jahren ist er dort glücklich, nach einer passenden Bleibe für sich sucht er also nicht mit dem Newsletter.
Wenn er einmal eine Wohnung bräuchte, würde er sich nicht nur auf seinen eigenen Newsletter verlassen. Er würde es bei Genossenschaften versuchen, in die Kurz & Fündig schauen und im Internet suchen. "Der 'Wohnungsalarm' ist nur eine Ergänzung bei der Suche", sagt er.
Im aktuellen Newsletter suchen beispielsweise Anette und Philipp eine ruhige Wohnung, ihre "Schmerzgrenze liegt bei 800 Euro inklusive Nebenkosten". Marianne vermietet in Germering eine komplett eingerichtete Wohnung inklusive riesen Couch" und Matthias hat ein WG-Zimmer, in dem mit Holz geheizt wird, für sechs Monate zu vergeben.
Etwa 15 Minuten pro Tag ist Kräftner damit beschäftigt, eingehende Angebote zu sortieren oder neue Adressen in den Verteiler aufzunehmen. Geld verdient er mit dem "Wohnungsalarm" nicht - will er auch nicht.
Es habe schon Angebote gegeben, den Wohnungsalarm zu einem Web-Portal wie etwa Immobilienscout zu erweitern. Bislang lehnte Kräftner jedoch immer ab. Wahrscheinlich würde sein Newsletter sonst auch einer unter vielen werden, eine anonyme Datenbank. Es liegt ja an dem Persönlichen, an dem Prinzip "Jeder kennt jeden über ein paar Ecken", warum der "Wohnungsalarm" funktioniert. "Ich habe nicht nur eine Mitbewohnerin gefunden", schrieb Kräftner einmal eine Frau. "Sondern auch einen der besten Menschen der Welt."