Willkommen im Klub:Die spinnen in Oberhaching

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Eine Gruppe von Frauen trifft sich regelmäßig im historischen Wagnerhaus, um mit Rad oder Handspindel Garn herzustellen. Dabei verarbeiten sie nicht nur Schafwolle, sondern auch Katzen- und Hundehaare

Von Claudia Wessel

Ein Mini-Grundkurs in Sachen Spinnen: Kathie Knuth reicht einem ein Stückchen lang gezogene Wolle, das man ganz am Ende festhalten soll. "Jetzt drehen", sagt sie, "nicht aufhören, weiter drehen, immer weiter drehen, ganz am Ende festhalten, nicht zu stark ziehen, nicht zu locker lassen. Sehen Sie, nun haben wir schon einen guten Drall." Man dreht und dreht, das Stück Wolle wird länger und länger. Zunächst erhält man nur einen einfachen Faden, der zum Stricken noch nicht geeignet ist. Dafür muss er erst gezwirnt werden, wie Knuth erläutert. Und das geht so: Man legt jetzt die beiden Enden der lang gezogenen Wolle zusammen und dreht sie wiederum, aber in die andere Richtung. Das Ergebnis darf sich jetzt zweifädiges Garn nennen.

Zu Besuch bei den "Hachinger Spinnerinnen" im Wagnerhaus in Deisenhofen. Es ist ein heißer Sommerabend, und die Frauen haben sich mit ihren Spinnrädern draußen hingesetzt. Zuerst sind es nur zwei, drei, am Ende sind sie zu elft. Dass manche erst später da sind, liegt auch daran, dass die Spinnerinnen aus vielen umliegenden Gemeinden und der Stadt anreisen. Martina Kiehl und Ria Billmeier zum Beispiel kommen aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Lotti Fischer wohnt in Deining, eine kommt aus Pullach, eine aus Giesing. Nur Kathie Knuth wohnt in Oberhaching, weshalb sie auch die Ansprechpartnerin für das Treffen im Wagnerhaus am Hubertusplatz 3 ist, in dem sich die Spinnerinnen alle zwei Wochen kostenlos treffen dürfen ( kathie-knuth@t-online.de).

Seit zehn Jahren ist diese historische Kulisse der Treffpunkt für die Liebhaberinnen des alten Handwerks, doch spinnen tun sie schon "rund 20 Jahre", wie Kathie Knuth sagt. Angefangen habe alles durch einen Volkshochschulkurs, der dann zu einer festen Gruppe wurde. Danach trafen sie sich im privaten Rahmen bei einer Frau, die inzwischen weggezogen ist. Klar, dass sich die Besetzung auch immer wieder geändert hat, aber viele sind auch schon sehr lange dabei.

Wenn man die Frauen so dasitzen sieht vor dem alten Holzhaus, jede vor sich ein Spinnrad, auf dem die an diesem Abend meist nackten Füße gemächlich treten, könnte man meinen, man hätte eine kleine Zeitreise gemacht - abgesehen natürlich von den modernen Jeans und Blusen der Spinnerinnen und vielleicht auch dem frischen Lila, in dem die Wolle von Martina Kiehl leuchtet.

Wie funktioniert denn nun so ein Spinnrad? "Der Flügel dreht sich etwa schneller als die Spule, der Flügel zieht den Faden rein, die Spule wickelt ihn auf", erklärt eine der Frauen. Und zwar sowohl beim Spinnen des einfachen Fadens wie beim Zwirnen. Die Sammlung der unterschiedlichen Fäden und Farben auf den Spulen ist an diesem Abend sehenswert. "Man kann alles verspinnen, von derber Schafwolle bis zu Glitzerndem", sagt Ria Billmeier. Und die Wolle müsse nicht immer nur vom Schaf kommen, obwohl das das Typische sei. So verrät etwa Kathie Knuth, dass "ihre Katze Franzi" bereits "dran glauben" musste ebenso wie ihre früheren beiden Kater. Um deren Wolle zu bekommen, müsse man sie nur kämmen, sagt Knuth. Auch Hunde und andere Haustiere können daher ihre Wolle spenden und später womöglich auf einem Teppich oder einer Decke aus dem eigenen Fell schlafen.

Wie wichtig das Spinnen früher war, wissen die Frauen natürlich auch. "Jede römische Sonntagstoga aus fünf Meter Stoff, jedes Segel bestand früher aus handgesponnenem Garn", erzählt Ria Billmeier. Klar, dass das Spinnen ein Symbol für den Fleiß der Frauen war. Denn in Europa waren es vor allem sie, die Garn aus Wolle herstellten. "In Südamerika spinnen auch die Männer", weiß Billmeier. Das Spinnrad, laut Billmeier übrigens die "erste Maschine der Menschheit", sei im frühen Mittelalter genau deshalb erfunden worden, weil man immer mehr Fasern brauchte. Und es sei seinerzeit verpönt gewesen, als schreckliche neue Technik.

Und was ist heute das Reizvolle an der Tätigkeit? "Man kann es immer nebenbei machen", sagt Martina Kiehl. "Dabei kann man reden oder auch einen Film anschauen. Ich habe mein Spinnrad auch schon mal in Südfrankreich an einem Strand aufgebaut." Sowieso haben alle Mitglieder der Gruppe zusammenklappbare Reisespinnräder. "Für mich ist es die schönste Art der Meditation", sagt Ria Billmeier.

Nur eine Frau im Kreise der Hachinger Spinnerinnen ist noch traditioneller als die Kolleginnen: Karin Hohrein. Sie spinnt nicht mit einem Rad, sondern mit einer Handspindel wie Dornröschen im Märchen. Allerdings ist ihre Spindel nicht so spitz, dass man sich damit stechen könnte. Mit der Handspindel spinnt man am besten im Stehen, erklärt Hohrein und führt es vor. Man lässt die Spindel herunterhängen, dreht sie und wickelt dabei den Faden auf. Auch hier muss man zum Schluss, wenn die Spindel voll ist, noch zwirnen. Das Problem bei der Handspindel sei, dass sie sich möglicherweise zu schnell zurückdrehe, sagt Hohrein. Für die Handspinn-Kurse, die sie gibt, bestellt sie immer für alle eine von einem Drechsler hergestellte Handspindel, bei der das nicht passiert. Während sie an diesem Sommerabend gerade demonstriert, wie die Handspindel funktioniert, fährt ein Auto vor. "Oh, die Lotti, ich bin gerettet", ruft Hohrein aus.

Lotti Fischer nämlich ist eine wichtige Wolllieferantin im Kreise der Hachinger Spinnerinnen, denn sie hält 26 Schafe. In Fischers Spinnrad dreht sich wenig später eine ganz besondere Wolle: sie ist gescheckt wie das junge Schaf, von dem sie stammt. Aus dem einzigartigen Faden, den Lotti Fischer gerade in ihrem Spinnrad herstellt, wird sie ihrem Sohn eine Weste stricken - "zur Lederhose". Klar, dass sie diese dann im Kreise der Spinnerinnen vorführen wird, auch das gehört zu den Treffen dazu. Heute etwa macht Gabriele Rüppel eine kleine Modenschau: Sie trägt einen lila Pulli, dessen Garn sie selbstgesponnen und den sie selbst gestrickt hat. Die Bewunderung aller Spinnerinnen ist ihr sicher.

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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