Leute:"In diesem Fall bin ich lediglich der liebe Gott"

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Der Maler Markus Lüpertz hat einen Gedichtband geschrieben und ihn in München der Öffentlichkeit vorgestellt. Er nimmt die Leser darin mit in sein "Arkadien" und geißelt alle, die sich zu lange mit dem Alltag aufhalten

Interview von Susanne Hermanski

Arkadien - das ist das Land der reinsten Idylle. Schon die Alten Griechen verklärten diese abgeschiedene Region ihres Kernlands. Die Buchhandlung Hugendubel indessen, in der Markus Lüpertz nun seinen neuen Gedichtband vorstellte, ist ein Anti-Arkadien - auch wenn sie, oh, seltsame Namensverwandtschaft, in einer Luxus-Arkade gelegen ist. Lüpertz saß dort im schlechtesten Licht, gleich vis-a-vis von einem Büchertisch, der diesen Namen kaum verdient. Zwischen Kitsch-Kutschen und Klapperstorch-Attrappen stapelten sich darauf Büchlein für Heiratswillige auf dem direkten Weg in die Ehehölle. Lüpertz übertönt derlei Niederungen freilich locker mit der ihm eigenen Wucht, wenn er seine Verse aus "Arkadien oder Die Abstraktion hat noch nicht begonnen" liest (erschienen im Hirmer Verlag, versehen mit einer kleinen Auswahl von Zeichnungen). Davor erzählte er, der sich selbst ein Genie nennt, der SZ, warum er manchmal nicht malt, sondern schreibt.

SZ: Warum datieren Sie Ihre Gemälde und Gedichte nie?

Markus Lüpertz: Das ist eine Methode für mich, die Zeit anzuhalten. Eine Methode, im Hier und Jetzt zu leben. Alles ist für mich zeitgleich.

Sie verknüpfen damit nie Erinnerungen an das, was war, als Sie das Gedicht geschrieben, das Bild gemalt haben?

Nein, die Bilder haben ihre eigene Biografie. Sie erzählen mir die Geschichten. Meine Biografie hat damit relativ wenig zu tun.

Das entspricht nicht der üblichen Betrachtungsweise von Phasen, in denen sich etwa ein Künstler weiterentwickelt.

Man muss den Kunsthistorikern ja schließlich etwas geben, womit sie sich nach meinem - hoffentlich noch fernen - Ableben beschäftigen können. Ich mag es übrigens nicht, wenn man mich Universal-Talent nennt. Bei mir kommt alles aus der Malerei. Ich bin Maler-Poet, ich bin Maler-Bildhauer, ich bin Maler-Musiker.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Gedicht?

Das war sicher ein zauberhaftes Gedicht für ein zauberhaftes Mädchen. Ich bin ja seit meinem 15. Lebensjahr mit mir alleine unterwegs und auf mich gestellt gewesen.

Gibt es eine Parallele in Ihrer Malerei zu der Art, wie Sie mit Worten malen?

In der Malerei habe ich eine ganz andere Härte. In der Dichtung leiste ich mir sozusagen Blumen. Es gibt viele Leute, die lehnen meine Gedichte, meine Musik ab.

Was sollte daran anders sein?

Das weiß ich nicht. Aber das Buch ist eigentlich ein Greifen nach dem, was in der aktuellen Poesie verloren gegangen ist. Wenn ich heute junge Poesie lese, sehe ich immer Lieblosigkeit, Kritik, Politik. All diese pädagogische Umweltbelastung - die geht mir sowas von auf den Docht.

Sind Sie fremd in dieser Welt, in der sich alles um digitale Kommunikation dreht?

Nun, ich habe kein Handy. Ich bin, nennen Sie es ein Arkade, nennen Sie es Poesie, Bohème. Ich brauche nicht die Welt, wie sie ist. Wenn wir denken, die Welt ist so, wie sie ist, ist sie schon wieder vorbei. Dann war sie so, wie wir dachten, dass sie sei.

Heißt das, Sie blenden den Alltag aus?

Nein, mit dem Alltag muss jeder fertig werden. Das ist keine besondere künstlerische Leistung, auch keine besondere menschliche. Ich will mit den Göttern plaudern.

In Ihrem "Arkadien" tauchen fünf Philosophen auf . . .

Der erste steht für die Vollendung der Dichtung, der zweite erzählt seine Jugend, der dritte ist der Klagende, der vierte ist Eros und Mord zugleich, der fünfte Philosoph steht für die Freiheit.

Welcher hat am meisten Ärger gemacht?

Der Eros. Da muss man in gewisser Weise die Hosen herunterlassen. Das ist für mich immer problematisch, denn dabei gerät der Grundton der Heiterkeit in Gefahr. Aber letztlich bin ich für meine Protagonisten nicht verantwortlich. Die müssen selbst erzählen. Markus, der Philosoph, kommt in der Aufzählung ja nicht vor.

Sind Sie nicht alle in einem?

