Maximilianstraße:Der Boulevard der Eitelkeiten

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Die Gucker haben hier die größte Gaudi. Geboten wird gehobenes Schaulaufen mit Lamborghini, Gucci oder Versace - ein Streifzug durch die Cafés der Maximilianstraße.

Tanja Rest

(SZ vom 23.6.2003) — Zum Beispiel der Typ mit der Angeber-Karre. Er kommt jeden Abend. Mal hat er die nachtschwarze Corvette dabei, mal den gelben Lamborghini, manchmal ein extra exaltiertes Porsche-Modell. Ihn selbst gibt es auch in verschiedenen Anfertigungen, sportlich, elegant, Ballermann Style. Mit oder ohne Pomade.

Diesmal handelt es sich um das grauhaarig-lässige Fabrikat, Seidenhemd offen, Leinenhose weit, aber zu kurz — als er im Korbstuhl unter den Arkaden Platz nimmt, ahnt man knöchelaufwärts spillerige Altherrenbeine. Der Ferrari steht direkt gegenüber auf der Verkehrsinsel am Opernplatz. Absolutes Halteverbot, was kümmert's ihn.

Er braucht das Raunen, und als das abebbt, lässt er den Chardonnay stehen und legt einen kernigen Abgang hin, mit jaulenden Reifen und Pipapo. "Schnösel", sagt der Mann am Nachbartisch. Er sagt es so laut, dass alle den Neid noch mithören können.

Der Typ mit der Karre ist der Grund, warum sich manche nie im Leben auf der Maximilianstraße erwischen lassen würden. Er ist auch der Grund, warum so viele hingehen. Weil sie ebenfalls in der Ferrari-Klasse spielen oder es gern täten, oder weil sie der tatsächlichen und der eingebildeten Ferrari-Klasse einen Abend lang beim Spielen zugucken wollen.

Die Guckeer haben die größte Gaudi

Die Gucker haben die größte Gaudi. Ohne Eintrittsticket, Prada-Zwangsjäckchen und Arschlochkarte im städtischen Society-Monopoly (Gehen Sie nicht über Los, führen Sie sich nicht als Duzfreund von Charles Schumann auf, zahlen Sie lieber das Doppelte des üblichen Trinkgelds und hoffen das Beste) — just for fun auf dem Schicki- Boulevard schlechthin: Welch ein Schnäppchen!

Die Maximilian hat eine furchtbare Schwäche für Maskeraden. Das kommt davon, wenn es eine Straße pro Abend auf bis zu vier Bühnendramen bringt. Nicht zu vergessen die Schaufenstermärchen von Gucci, Dior, Chanel und Co., textile Fluchtvehikel in eine ästhetischere Welt. Folgerichtig: Menschen- Auslagen und Menschen-Inszenierungen, Freilufteskapaden auf den Trottoirs zwischen Oper und Isar.

Um neun Uhr abends vor der münchnerischsten American Bar der Welt. "Kirschschmarrn gibt's heute!", verkündet Roman, der Kellner, von einem Geschnatter zum nächsten schlendernd. Hochbetrieb. Während am Flussufer die Zwangsjogger den letzten Workout des Tages zelebrieren, feiern im Schumann's die Lebemünchner in eine Juninacht hinein, die samtweich ist, pulsierend warm und anschmiegsam wie das verwöhnte Kätzchen aus der Sheba-Werbung.

"Kirschschmarrn klingt gut", finden zwei Business-Blondinen am Vierertisch. "Aber wir warten noch." Auf wen nur? Die beiden letzten freien Stühle, mit Perlmuttklauen gegen Inbesitznahme verteidigt, wollen sich mit den Auserkorenen nicht füllen. Dafür bestellen die Fred-Kogel-Klone am Tisch rechtsaußen gleich zwei "Roman, bitte, wirklich extragroße Portionen".

Wettessen um das abgrundtief ausgeschnittene Juniluder, das sibyllinisch lächelnd zwischen ihnen sitzt? Der Zeitungsmann macht fetten Umsatz. Eine druckfrische Herald Tribune, auf übereinander geschlagene Hosenbeine vom grade angesagten Independent-Schneider drapiert — ein cooleres Accessoire gibt es nicht im Schumann's.

Das Räkeln der Toskanafraktion

Schräg gegenüber hält sich die Toskanafraktion mit derlei Feinheiten nicht auf. 22 Uhr: Auf der Roma-Terrasse prassen echte Glatzköpfe neben falschen Lockenwundern, räkeln sich großflächig entblößte Höhensonnenopfer im Glanz der Ingo-Maurer-Leuchten, fallen drei bulimische Hostessen, die "Messe München"-Schilder noch am Revers, über eine monströse Tiramisu-Schnitte her.

