Lena in der Olympiahalle:Kindergeburtstag in Taka-Tuka-Land

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Da kann die Kritik noch so unbarmherzig sein: Lena Meyer-Landrut macht sich die Welt, widdewidde wie sie ihren jungen Fans gefällt - droht dabei jedoch, ihr größtes Kapital zu verlieren.

Tobias Dorfer

Was ist über Lena Meyer-Landrut in den vergangenen Wochen nicht alles geschrieben worden: Ihre Tour sei überdimensioniert, die Hallen halbleer, die Generalprobe für das Eurovisions-Heimspiel Mitte Mai in Düsseldorf völlig verhauen. Auch bei der ARD, dem diesjährigen Organisator des Musikspektakels, rumort es. Lena hätte ihre "Unbefangenheit" verloren und spiele "nur noch eine Rolle", urteilte der Fernsehbeirat.

Zwischen 9000 und 10.000 Fans dürften sich zu dem Lena-Konzert in der Münchner Olympiahalle eingefunden haben. (Archiv) (Foto: dapd)

Und als sei das noch nicht genug, ließ sich ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber am vergangenen Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit der Erwartung zitieren, man trete in Düsseldorf nicht an, um zu verlieren. Peng! Das sitzt!

Da steht sie nun und versteht vermutlich die Welt nicht mehr. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, da verzauberte diese Schülerin aus Hannover das gesamte Land. 28 Jahre nach Nicole gewann wieder eine Deutsche den Eurovision Song Contest - und zeigte ganz nebenbei dem versammelten Europa, wie locker und unbefangen die Bundesrepublik doch sein kann.

In der Folge schießt ihr neues Album auf Platz eins, im März 2011 ist Lena mit sechs Songs gleichzeitig in den Charts vertreten. Aber dann wird doch wieder gemeckert, weil sie in der diesjährigen Eurovisions-Vorentscheidung gegen sich selbst antritt und die Zuschauer nur entscheiden dürfen, welches Lied sie in Düsseldorf singt.

Wie gut, wenn man da für anderthalb Stunden in eine große rosarote Seifenblase eintauchen kann. Denn: Von halbleer kann an diesem Mittwochabend in der Münchner Olympiahalle nicht die Rede sein. Zwischen 9000 und 10.000 Fans dürften sich eingefunden haben. Und sollten tatsächlich viele Tickets liegengeblieben sein, dann haben die Organisatoren das durch eine kluge Bestuhlung einigermaßen verbergen können.

In der Halle mischen sich die Gerüche von süßem Frauenparfüm und Pfirsichringen. Aus guten Gründen hat Lenas Management die Tour zumindest teilweise in die Osterferien fallen lassen; da darf die Zielgruppe ein wenig länger aufbleiben.

Die Zielgruppe, das sind zum großen Teil Mädchen mit selbstgebastelten Lena-Plakaten ("Lena, I love you!") und bunten Haarspangen. Für viele dürfte es das erste Konzert ihres Lebens sein. Die Eltern sitzen daneben, falten Jacken aufeinander, damit der Nachwuchs höher sitzt, knipsen Fotos und wehren Wünsche ab - etwa dann, wenn auf der Videowand das Lena-Merchandise-Sortiment gezeigt wird und große Augen fragen: "Papa, kaufst du mir so ein T-Shirt?"

Keine Frage, es ist kinderkompatibel, was Lena auf ihrer anderthalbstündigen Reise ins Wunderland abliefert. Bei Love me färbt sich die Bühne ganz in Rosa, während im Hintergrund ein Herz pocht. Vor dem Song At all kündigt sie den jungen Fans "was Lustiges" an und teilt die Olympiahalle in zwei Hälften auf, von denen jede einen Teil des Refrains übernehmen soll. Als das tatsächlich klappt, sieht Lena für einen Moment aus, als könne sie das selbst nicht glauben. Mit großen Augen schaut sie wenig später ins Publikum, als zum wunderschönen Lied Mr. Curiosity Leuchtstäbe, Taschenlampen, Kameras und Handys den Zuschauerraum in ein riesiges Lichtermeer verwandeln.

Es gibt aber auch unfreiwillig komische Momente. Etwa dann, als sich die Tanzcrew bei Taken by a Stranger in silberfarbige Ganzkörperanzüge zwängt und wie eine Horde Marsmännchen über die Bühne irrt. Oder als sich Lena zum Song Bee Bienenfühler auf den Kopf setzt, während hinter ihr ein blumiges Wiesenidyll mit Schmetterlingen an die Wand projiziert wird.

Lena ist eben doch nicht mehr die Lena von einst. Die Unbefangenheit, die sie noch vor einem Jahr auszeichnete, verschwindet immer mehr. Ausrufe wie "verdammte Axt" sind angesichts der Kinderscharen inzwischen wohl tabu. Lena Meyer-Landrut spielt als pippilangstrumpfige Prinzessin Lillifee die Gastgeberin im Kindergeburtstag auf Taka-Tuka-Land.

Da wundert es auch nicht, dass sie mit sich selbst Haargummi-Suchen spielt und nach der ersten von drei Zugaben Glitzerkonfetti über den Zuschauerraum rieselt.

Schade eigentlich. Denn es gibt auch durchaus Bereiche, in denen Lena an Reife gewonnen hat. Ihre Stimme ist fester und erwachsener geworden, die Bewegungen scheinen koordinierter zu sein als früher. Nur ihren Charme, den hat sie sich bewahrt. Es ist ziemlich schwer, Lena nicht zu mögen, wenn sie da in ihrem schwarzen Kleidchen und ihren großen dunklen Augen steht und verlegen ins Publikum lächelt. Wäre man Vater - ihr würde man das Lena-T-Shirt sofort kaufen.

Angesichts dieser Charme-Offensive gerät die Musik ein wenig in den Hintergrund - was nicht weiter tragisch ist, denn die meisten Lieder klingen sowieso ähnlich. Richtig eingängig sind nur wenige Songs. Satellite, der Eurovisions-Siegertitel von 2010 zieht natürlich noch immer. Deutlich ruhiger ist es jedoch, als Lena Taken by a Stranger - ihren diesjährigen Wettbewerbsbeitrag - singt. Dennoch: Anschließend wird brav geklatscht und gejubelt. Aber wahrscheinlich würde die 19-Jährige auch für eine zeitgemäße Interpretation von Hänschen klein bejubelt.

Nach anderthalb Stunden bleibt von Lenas Kindergeburtstagsparty der Gedanke an zuckrige Fruchtkaugummis: Süß - aber der Geschmack ist auch schnell verflogen. Wenigstens macht das Konzert nicht dick. Und wenn die Zuckerdosis am 14. Mai bis zur Telefonabstimmung wirkt, dann ist ja alles noch einmal gutgegangen.

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