Unterschleißheim:Nicht nur für Gangster

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Beim Hip-Hop-Jam im Gleis 1 in Unterschleißheim treffen Rapper, DJs, Breakdancer und Graffiti-Künstler aufeinander. Die Szene wehrt sich gegen ihr schlechtes Image und zeigt sich tolerant gegenüber Interessierten

Von Kevin Rodgers, Unterschleißheim

Carlos Aristizabal sieht nicht aus wie der typische Student der interkulturellen Kommunikation. Der 34-Jährige mit dem Kurzhaarschnitt und dem schwarzen Kapuzenpulli steht unter einem großen grauen Sonnenschirm, auf den der Dauerregen einprasselt. Auf dem Boden stehen ein gutes Dutzend Spraydosen, es riecht nach Lack und Aerosolen. Vor ihm steht ein Bauzaun mit einer fünf mal eineinhalb Meter großen Sperrholzplatte, auf die er ein buntes Graffito sprüht.

Aristizabal ist einer der Organisatoren des Hip-Hop-Jams, der am Samstag im Jugendkulturhaus Gleis 1 in Unterschleißheim stattgefunden hat. "Ein Jam ist eine Party, die alle vier Elemente der Subkultur Hip-Hop vereint", erzählt der gelernte Oberflächenbeschichter, während er sein Graffito mit gelben Konturstreifen versieht. "Die vier Elemente sind Breakdance, DJ-ing, Graffiti und MC-ing, das sind die Rapper auf der Bühne", erklärt Aristizabal. Seit fast 20 Jahren ist Carlos Teil der Hip-Hop-Subkultur, die in den Siebzigerjahren in der New Yorker Bronx entstanden ist. "Hip-Hop ist keine Jugendkultur, die irgendwann aufhört, sondern eine Subkultur", so Carlos. "Natürlich sind viele junge Menschen dabei, aber die Leute werden mit der Kultur zusammen älter."

Eine Windmill verlangt von den Tänzern viel Kraft in Armen und Beinen. Breakdance ist ein Hochleistungssport. (Foto: Robert Haas)

Viel Zeit braucht es auch, um die Kunst des Graffiti-Sprühens zu erlernen. "Das ist eigentlich Learning by doing." Ein gutes Graffito ist wie ein Kunstwerk auf Leinwand auch aus verschiedenen Ebenen aufgebaut. Zudem gibt es spezielle Farben und Aufsätze für die Spraydosen. "Es gibt Fat Caps und Skinny Caps, je nachdem, ob man eine Fläche oder eine saubere Linie sprühen will. Beim Sprayen braucht man Struktur, wie überall im Leben", resümiert Carlos, während er einen Schritt zurücktritt, um sich einen Überblick über sein Graffiti zu verschaffen.

Derweil füllt sich der Saal des Gleis 1 mit zahlreichen Hip-Hoppern und Breakdancern. Auf der Bühne stehen zwei DJs und legen Rapmusik auf. Der Berliner Rapper Laas Unltd., der am späten Abend auftreten wird, prüft die Einstellung seines Mikros und rappt den Song "Junge". Sofort füllt sich die Tanzfläche. Breakdancer wirbeln über das Parkett, drehen sich kopfüber und machen sogenannte Windmills, bei denen sie den Oberkörper im Kreis drehen und gleichzeitig ihre zum Spagat gespreizten Beine wie eine Windmühle durch die Luft rotieren lassen. Für besonders spektakuläre Moves gibt es Szenenapplaus von den umstehenden Tänzern.

"Breakdance ist echter Hochleistungssport", sagt Veranstalter Christian Fellinger. So ähnlich sehen das auch Lisa und Ebru von der Hip-Hop-Gruppe Souljahz of Style. Seit einem Dreivierteljahr üben die Mädchen aus Freising ihre Tanzschritte. Vor dem Tanzen muss erst mal die Muskulatur gedehnt werden, Hip-Hop ist vor allem Beinarbeit. Dabei legen sie Wert darauf, keine Breakdancer zu sein. "Wir sind Hip-Hopper, das heißt wir tanzen zu Rapmusik. Breakdancer haben ganz andere Moves drauf", sagt Ebru und verschwindet sogleich wieder auf die Tanzfläche.

Nach 21 Uhr gehört die Bühne dann den MCs, den Masters of the Ceremony. Unter anderem tritt der Münchner Rapper Rückhandmusik auf. Der Höhepunkt des Abends ist der gefeierte Auftritt von Laas Unltd. Der Rapper ist zurzeit mit seinem neuen Album auf Tour. Zum Hip-Hop ist er über das Graffitisprayen gekommen. "Volksmusik war noch nie mein Ding, ich war immer schon ein Fan von Deutschrap und hab es irgendwann einfach selbst mal versucht", erzählt der Musiker, der mit bürgerlichem Namen Lars Hammerstein heißt. Dass Hip-Hop in weiten Teilen der Bevölkerung auf Skepsis stößt, kann Laas Untld. nicht nachvollziehen. "Die Außenwirkung stimmt oft nicht mit der Realität überein. Da spielen die Medien, die Klischees über Gangsterrap verbreiten, eine große Rolle."

So ähnlich sieht das auch Carlos Aristizabal mit seinen Graffiti. "Das ist Kunst, die aber oft keine Akzeptanz in der Gesellschaft findet." Ein Beispiel seien Graffiti auf Eisenbahnwaggons. Die Wagen gelten als rollende Leinwände. Bei der Bahn werden Graffiti jedoch pauschal unter Vandalismus geführt, ganz gleich, ob es ein gut gemachtes Motiv oder ein an die Wand geschmierter Namenszug, ist. Dabei ist die Subkultur selbst tolerant und aufgeschlossen, was man auch an der Stimmung im Gleis 1 festmachen kann. "Bei uns zählt der Mensch. Jeder kann kommen und mitmachen", sagt Carlos. Ahnung von Hip-Hop braucht man nicht haben. "Die Musik sollte man aber schon gut finden."

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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