Maßvoll:Zurückhaltende Investoren

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Bis zu 16 Stockwerke haben die Häuser im Neubaugebiet Südseite auf dem ehemaligen Siemens-Gelände. (Foto: Claus Schunk)

Über die 100-Meter-Marke will derzeit kein Bauherr hinaus - es lohnt sich nicht

Von Dominik Hutter, München

Eigentlich hat der Stadtrat schon seit gut zehn Jahren seine Entscheidungsfreiheit wieder, seit November 2005. Zu diesem Termin endete die Bindungsfrist des Bürgerentscheids von 2004, bei dem sich eine knappe Mehrheit der Münchner dafür aussprach, nur noch Hochhäuser mit maximal 100 Metern zu genehmigen. Rein theoretisch wären also echte Wolkenkratzer möglich, der Weg in den Himmel ist frei. Gebaut werden soll in absehbarer Zeit trotzdem nichts, was an der 100-Meter-Marke kratzen würde. Einfach, weil sich bislang niemand bei der Stadt gemeldet hat, der ein solches Bauwerk in die Silhouette klotzen will.

Neben der Gewissheit, ziemlich bald Ärger mit den künftigen Nachbarn zu bekommen, hat dies vor allem wirtschaftliche Gründe. In München wird insbesondere Wohnraum benötigt, und in diesem Sektor gerät der Drang nach oben schnell zum Defizitfaktor. Echte Hochhäuser benötigen viel Fläche für Aufzüge, Treppenhäuser und Versorgungsschächte - da bleibt irgendwann nicht mehr genug Raum fürs gewinnträchtige Vermieten. Die meisten in den vergangenen Jahren neu entstandenen "Hochhäuser" wären daher in himmelstrebenden Städten wie New York oder Chicago eher als Eingangshallen für "echte" Skyscraper denn als Konkurrenz dazu geeignet. Die meisten messen bis zur Dachkante nur etwa 40 bis 60 Meter.

Die Punkthochhäuser auf dem ehemaligen Siemens-Gelände in Obersendling etwa verfügen über 16 Stockwerke - nicht einmal halb so viele wie der (als Büro genutzte) Turm Uptown München, mit 146 Metern Höhe das zweithöchste Münchner Bauwerk nach dem Olympiaturm (290 Meter). Nahe dem Werksviertel am Ostbahnhof ist ein 60-Meter-Wohnturm geplant. Ein bisschen mehr wagen Büro-Investoren. Aber auch das geplante Ensemble am Vogelweideplatz bleibt deutlich unter der 100-Meter-Marke. Einen Sonderfall bildet das 75 Meter hohe Siemens-Hochhaus an der Hofmannstraße in Obersendling, einst ein Büroturm. Die 22 Etagen des leer stehenden Kolosses aus den Sechzigerjahren werden nun zu Wohnungen umgebaut.

Für die Politik ist das Fehlen jeglichen Höhenrausches angenehm: So lässt sich ganz bequem die Frage umschiffen, was denn nun wäre, wenn jemand höher bauen wollte als im Bürgerentscheid erlaubt. Rein juristisch ist die 100-Meter-Marke ohne Relevanz, keine Behörde und kein Anwohner kann sich darauf berufen. Aus der politischen Perspektive aber ist es immer schwierig, einen Bürgerentscheid auszuhebeln - gut zu sehen an der aktuellen Debatte um die dritte Startbahn. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will sich nicht zu Spekulationen hinreißen lassen, welche Folgen ein Antrag auf einen 150 oder gar 200 Meter hohen Turm hätte. Klar ist: Es würde im Einzelfall entschieden. Nicht wie im Bürgerentscheid, wo bei der Festlegung der Maximalhöhe Architektur oder Standort überhaupt keine Rolle spielten.

Dass ein Investor gegen den Willen der Politik ein Hochhaus durchkämpft, gilt im Planungsreferat als unrealistisch. Denn der bei den meisten Projekten maßgebliche Baurechtsparagraf 34 schreibt vor, dass der Charakter der umliegenden Quartiere zu berücksichtigen ist. Da passt in München ein 200-Meter-Turm nur schlecht ins Bild. Bebauungspläne wiederum, die Standort und Höhe von Gebäuden explizit festlegen, werden stets politisch abgesegnet. Sollte darin ein Wolkenkratzer auftauchen, hätte er im Stadtrat eine Mehrheit bekommen. Ohnehin loten Bauherren meist schon im frühen Planungsstadium per Bauvoranfrage aus, was das Baurecht an der gewünschten Adresse maximal hergibt.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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