Mathäser:Der Fortschritt kommt verspätet

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Der neue "Mathäser" ist architektonisch kaum eine Erwähnung wert, doch für die Filmstadt übernimmt er eine wichtige Rolle - zumal diese bisher nur über klägliche Ausgeburten im Multiplex-Stil verfügt. Eine Architektur-Kritik von Gottfried Knapp.

Gottfried Knapp

(SZ vom 21. Mai 2003) Als in den frühen Neunzigern in vielen Städten architektonisch ambitionierte Multiplex-Kinos gebaut wurden, ging eine Welle der Kino-Euphorie durch Deutschland, die ausgerechnet um die Filmstadt München einen weiten Bogen gemacht hat.

Der Mathäser-Komplex am Stachus. (Foto: www.kinopolis.de)

Alle Versuche, in der Heimat der Bavaria-Studios ein Kinozentrum mit einem festlichen Uraufführungssaal zu bauen, sind kläglich gescheitert. In einem fatalen Missverständnis der Botschaft aus Amerika wurden einige bewährte große Säle, in denen man beste Sicht auf die Riesenleinwand hatte, zerschlagen und mit schlecht isolierten Schachtelkinos gefüllt, in denen oft drei Filme gleichzeitig zu hören waren. Einige technisch besonders aufwändig ausgestattete Säle wie das Royal-Kino oder der große Saal im Mathäser wurden sogar ersatzlos abgerissen.

Klägliche Missgeburten

Was statt dessen gebaut wurde, brachte die Kinokultur nicht weiter. Mit einigem Neid blickten die Film-Begeisterten nach Köln, wo das kanadische Architekturbüro Zeidler im Mediapark eine grandiose Himmelskuppel über die effektvoll gestaffelten Kinoetagen stülpte und so einen animierenden Großraum, den "Cinedome", schuf; oder nach Dresden, wo Coop Himmelb(l)au das unvermeidliche Nebeneinander der Kino-Kuben geschickt dekonstruierte und eine eindrucksvolle Großskulptur in den Stadtraum stellte.

Mit der spielerisch leichten Architektur des Multiplexkinos, das Günter Behnisch am Georg-Brauchle-Ring errichten sollte, hätte auch München etwas von jenem futuristischen Geist erfahren, der damals das internationale Kino zu prägen und zu inspirieren begann. Doch statt der prangenden Kinoburg am Ring bekam München eine klägliche Missgeburt des Multiplex-Prinzips serviert.

Im Keller des architektonisch unsäglichen Riegerblocks am Isartor ließ der Betreiber der Cinemaxx-Kette sieben Schachtelkinos verbuddeln. Für Ästhetik war in der Enge des zweigeschossigen Foyers und im Durcheinander der gastronomischen Assistenzbetriebe kein Platz. Die Hässlichkeit des S-Bahn-Untergeschosses schwappte ungehindert durch bis vor die Tore der Kinos. Lediglich der Popcorn-Dunst sorgte dafür, dass sich die Cinemaxx-Grotte vom öffentlichen Tunnelsystem nebenan unterschied.

Verweigerung von Architektur

Dass das Münchner Planungsbüro Lanz Architekten, das diese Maulwurfskinos erfunden hat, nun auch das erste veritable Multiplexkino in München bauen durfte, ja dass München erst in dem Moment ein repräsentatives großes Kinozentrum erhält, in dem die Krise der Multiplex-Kinos handgreiflich deutlich ist - mehrere Betreiber solcher Häuser haben in den letzten Jahren Konkurs angemeldet -, das alles lässt den neuen "Mathäser" bei seiner Eröffnung in einem etwas schummrigen Licht erscheinen.

Der Bauherr "Deutscher Herold" jedenfalls scheint dem Kino nicht mehr allzu viel zuzutrauen, er verkauft sein Objekt in der verkrüppelten Sprache der Immobilienbranche als "eine große Kino- und Erlebnismeile mit Entertainment, Shopping und Office". Den "Ladengeschäften" wird "kommunikatives Marktflair" versprochen, den Besuchern aber "hochwertige Architektur".

Wer die Bayerstraße entlanggeht, wird in der alten Mathäser-Lücke freilich zunächst nur die Verweigerung von Architektur wahrnehmen. Eine Fassade, die diese Bezeichnung verdient hätte, gibt es nicht. Lanz hat eine leicht nach innen hängende sprossenlose Glaswand vor die diffus ahnbare Stockwerkskonstruktion gehängt.

Auf diesen Vorhang sollen - "als Anziehungspunkt" - computergesteuerte farbige Lichtspiele projiziert werden, was zu den Kinosälen im Inneren vielleicht noch passen könnte, die ohnehin schon entwertete Bayerstraße aber zu einer Art Reeperbahn, zu einem Stück Las Vegas abqualifizieren wird. Bleiben die Projektionen ganz aus, dann klafft an der Stelle des neuen Mathäsers ein diffuses riesiges Loch in der geschlossenen Straßenfront.

Sechs Bäume machen noch keinen Biergarten

Auf zwei Ebenen - vom Stachus-Tiefgeschoss und von der Bayerstraße aus - erreichen die Besucher die Rotunde im Herzen des Neubaus, in der Rolltreppen die drei Hauptebenen miteinander verbinden. Im Erdgeschoss versuchen gastronomische Betriebe, die zur Rotunde hin geöffnet sind, Kontakt zur Bayer- und zur Schlosserstraße zu halten.

Im seitlich gelegenen, tief eingeschachteten Hof sollen sechs Bäume jenen Biergarten simulieren, mit dem die Betreiber - ein rührendes Unterfangen - die rustikale Tradition des alten Mathäsers, des ehemals größten Bierausschanks der Welt, wiederbeleben wollen.

Am ehesten kann die Architektur im weiten Kinofoyer des ersten Stocks überzeugen. Dort sind die orangefarbig aufleuchtenden Tresen der Kinokasse und der Bar großzügig im Raum verteilt; sie schieben sich unter die hängenden Bäuche der darüber aufgebockten großen Kinosäle. In dieser Halle und in ihrem Pendant ein Stockwerk darüber lassen sich Kinopremieren mit einigem Anspruch feiern. Über weinrot bespannte Flure und Treppen mit gläsernen Stufen erreichen die Besucher die kleineren Kinos, die sich entlang der Schlosserstraße auf zwei Ebenen hintereinander reihen.

Die regelmäßige Folge der Fluchttreppen und der haushohen Schutzwände aus Drahtgeflecht an der schmalen Straße sind übrigens das architektonisch eindrucksvollste Motiv, das der neue Mathäser hervorgebracht hat.

In den Kinos lenkt nichts vom Genuss der Filme ab. Die Sicht auf die Leinwand ist optimal; die Beinfreiheit schlicht opulent. Der neue Mathäser ist architektonisch also kaum eine Erwähnung wert, doch als erstes halbwegs festlich-repräsentatives Kinozentrum kann er eine wichtige Rolle in der Filmstadt München übernehmen.

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