Markus Söders Festrede im Nationaltheater:Staatsakt mit bösen Erinnerungslücken

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Dass ein amtierender Ministerpräsident seinen ersten Amtsvorgänger nicht namentlich erwähnen mag, bringt ihm herbe Kritik ein

"Staatsakt zum 100.", Kommentar "Söders Reifeprüfung" (10./11. November) und die Festrede des Ministerpräsidenten zum 100-jährigen Bestehen des Freistaats Bayern:

Peinliche Intoleranz

Ministerpräsident Söder spricht zum 100. Geburtstag Bayerns und erwähnt dessen Gründer Eisner und die Ermordung des Sozialisten durch einen Rechtsradikalen mit keinem Wort. Das ist die Toleranz, wie sie die CSU versteht. Man kann auch durch Unterschlagung von Tatsachen eine Wirkung erzielen, die nicht geringer ist als Fake-News. Gerhard Wunder, München

Königlich daneben

In aller Welt ist es üblich, den Staatsgründer zu feiern und ihm Denkmäler zu errichten. Von einem Staatsakt zur Gründung des Freistaats Bayern müsste man deshalb erwarten, dass des Staatsgründers gedacht und insbesondere dessen Ausstrahlung auf die Zukunft eingehend gewürdigt wird. Was muss aber in Bayern passiert sein, dass zum 100. Geburtstag des Freistaats der amtierende Ministerpräsident es fertigbringt, den Namen Kurt Eisner unerwähnt zu lassen und stattdessen den Chef des Hauses Wittelsbach mit "Königliche Hoheit" begrüßt? Wie der Verfasser des Kommentars zutreffend ausführt, ist dieses Verhalten völlig unangemessen. Wenn die Ehrung des Staatsgründers von der heutigen Politik in Bayern so gröblich verweigert wird, muss man sich fragen, worin die tieferen Ursachen bestehen.

Söder vertritt nicht die Werte, die seit der Lichtgestalt Kurt Eisner in unserem Bayern Gültigkeit haben. Zwar ist der Revolutionär Eisner in seiner Zeit mit seiner Vorstellung einer entwicklungsfähigen Demokratie gescheitert. Doch seine Ideen hat zum Beispiel der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner mit in die bayerische Verfassung eingebracht, in der die Einseitigkeit des abgehobenen Parlamentarismus durch ein klares plebiszitäres Element, dem Volksentscheid, ergänzt wird. Ganz zu schweigen von den unmissverständlichen sozialen und sogar ökologischen Artikeln.

Wenn im Jubiläumsjahr der Eisner-Revolution ein bayerischer Ministerpräsident es wagen kann, den Namen Eisner offiziell zu verschweigen, hat das auch mit der Schwäche der heutigen SPD zu tun. Die bayerische SPD war schon weiter in ihrem kulturellen Selbstbewusstsein, als sie noch aktiv hinter dem "Anderen Bayern" stand, das in den Siebzigerjahren nach der Studentenrevolte das kulturelle Klima bestimmte, in dem die "verbrannten Dichter" wie etwa Oskar Maria Graf, Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann heimgeholt und einer restaurativen Nachkriegsgesellschaft vertraut gemacht wurden. Doch die verlogene geistig-moralische Wende seit der Kohl-Ära und dem Siegeszug des Neoliberalismus nach Ende des Kalten Krieges scheint alle kritischen Ansätze hinweggefegt zu haben zu Gunsten einer Beliebigkeit und eines ahistorischen Geschichtsbildes, was in der Landesausstellung "Mythos Bayern" in Ettal ihren traurigen Tiefpunkt gefunden hatte. Eduard Eben, München

Dürr und selbstverliebt

Die Tatsache an sich, dass als Hauptredner beim Staatsakt zum 100. Geburtstag des Freistaats Bayern der amtierende Ministerpräsident und die Landtagspräsidentin auftreten, wobei beide - dem Datum kurz nach der Landtagswahl geschuldet - vor allem als Parteipolitiker wahrgenommen werden, ist ein Skandal! Aber inzwischen weiß wohl jeder: Söder lässt keine Gelegenheit aus, sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Jeder auch nur halbwegs würdige "Landesvater" (oder eine Landesmutter) hätte einen renommierten Historiker eingeladen (zum Beispiel von einer der bayerischen Universitäten), einen lebenserfahrenen Zeitzeugen wie etwa Hans-Jochen Vogel, einen Literaten, einen deutschen oder ausländischen hochkarätigen Journalisten oder einen europäischen Politiker, jemanden mit kenntnisreicher Außensicht auf den Freistaat und dessen Geschichte. Über den dürren und selbstverliebten Inhalt der Rede lohnt es gar nicht erst, Worte zu verlieren. Dr. Helmut Lauterwasser, München