Nein, ich bin ihr Erfinder. Ich bin lediglich der liebe Gott in diesem Fall.

Über Gott schreiben Sie, dass er uns Menschen die Ideen stiehlt, dass er lügt, dass er uns seine Sterblichkeit unterschlägt.

Denken Sie mal darüber nach! Ich finde das hinreißend.

Es gibt da noch jemanden, der uns seine Sterblichkeit verheimlicht . . .

Ich! Denn Wirklichkeit kann man durchaus biegen. Wir legen heutzutage etwas fest, in dem wir es nachschlagen, im Internet, im Lexikon. Aber damit ist die gesamte Romantik, der Reiz, der zur Wahrheit gehört, verloren. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich Gedichte schreibe. Ich schreibe sie aus einem Reflex heraus. Es gibt keine Klientel dafür.

Aber spricht man nicht derzeit von einer Renaissance der Poesie?

Das tut man immer wieder einmal. Ebenso wie man sagt, das gedruckte Buch erlebe eine Renaissance. Aber gehen Sie doch mal durch einen Bahnhof. Da sehen Sie den gesamten Verlust der Ästhetik. Das sind alles Dinge, die gehen auf Kosten der Poesie und auf Kosten des Miteinanders.

Meinen Sie die vielen Leute in dieser Uniform aus hässlichen Turnschuhen und Jeans?

Derzeit sind es vor allem kaputte Jeans, auf die man da guckt. Das ist übrigens bei meinen Kindern nicht anders. Und wenn ich dann sage: "Sowas musst du doch nicht anziehen, ich kann dir eine neue Hose kaufen", dann lachen sie.

Ihre Kinder finden Sie dann spießig?

Aber in Wirklichkeit sind doch sie spießig. Alles, was die Masse will, ist spießig. Und Jugend ist überhaupt spießig, weil sie nichts von dem hinterfragt, was sie denkt. Je älter man wird, desto jünger wird man - wenn man es geschickt macht. Dann wird man großzügiger, toleranter, fröhlicher.

Aber haben nicht die meisten Leute, gerade im Zusammenhang mit dem Alter, nur die schlimmsten Befürchtungen?

Das ist wieder etwas anderes. Aber über Ängste wollen wir nicht reden.

In Ihr Atelier ist im vergangenen Jahr eingebrochen worden. Es heißt, Sie wollen jetzt weiter hinaus aufs Land ziehen?

Ja, aber nur mit meinem Atelier.

Es zieht Sie nicht nach Arkadien?

Ich will nicht in der Idylle leben. Ich liebe die Stadt. Ich bin kein Mensch, der für die Einsamkeit bestimmt wäre.

Ist man im Atelier nicht immer allein?

Sicher. Aber ich könnte auch in der Küche malen. Für mich ist das wie Luft holen. Dass das einmal nicht mehr so sein könnte, das ist sie vielleicht: meine einzige Angst.

Ist Arkadien nicht der Ort, an dem wir alle einmal enden werden?

Mein Arkadien ist nur ein Vorschlag. Wir leben in einer Realität, die müssen wir begreifen, sonst kommen wir darin um. Aber wir haben nur dieses eine Leben. Es ist das größte, schönste. Insofern ist das ganze Leben ein Wunsch, ein Arkadien. Als Künstler ist deine Heimat das Imaginäre.

Brauchen Sie Widerstände?

Nein, ich will nicht provozieren. Das ist unter meinem Niveau. Aber ich bin ein Künstler, der in Deutschland immer schlechte Kritiken bekommt - wegen meines Habitus'. Doch ich werde auf die Dauer überleben, mehr als viele andere.

Interessiert Sie die Diskussion ums neue Kulturgutschutzgesetz?

Ich habe eine klare Meinung dazu: Das ist lächerlich. Das Gesetz ist ein Kontrollmechanismus, der Steuergeld einbringen soll. Insofern ist das ein Teil des neuen DDR-Staats, in dem wir leben.

Könnte dadurch ein Wettstreit entstehen, wer schützenswerte Kunst geschaffen hat?

Das ist ja das Verrückte, wer soll denn das beurteilen? Ich bin gegen den Zugriff des Staates. Das ist eine Art Terror der Masse.

Florian Henckel von Donnersmarck arbeitet derzeit an einem Spielfilm, der das Leben von Gerhard Richter behandelt. Hätten Sie auch gern, dass ein Film über Ihr Leben gedreht würde?

Wenn sie ein Leben leben, das zu verfilmen sich lohnt, wird das auch passieren. Ich will auch kein eigenes Museum zu Lebzeiten. Die Filme, die ich über mich haben wollte, habe ich selbst gemacht und die Musik dazu ebenfalls. Aber ich kann Gerhard Richter nur beglückwünschen, wenn ihm das widerfährt, warum nicht?

Kein Grund zur Konkurrenz?

In Deutschland ist das immer ganz einfach: Der teuerste Künstler ist der beste Künstler. Aber Gerhard Richter ist wirklich ein ausgezeichneter Maler.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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