Leben unter der Brücke:Der König von Bogen drei

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Das Brückenfest ist vorbei, doch manche Münchner bleiben: Unter den Brücken der Innenstadt tut sich eine eigene Welt auf - hier sind Aleks und die anderen Wittelsbacher zu Hause.

Anna Fischhaber

Gleich neben dem neuen Isararm mit den Stufen aus Naturstein und den leichtbekleideten Sonnenanbeterinnen stapeln sich unter der Wittelsbacher Brücke dreckige Matratzen, ein paar Einkaufswagen und eine Handvoll Tüten. Oberhalb feierten am Wochenende Hunderttausende das Brückenfest, unterhalb des Trubels tut sich eine ganz eigene Welt auf: Seit die Bauarbeiten an der Isar abgeschlossen sind, sind sie wieder da - jene Obdachlose, die sich in Anspielung auf das bayerische Königsgeschlecht unter deren Brücke sie logieren, die Wittelsbacher nennen.

"Wir von der Straße sind alle süchtig - nach Alkohol, nach Drogen, nach Freiheit", sagt Aleks. Wände machen ihm Angst. (Foto: Foto: Anna Fischhaber)

"Ich bin Penner", Aleks lacht, dass man seine Goldzähne sehen kann. Direkt an der Isar hat er es sich mit einem roten Schlafsack und einem Tetrapack Weißwein auf einem alten Sofa bequem gemacht. "Niemand hat das Recht, uns von hier zu vertreiben - nur die Adelsfamilie selbst." In einer Wohnung zu leben, ist für Aleks, der vor 20 Jahren von Serbien nach München gekommen ist, nur noch schwer vorstellbar. "Wenn man ein paar Jahre auf der Straße gelebt hat, macht einen jede Wand krank."

Unter der Wittelsbacher die Beine verloren

Drei Winter und doppelt so viele Sommer hat der 47-Jährige mit dem braungebrannten Gesicht bereits unter der Wittelsbacher Brücke verbracht - unter Bogen drei, dem härtesten Bogen, wo der Wind am eisigsten durchfegt. Dafür kommen hier, direkt am Wasser, auch die meisten Passanten vorbei. "Du bekommst von ihnen alles, was man zum Leben braucht - ob Rasierapparat oder Unterwäsche", sagt Aleks und deutet auf seine wenigen Sachen.

Sein Kumpel Franz hat vor vier Jahren in einer besonders kalten Nacht unter der Brücke die Beine verloren. Sie sind erfroren und mussten amputiert werden. Wieso Aleks trotzdem bleibt? "Wir von der Straße sind alle süchtig - nach Alkohol, nach Drogen, nach Freiheit", sagt Aleks. Seine Haare sind mittlerweile lang geworden. "Aber Klauen tue ich nicht. Ich bin bloß ein Schattenmann, der die anderen deckt, wenn sie Schnaps holen."

Im Sommer ist das Leben auf der Straße leichter - dann sind die Nächte auch unter Bogen drei lau. Am Tag kommen die Passanten in Scharen. Wenn Aleks gute Laune hat, so wie heute, beobachtet er die Münchnerinnen beim Baden und scherzt mit ihnen. "Entschuldigung, wie alt muss man werden, um so hübsch zu sein?", fragt er eine ältere Dame. "Sehr alt, junger Mann", lautet die Antwort. Aleks sammelt solche Geschichten, schreibt alles auf. Irgendwann will er seine Sprüche ausstellen. "Oder ich gehe in eine serbische Fernsehsendung und erzähle über München und Bayern - natürlich nur das schönste!"

Ein Leben auf der Hundestraße

Bereits vor ein paar Jahren haben die Wittelsbacher die Münchner unter ihre Brücke gelockt. Eine Ausstellung mit Fotos und Texten erzählte vom "Leben auf der Hundestraße". Rund 2075 Menschen leben in München laut einer Studie des Amts für Wohnen und Migration von 2007 in Wohnungseinrichtungen, etwa 340 sind ohne Dach über dem Kopf. Zwar wollen die Obdachlosen so gar nicht ins Bild der schicken Isarmetropole passen, doch zumindest die Wittelsbacher sind längst zur Legende geworden - wie die Maximilianstraße und das Oktoberfest gehören sie zu München. Sogar ins Kino schafften es "Die Wittelsbacher" und der gleichnamige Spielfilm vor ein paar Jahren.

Auch beim Evangelischen Hilfswerk sind Aleks und die anderen bekannt, die Streetworker wollen die Wittelsbacher von der Straße holen. "Die Brücke ist hochfrequentiert, deshalb ist sie bei Obdachlosen so beliebt", sagt Verena Graf. Doch den Menschen sei nicht geholfen, wenn sie von den Passanten versorgt würden. "Das mindert den Anreiz, in eine richtige Unterkunft umzuziehen." Dabei sei das auch ohne Geschenke ein hartes Stücke Arbeit: "Für viele ist das Leben auf der Straße zur Routine geworden, sie haben Angst vor Veränderungen."

Aleks will davon nichts wissen. Der König von Bogen drei hat fest vor, in diesem Winter auszuziehen. "Ich habe einen Beruf gefunden, der mir liegt: Ich werde beim Sozialamt eine Umschulung zum Altenpfleger machen - und wenn die herausfinden, dass ich unter der Brücke wohne, wäre das schlecht", sagt er und nimmt schon wieder einen Schluck aus dem Weinkarton - fast so als müsste er sich Mut antrinken für seinen Traum. "Ich will, dass meine Enkelkinder leben können wie ich, nur mit Geld auf dem Konto."

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