Geschichtsvergessen

Horst Arnold, der neue Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, hat nur zu Recht: Die Rede des Ministerpräsidenten Söder beim offiziellen Staatsakt war "geschichtsvergessen, oberflächlich, enttäuschend". Die Rede Söders war dem Anlass in keiner Weise angemessen. Söder trug seine Rede in scherzhaft-launigem Stil vor, passend vielleicht zum Jubiläum eines Trachtenvereins. Nachzuhören und anzuschauen in der Mediathek des Bayerischen Fernsehens.

Söder vermied offensichtlich ganz bewusst, den Namen Kurt Eisner in den Mund zu nehmen. Aber er brachte auch den Namen Erhard Auers von den Mehrheitssozialdemokraten nicht über die Lippen, des Widerparts, aber auch Mitstreiters Eisners beim Entstehen des Freistaats. Insoweit rettete wenigstens die neue Landtagspräsidentin Ilse Aigner die Situation. Söder verlor aber auch kein Wort darüber, dass Eisner schon zwei Monate später von einem rechtsradikalen und der antisemitischen Thule-Gesellschaft nahestehenden Adeligen hinterrücks erschossen wurde, just als Eisner nach der Wahlniederlage seiner USPD auf dem Weg zum Landtag war, um seinen Rücktritt zu erklären. Eisners Ermordung war einer der Morde, denen angebliche "Novemberverbrecher" zum Opfer fielen, vor allem Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Matthias Erzberger und Walter Rathenau, häufig, aber nicht nur Juden. Dass Eisners Nachfahren zum Staatsakt nicht eingeladen wurden, passt nur zu gut in dieses Muster des bewussten Verschweigens.

Letztlich können diese Enkel und Urenkel Eisners allerdings froh sein, dass sie sich die Suada Söders nicht anhören mussten. Denn Söder brachte es fertig, die demokratischen Revolutionäre vom November 1918 in die Nähe der sowjetischen Bolschewisten zu rücken.

Offensichtlich war Söder daran gelegen, die Bedeutung der Revolution von 1918 für die parlamentarische Demokratie in Bayern möglichst herunterzuspielen. Lieber behandelte er ausführlich die hundert Jahre zuvor durch König Max-Joseph von oben oktroyierte Verfassung von 1818, über die Söder promoviert hatte, ohne aber deren monarchisch-ständestaatlichen Charakter deutlich zu machen.

Ja, diese Rede Söders war würdelos und geschichtsverfälschend.

Aus der Rede Söders muss man leider den Eindruck gewinnen, dass die "bayerische Staatspartei" CSU auch nach hundert Jahren noch nicht ihren Frieden mit dem Gründer dieses Freistaats gemacht hat. Kaspar Apfelböck, Schwabach

Die Feier mit dem Söder und die Sendung mit der Maus

Der bayrische Ministerpräsident hat im Nationaltheater eine Rede zum 100-jährigen Bestehen des Freistaates gehalten. Dabei soll er auch den Wittelsbacher Max begrüßt haben, während er Eisner und Hoegner mit keinem Wort erwähnte. Der Fraktionsvorsitzende der SPD regte sich darob auf: Das sei noch nicht einmal Niveau der Sendung mit der Maus. Dazu wäre in etwa folgendes zu bemerken: Die Mannschaft von der "Sendung mit der Maus" recherchiert ihre Beiträge sehr pingelig. Das weiß ich vom jahrelangen Betrachten der Sendung mit meinen Kindern. Dass Herr Söder etwas genau recherchiert, ist mir nicht bekannt. Er spricht ja auch vom Asyltourismus, und das Wort hat er von der AfD. Von Recherche kann man da nicht sprechen. Und mit der Einladung eines Wittelsbachers zur Feier der Genese eines demokratischen Staates begibt man sich allenfalls auf das Stammtischniveau der CSU. Klaus Holzschuher, Hof

© SZ vom 15.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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