Wer die Sonnengläser von Gucci nicht im Scheitel hat, ist fehl am Platz. Lauschangriff aufs Stimmenglissando: "Nach acht Jahren Ehe, ich bitte dich. .." - "Noch zwei Campari!" — "...hat das Schwein mir meine Rendite. .." — "...geschmacklos..." — "...toll aus, mein Schatz".

Drinnen sitzt ein einzelnes Paar am Ecktisch. Er, siegelberingtes Mittelalter, doziert dröhnend an seiner Begleiterin vorbei, die aus künstlich aufgeschrägten Zsa-Zsa-Gabor-Augen erbittert durchs Fenster starrt. Leere, mit Worten möbliert - auch sie gehört zur Maximilian.

Zurück aufs Trottoir. Wo Vogue-Mädchen ihre brandneue Errungenschaft am Spaghettiträger spazieren führen und ein hinreißend geformtes Mannsbild sein Sakko so über der Schulter trägt, dass man überm rechten Zeigefinger das "Versace"-Schild noch lesen kann. Gehobenes Schaulaufen. Vorbei am gedämpft parlierenden Publikum der Kulisse.

Vorbei an Moshammer, der bürgerlichen Dependance des angeblichen Modezars, wo fliederfarbene Krawatten und bonbonrosa Einstecktücher ihre Busreisenden-Bewunderer noch finden. "Nur schade", bedauert Herr Engel aus Mainz-Gonsenheim, "dass der Mosi nicht selbst da ist". Stellvertretend spülen die Mosi-Lautsprecher spanische Edelkitschballaden auf die Straße. Schnell weiter.

Vorm Opern-Espresso verströmen Kerzen den süßlich-harzigen Duft des Fliegentods, um die Dochte schwimmen Insektenleichen in Wachs. Nachtschwärmer leben gefährlich. Drinnen ist gerade ein lautstarkes Scharmützel zwischen Kellner und Kellnerin im Gange. "Perchè?!" — "Non lo so, idiota!"

Gäste hören aufmerksam nicht hin. Eine schwarzmähnige Schöne stürzt heraus, hat ein Kind im Bauch und Wasser in den Augen. Zündet sich eine Zigarette an und inhaliert, dass es klingt wie ein Seufzen. Im Fernsehen, denkt man, käme jetzt der Ramazotti-Prinz, reichte ihr ein Glas tiefbraunen Kräuterlikörs, und alles wäre gut. Aber der Prinz kommt nicht...

Kurz nach 23 Uhr, Feierabend in der Oper. Musentempeltüren öffnen sich, speien einen ermatteten Menschenbandwurm aus. Rush Hour im Café L'Opera im Hauptpost-Gebäude. Der neue Lechthaler-Schmuckkasten: Italienische Vorspeisenvariationen zu 12,50 Euro, genossen unter den von Leo von Klenze original gefälschten Florentiner Arkaden, vor einer terracottafarbenen Panoramawand, mit schäumenden Streitrössern bepinselt. Wie vom Edelausstatter hinmodelliert, küsst sich auf der Treppe ein Pärchen.

Angstfreier Umgang mit Klischees

Überhaupt ist das vielleicht schönste Kompliment, das man der Maximilianstraße machen kann, ihr völlig angstfreier Umgang mit dem eigenen Klischee. Das unterscheidet sie von anderen Orten, an denen das Prädikat "typisch München" genauso festpappt, die dem Besucher dann aber doch ein Überdenken seiner liebsten Vorurteile aufnötigen.

Nicht so die Maximilian. Dieser Boulevard der Eitelkeiten ist wirklich genau so, wie sein Ruf behauptet: gefallsüchtig, verspielt, von allerfeinster Oberflächlichkeit und pathetisch bis ins Mark.

Um Mitternacht sagt ein Mittfünfziger mit Beziehungsproblem den an dieser Stelle ungeheuer passenden Satz: "Es ist für mich nicht leicht, mich zu committen." Da hat sich die Freiluftbühne des L'Opera längst mit Darstellern gefüllt; um das Tableau perfekt zu machen, trifft auch noch eine dramatische Brünette in Begleitung eines schwarzen Königspudels ein. Wahn oder Wirklichkeit?

Man sehnt, während die Nacht fortschreitet, eine Unterbrechung des Spiels herbei, einen Augenblick der Desillusionierung. Der Möchtegern- Beckett dort vorne an der Brüstung zum Beispiel könnte jetzt mal aufstehen, in die Hände klatschen und rufen: "Danke, ihr Lieben! Pause!"

Wäre es nicht wundervoll, wenn man zuschauen könnte, wie den Geschöpfen der Maximilian die Attitüde aus dem Gesicht fiele?

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