Loden ganz modern:Weiche Formen, harter Alltag

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Ilona Wittmann liebt Loden. Aus dem traditionellen Material schafft sie feminine Mode. Ansonsten verwendet sie nur Merinowolle oder Leinen - und jedes Stück ist ein Unikat. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Frei schaffende Kreative haben es schwer in München. Die steigenden Mieten zwingen immer mehr von ihnen zum Aufgeben. Auch Designerin Ilona Wittmann hat ihren Laden geschlossen. Ihre Mode, derzeit im Kunstgewerbeverein zu sehen, findet dennoch Anklang

Von Martina Scherf

Loden, dieser robuste Stoff, strahlt Beständigkeit und Wärme aus. Bauern bevorzugten die gewalkte Wolle, weil sie Wind und Regen abhielt, und in den Alpen tragen sie noch heute Lodenjanker zur Tracht. Bei Ilona Wittmann wirkt der uralte Stoff ganz modern: Er leuchtet in pink, orange und himmelblau, Jacken, Mäntel und Röcke haben Fransen und Lederbänder, Reißverschlüsse und feminine Schnitte. "Seit ich Loden vor vielen Jahren entdeckt habe, liebe ich diesen Stoff", sagt die Modedesignerin.

Im Laden des Bayerischen Kunstgewerbevereins (BKV) in der Pacellistraße hat sie derzeit eine kleine Ausstellung. Die intensiven Farben und weichen Formen, die man durchs Schaufenster wahrnimmt, locken Passantinnen schon von draußen an. Nebenan in der Galerie ist eine Ausstellung von tschechischen Glaskünstlern - es ist eine schöne Idee der BKV-Leiter, das Kühle, Filigrane und das Warme, Robuste, zusammenzubringen.

Einen eigenen Laden hat Ilona Wittmann, 51, nicht mehr. Zu teuer bei den Münchner Mieten. Sie macht ein paar Mal im Jahr mit befreundeten Designerinnen eine Salon-Ausstellung, "das ist jedes Mal ein schönes Ereignis, weil es unterschiedliche Menschen zusammenbringt, neue Ideen erzeugt und neue Kundinnen auf uns aufmerksam macht." Ansonsten hat sie treue Stammkundinnen. Die legen Wert auf Qualität, Handarbeit - und Maßanfertigung. Denn bei Ilona Wittmann ist jedes Stück ein Unikat.

In ihrem kleinen Atelier im Schlachthofviertel liegen dicke Stoffballen in verschiedenen Farben. Blautöne seien derzeit sehr beliebt, sagt Wittmann. Himmelblau, taubenblau, königsblau. Auf einem Ständer warten Kleider auf die Anprobe. Ein Kapuzenmantel in Flieder, ein kobaltblaues ärmelloses Kleid, ein schwarzer, eng anliegender Minirock. "Dünnere Loden kann man auch im Sommer tragen", sagt Ilona Wittmann. Neben Loden näht sie auch Pullover und Kleider aus Merinowolle und Leinenhosen. Drei verschiedene Nähmaschinen stehen im Atelier und ein großer, einklappbarer Zuschneidetisch.

Ihre Kundinnen kommen zu ihr nach Hause, suchen sich Farbe und Stoffe aus, lassen Maß nehmen und besprechen mit der Designerin die Einzelheiten ihres Kleiderwunsches. "Viele kenne ich seit Jahren, es sind lauter tolle Frauen, und ich sehe sie mit meinen Sachen draußen in der Stadt. Das ist ein schönes Gefühl." Diese Art zu arbeiten, frei und persönlich, das ist es, was sie immer wollte.

Schon als Kind hatte die geborene Münchnerin den Traum, Schneiderin zu werden. Woher das kam, weiß sie nicht, der Vater war Ingenieur, "und meine Mutter behauptete immer, sie könne nicht mal einen Knopf annähen". Sie machte nach der Schule eine Schneiderlehre und arbeitete ein paar Jahre in der Schneiderei Kübler in der Kaufinger Straße. "Die gibt es längst nicht mehr", sagt sie. Zara, Gap, H&M, und wie sie alle heißen, mit in China gefertigten Billigklamotten, das ist jetzt gefragt.

