Lieblingsplätze:Wühlen und anfassen

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Stammkunde der ersten Stunde: der DJ, Musiker und Schriftsteller Thomas Meinecke im Schallplattenladen "Optimal" an der Kolosseumstrasse 6 im Münchner Glockenbachviertel. (Foto: Alessandra Schellnegger)

DJ und Musiker Thomas Meinecke kann Stunden im Plattenladen Optimal verbringen

Von Michael Bremmer, München

John Peel, BBC-Moderator und bis zu seinem Tod der vielleicht einflussreichste Popmusik-Experte, hatte im Alltag vor allem eine Sorge. Er fürchtete, dass er vom Türsteher eines Live-Clubs gefragt werden könnte, ob er hier seine Tochter suche. Diese Episode erzählt Thomas Meinecke im Plattenladen Optimal im Münchner Glockenbachviertel. Meinecke, Schriftsteller, DJ und Musiker, war häufig zu Gast bei den legendären Peel-Sessions, seine Band FSK war Peels deutsche Lieblingsband. Meinecke ist gerade 60 Jahre alt geworden. Und auch er ist immer noch in Clubs unterwegs. Er sagt: "So weit ist es bei mir noch nicht gekommen. Ich werde sogar noch geduzt."

Natürlich: Meinecke ist oft als DJ und Musiker unterwegs, da wird kein Türsteher den Einlass verwehren. Meinecke sagt aber auch: "Es ist eine Frage der Haltung." Und letztendlich auch eine Frage der Klamotten - und hier hält der Popliterat streng an seiner Mode fest: Sneakers, Bluejeans, T-Shirt meist mit Aufdruck und offenes Hemd über der Hose. So steht Meinecke im Plattenladen. "Im Regelfall bin ich hier immer drei bis vier Stunden", sagt er - nur für eine halbe Stunde gehe das überhaupt nicht, das sei schmerzhaft.

Ja, man kann es so sagen: Es ist eine große Liebesgeschichte zwischen dem DJ und seinem Plattenladen. 1977 zog Meinecke von Hamburg nach München, er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Kommunikationswissenschaft. Schon die ersten Begegnungen versprachen Spannung in der neuen Stadt. Gleich an seinem ersten Abend an der Isar besuchte Meinecke eine Lesung in der Autorenbuchhandlung und lernte beim anschließenden Umtrunk den Filmemacher Herbert Achternbusch kennen. Seine erste Wohnung fand er in Obergiesing, eine WG mit Musikern von Embryo, Freunde von Meinecke nahmen sie beim Trampen mit. "Das genügte als Referenz, um nach ein paar Wochen von der Embryo-WG aus einen anderen WG-Platz zu suchen."

Und doch trübte etwas die erste Zeit in München: der Mangel an gut sortierten Plattenläden. Doch dann eröffnete Peter Wacha, auch heute noch als DJ Up-start bekannt, 1982 das Optimal - zunächst in der Hans-Sachs-Straße, später in der Jahnstraße und heute in der Kolosseumstraße. Wacha hatte 1980 in einem Fanzine einen Bericht über FSK verfasst - es gab also schon Kontakt, bald entdeckte Meinecke sein musikalisches Paradies im Glockenbachviertel: Punk, New Wave, Reggae, schon damals sehr gut sortiert.

Aus dieser Zeit stammt Meineckes Kaufverhalten: Er muss in den Fächern wühlen, die Scheiben anfassen, "alles Geld für Platten ausgeben", im Prinzip sei das noch heute so. Seit 20 Jahren lebt Meinecke auf einem Bauernhof im Münchner Süden, sicherlich 15 000 Platten hat er dort, sie sind alphabetisch geordnet, aber keineswegs achtet er auf Vollständigkeit. "Ich bin nie ein Sammler gewesen", sagt er.

Kein Sammler, eher einer, der sampelt, zumindest in der Literatur. Er greift Zitate auf, lässt seine Romanfiguren über Gelesenes diskutieren - und man darf auf seinen neuen Roman gespannt sein: Er trägt den Arbeitstitel "Sex", seit zwei Jahren schreibt Meinecke daran, 450 Seiten sind bereits vollendet. Ein weiteres Großprojekt: Zur Eröffnung des Langzeitprojekts "100 Jahre Gegenwart" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin spielt seine Band FSK ein 45-Minuten-Stück, gerade wird noch am Text gefeilt. Und wenn Meinecke schon in Berlin ist, kann er ja mal wieder im Berghain auflegen. Und dort seine Tochter treffen: Schauspielerin Juno Meinecke dreht dort für die fünfte Staffel der US-Serie "Homeland".

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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