Ilona Wittmann wechselte zu den Bavaria Filmstudios, lernte dort, auch historische Kostüme zu restaurieren. Das Theater liebte sie schon immer, und so ging sie nach Hamburg an die Gewandmeisterschule. Sie arbeitete danach als Kostümbildnerin für Bühnen- und Filmproduktionen, war viel unterwegs, verdiente ganz gut, "aber das ruhelose Leben war nichts für mich", sagt sie. Auch fand sie den Job wenig kreativ. Als ihr eine befreundete Modedesignerin in München anbot, in einem kleinen Laden in der Damenstiftstraße einzusteigen, wagte sie den Schritt in die Selbständigkeit. "Und es lief von Anfang an gut." So gut, dass sie 2001 ihr eigenes Geschäft im Schlachthofviertel eröffnete. Bei einem der Kreativwochenenden "Offene Türen im Schlachthofviertel", das sie mitorganisiert hat, lernte sie Stefan Kastner kennen. Der Opernsänger und Theaterregisseur ("Germania", "Haltestelle") hat sich mit seinen Eigenproduktionen in München große Anerkennung bei den Feuilletons erworben. Aus Freundschaft wurde Liebe, und Ilona Wittmann entwirft seit vielen Jahren auch die Kostüme für Kastners Produktionen.

Aber frei schaffende Kreative haben es schwer in München. Die steigenden Mieten zwingen immer mehr von ihnen zum Aufgeben. "Ich spüre das auch in unserem Bekanntenkreis", sagt Ilona Wittmann. Den "zauberhaften" Laden in der Damenstiftstraße gibt es nicht mehr, und auch ihr eigenes Geschäft musste die Designerin schließen. Der Immobilienwahn hat längst auch das Schlachthofviertel erreicht. Nebenan hat eine noble Studentenlodge mit Concierge aufgemacht, gegenüber feiern sie auf beheizten Dachterrassen, erzählt Wittmann. "Dabei sind wir es doch, die sich um unser Viertel kümmern."

Was sie trägt, ist die Anerkennung ihrer Kundinnen, "das ist wie bei einem guten Essen, zu dem man Gäste geladen hat. Man freut sich, wenn es schmeckt und man gelobt wird." Die Sorgfalt und Achtsamkeit, die sie beim Umgang mit ihren Materialien walten lässt, die wünscht sie sich auch im Miteinander der Menschen.

Vor dem beschleunigten Leben, das um sie herum braust, schirmt sie sich, so gut es geht, ab. Sie besitzt kein Auto und kein Smartphone, "aber meine Kommunikation funktioniert trotzdem wunderbar". Sie kauft ihre Knöpfe, Reißverschlüsse und Saumbänder nicht online, sondern beim Schneiderbedarf im Orag-Haus am Jakobsplatz, auch wenn es dort ein wenig mehr kostet. Dabei ist ihre Mode - trotz Maßanfertigung - nicht teuer: zwischen 100 und 360 Euro kosten die Teile.

Den Trend zu globalisierter Massenware spüren auch andere Kunsthandwerker. Monika Fahn, die Geschäftsführerin des BKV, steht inmitten der vielen schönen Dinge in ihrem Laden und sagt: "Viele Leute wollen alles nur noch billig und sofort. Selbst wenn sie sich was anderes leisten könnten. Und dann werfen sie es nach einem Jahr weg."

Ilona Wittmanns Mäntel und Jacken halten viele Jahre. Loden ist beständig, sagt sie, "man muss ihn nur ab und zu an die frische Luft hängen".

Die Ausstellung von Ilona Wittmann geht bis 23. Februar; Bayerischer Kunstgewerbeverein, Pacellistraße 6-8, täglich außer Sonntag 10-18 Uhr; am Freitag, 1. Februar, zwischen 16 und 18 Uhr, gibt es eine öffentliche Anprobe mit der Designerin

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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